An ein catholisches Mädchen,
das am Frohnleichnamsfest
ein Marienbild trug

[142] Denk' ich meiner frohen Knabenzeiten,

Denk' ich, Mädchen, auch an dich,

Und die hellen Sehnsuchtsthränen gleiten,

Und die Seele wölket sich.


Sittsam war dein Aug, voll Mädchenmilde,

Der die Andacht Reize lieh,

Wich vom schönen Muttergottesbilde,

Wich vom Christuskinde nie.


Manche Zähre floß von deinen Wangen,

Wie der Thau von Rosen rinnt,

Blieb itzt am Marienbilde hangen,

Rann itzt auf das Christuskind.


Eine junge, morgenrothbestreute

Silberblum' im Paradies

Warst du, hehr, wie die Gebenedeyte,

Die dein Arm dem Volke wies.


Süßes Zittern, leises Seelenklopfen

Überströmte meinen Geist.

Kostet' ich des Stromes einen Tropfen,

Der am Throne Gottes fleußt?


Trunken kniet' ich, wann der Reigen kniete,

Betend, himmelan geführt,

Küßte manche Knosp' und manche Blüthe,

Die dein wallend Kleid berührt.
[142]

Lebe, lebe deine Pilgertage,

Gutes Mädchen, flitterlos,

Und dann komm' ein Himmelsboth', und trage

Deine Seel' in Gottes Schoos.


Und der Heiland lächl' auf seinem Throne,

Wenn du dich dem Throne nahst,

Und Maria bringe dir die Krone,

Die du oft in Träumen sahst.


Gebe dir ein Lichtgewand! Vom Throne,

Wo der Menschenrichter thront,

Weh's herüber: frommes Mädchen wohne,

Wo die fromme Laura wohnt.
[143]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 142-144.
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