Siegeslied, bey Eroberung des heiligen Grabes

[168] Aus den Zeiten der Kreuzzüge


Im Siegesreigen tanzen wir,

Erlöser, an dein Grab,

Und tönen hohe Jubel dir,

Und schauen froh hinab!


Beschattet von dem Felsgesträuch,

Umtaumeln wir die Gruft,

Und streuen manchen Palmenzweig

Frohlockend durch die Luft.


Dein Vater sah von seinem Thron

Herab auf unsre Schlacht,

Und alle Saracenen flohn,

Und fühlten Gottes Macht.


Der Kison rieselt purpurhell

Vom Saracenenmord,

Und blutig wallt Siloa's Quell

Durch seine Binsen fort.


Wohl uns! die Siegerfahne tanzt

Von Golgatha herab,

Und rauscht, auf einen Fels gepflanzt,

Hoch über Jesus Grab!


Ein Engel trat, in Feur gehüllt,

In unsre Vorderreihn,

Das Schwert, das seine Rechte füllt,

Blinkt' auf den Feind hinein.
[168]

Und eine Purpurfahne flog,

Wie Gottes Lichtgewand,

Bald niedrig, und bald wieder hoch,

In seiner linken Hand.


Mit seiner Purpurfahne Wehn

Kam Sieg auf unser Heer;

Dem Feind, kaum hatt' er ihn gesehn,

Entbebte Schwert und Speer.


Vom todeskalten Gottesschaur

Ward er hinweg geweht,

Und unsre Fahn' auf deiner Maur,

Jerusalem, erhöht.


Von unsern Schultern blinkt das Kreuz,

Von unsern Fahnen blinkts;

Der Christenunterjocher scheuts,

Und wo es weht, da sinkts!


Da ist, hebt das Gemetzel an,

Der Knabe selber Held;

Da blitzen wir den Muselmann

Zurück vom Waffenfeld!


Beflügle fürder unsre Wehr

Mit deinem Rächerblitz,

Und donnre dieser Mörder Heer

Aus deinem Lieblingssitz!


Flieg' immer, hohes Kreuzpanier,

Den frommen Christen vor,

Und rausch' in Salem für und für

Jehova's Lob empor!
[169]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 168-170.
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