2. Ritter Fis von Quinten

[446] Welche Triller, welche Läufe,

Dringen aus dem Busch, dem grünen?

Klingt es doch wie Sterbeklaglaut!

Aber singt man, wenn man abfährt?


Tulifäntchen kam getrabet,

Sprang behend vom Ohr des Schimmels,

In das Dickicht, ohne Bangen,

Abenteuerdurstgequälet,

Schritt der Held, Don Tulifäntchen.


Blut'ge Steine! Roter Rasen!

Einen Jüngling, bleich zum Tode,

Trug das rote Bett von Rasen.

Tulifäntchen flog zum Wunden,

Sprang auf seine Brust mitleidig,

Neigte sich zum Ohr des Blut'gen,

Und er wisperte ins Ohr ihm:

»Sprich, wer bist du? Wer erschlug dich?

Kann ich helfen? Kann ich noch dir

Was erzeigen? Liebes, Gutes?«[446]

Sprach's. Da griff der Todeswunde,

Welcher war ein Mann des Sanges,

Mollakkord' auf der Gitarre,

Die er hielt in seinem Arme,

Präludierte, sang. Er sang es

Mit dem reinsten, schönsten Vortrag:


»Nicht kannst du mir helfen, Kleiner,

Liebes, Gutes nicht erzeigen.

Mich ereilt der Tod inmitten

Meiner harmonieenschwangern,

Sang- und klangdurchrauschten Tage;

Sieh das Blut in meinem Schopfe,

Fühl im Schädel dieses Loch!«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Nenne deinen Mörder, Jüngling,

Denn ein Rächer jeder Unbill,

Steht, ich bin's, auf deinem Busen.

Fielst du nicht in gleich-gerechtem

Ritterkampf von Hieb und Stoße,

Schlug dich ein Verräter meuchlings,

Räch' ich dich. Bei meiner Ehre

Sei's geschworen, wisse solches!«


Sang der blut'ge Gitarriste:

»Solfeggierend zog durchs Land ich,

Da vernahm ich, daß Prinzessin

Balsamine sei forcierter

Maître eines dummen Riesen.

Wisse nun, daß ich der Kön'gin

Mich zum Dank verpflichtet fühlte.

Als ich unversehns gekommen

Jüngst ins Land, ins Reich der Weiber,

Schenkte sie das Leben mir

In Betrachtung des Tenores,

Den mir die Natur verliehn.

Drum den notgedrungnen Unter-[447]

richt (die Arie heischt die Unter-

brechung, wie gar oft, des Wortes)

Jene Zwangslehrstunden, sag' ich,

Aufzuheben, schwoll das Herz mir.

Nicht mit Schwert noch Spieß bewehrt' ich

Meine kunstgeweihten Hände;

Nein, der Macht der Töne traut' ich.

Ein Konzert wollt' ich im Schlosse

Jenes Riesen geben, hoffte,

Im Gewühl der Menschen leichtlich

Zu entführen die Prinzessin.

Als ich angelangt vorm Schloßtor,

Saß der Riese Schlagadodro

(Dieses ist des Untiers Name)

Auf der Zinne seiner Mauer,

Wie er pflegt zu tun nach Tische,

Gähnte, blinzte mit den Augen.

Ich sang ihn mit meiner größten

Arie an, und bat um Einlaß,

Nannt' ihn alles Schönen Fördrer,

Nannt' ihn geistreich und gemütvoll.

Doch der Riese rief mit rohem

Spott: 'Ich hatte mytholog'sche

Stunde just bei der Prinzessin,

Und vernahm von jenen Wundern,

Welch' in alten finstern Zeiten

Deiner holden Kunst gelungen.

Hat sie Steine aus dem Bett nicht

Nach der Töne Klang gezogen?

Dies Mirakel wiederhole

Heut sich in der jüngsten Sonne!'


Sprach's; und eh' ich konnte ducken,

Hat das Ungeheu'r den größten

Stein gerissen aus dem Turme,

Hat ihn mir aufs Haupt geschleudert,

Daß die Stirn zerbarste klaffend.

Hieher schleppt' ich mich im Blute.[448]

So, als Opfer halber Bildung,

Mißverstandener Antike,

Fiel der Ritter Fis von Quinten,

Fiel der Ritter vom Tenore.«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Warum singst du stets, mein Guter,

Singst noch in der Todesstunde?«


Sang der Ritter Fis von Quinten:

»Weil ich nichts versteh', als dieses.

Schon als Knab' im weißen Jäckchen

Merkt' ich, was der Welt behaget,

Danach hab' ich mich geschicket.«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Ist es wahr, was mir ein düstrer

Spötter zugeraunet jüngstens?

'Unsre Welt verlangt mitnichten',

Sagt' er, 'mehr nach Geist und Größe,

Sinn und Tiefe, Tatenmarke,

Denn sie gähnt in der Tragödie,

Denn sie gähnt im kühnen Lustspiel,

Denn sie gähnt bei dem Gedichte,

Und bei dem Gespräche gähnt sie,

Gähnet über Männer, gähnet

Über Helden, Gott und Himmel.

Diese alte Gähnevettel',

Sprach der düstre Mann voll Ingrimm,

'Hält nur noch die Augen auf,

Wenn die wollustmüden Nerven

Eine Opernarie kraut.'

Wunder Ritter, ist dem also?«


Sang der Ritter vom Tenore:

»Diesem ist so, ja, gottlob!

Darum lernt' ich, was jetzt not tut,

Lernte singen, nichts als singen,[449]

Sang mich in den Arm der Frauen,

Sang mich in der Großen Palast,

Sang mich in der Kön'ge Prachtsaal.

Wo ein Wen'ges von gesundem

Menschenwitze wollte keimen,

Sang ich nieder diesen Erzfeind

Aller Sänger, nieder siegreich.

Sprechen hab' ich ganz vergessen,

Und beinah das Denken gleichfalls.

So ward ich zum reinen Tone,

Ward zum wandelnden Akkorde.«


Schmetternd schlug ein runder Triller

Aus dem Mund des Gitarristen

Gleich dem Blitz in blaue Lüfte,

Wurde schwächer dann und bebte

Aus im Bock, dem sogenannten.

Dieser erste Fehler kündet

An des Sängers letzte Stunde,

Nieder sinkt das Haupt, gebrochen

Starr'n die Augen, fälschlich trillernd

Stirbt der Ritter Fis von Quinten,

Stirbt der Ritter vom Tenor.


Tulifäntchen saß beweget

Auf der Brust des Toten, weinte:

»Rächen will ich Fis von Quinten,

Retten will ich Balsaminen!«


Kam ein Bauer, seufzt' und klagte:

»Niedertritt mein Korn der Riese,

Ach, wer hilft, wer hilft mir Armen?«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Ich will diesem Bauer helfen,

Ich will rächen Fis von Quinten,

Ich will retten Balsaminen.«[450]

Kam ein Schäfer, seufzt' und klagte:

»Ach, der Riese stahl das Schaf mir!

Ach, wer schützt, wer schützt mich Armen?«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Ich will diesen Schäfer schützen,

Ich will jenem Bauer helfen,

Ich will rächen Fis von Quinten,

Ich will retten Balsaminen.«


Kam der Apfelbaum gewackelt:

»Riese frißt all meine Äpfel,

Ach, wer schirmt die Zweig' am Stamme?«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Ich will deine Zweige schirmen,

Diesen Schäfer will ich schützen,

Jenem Bauer will ich helfen,

Ich will rächen Fis von Quinten,

Ich will retten Balsaminen.«


Kam die Luft heran und klagte:

»Mich zerreißt der Ries' mit Schnarchen,

Ach, wer heilet mich, die Arme?«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Heilen will ich Luft mit Blute,

Schirmen Apfelbaumes Zweige,

Diesen Schäfer will ich schützen,

Jenem Bauer will ich helfen,

Rächen will ich Fis von Quinten,

Und erretten Balsaminen.«


Sank die Sonn' herab und klagte:

»Mir wird übel von dem Riesen,

Wer bringt ihn mir aus den Augen?«[451]

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Süßer, goldner Quell des Tages,

Ich will bergen ihn im Grabe!«


Auf vom Leichnam sprang begeistert

Unser liebenswürd'ges Heldchen.

Bauer betet, Schäfer betet

Für den Paladin, den kleinen,

Apfelbaum wirft ihn mit Blüten,

Luft, gleich einer Siegesfahne,

Wehet vor ihm her gewaltig,

Sonne sieht ihm günstig lächelnd

Nach auf seinen großen Bahnen.


Schlaf in Frieden, Fis von Quinten,

Hoff Erlösung, Balsamine!

Zittre, zittre, Schlagadodro!


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 1, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 446-452.
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