[267] Glebof. Kikin. Dolgoruki. Abraham Lapuchin in Trauer Erzbischof von Rostow. Viele Bojaren. Sie treten nacheinander ein.
KIKIN.
Guten Morgen, Glebof.
DOLGORUKI.
Wir begrüßen dich.[267]
LAPUCHIN.
Der Zeiten Not zwingt Lapuchin zu dir.
ERZBISCHOF.
Ich geb' dir Gott zum Gruß.
DOLGORUKI.
Er hört uns nicht.
ERZBISCHOF.
Was? Ist er so vertieft?
Er rührt ihn an.
Sieh auf, mein Sohn.
GLEBOF emporblickend.
Wer ist? ... Mein Gott! Hochwürd'ger Erzbischof,
Wie komm' ich ...
Er steht auf.
All Ihr Heiligen! Verzeiht
Sehr edle Herrn! Ich hab' Euch nicht bemerkt.
Wenn ich bei meinen Büchern bin, ist nur
Der träge Leib am Platz; die Seele wandert,
Wohin die Lettern sie geleiten; oft
Hat dies vertiefte und zerstreute Wesen
Mich lächerlich gemacht. – Seid mir gegrüßt!
Welch' eine vornehm glänzende Versammlung
In Eures armen Dieners Haus! Ich seh'
Die Blüte Rußlands.
Zu Kikin.
Gebt mir Eure Hand,
Herr Admiral!
Zu Dolgoruki.
Auch Eure, Generallieutenant.
Da beide ihre Hand zurückziehn.
Wie? Weigert Ihr dem Freunde dieses Zeichen?
KIKIN.
Der Admiral des Zaren ist nicht hier.[268]
DOLGORUKI.
Nennt nicht die Titel, welche jünger sind,
Als unser wahrer Ruhm.
EIN BOJAR.
Ich bin ein Narischkin.
Kein Mensch auf Erden kann die Narischkins
Erhöhn. Ihr Name ist das Höchste.
GLEBOF.
Wohl!
Ich rechte nicht mit so erlauchten Gästen.
Nach altem Brauche: Vettern, Brüder! also.
Stephan Iwanowitsch Glebof dankt von Herzen
Für den Besuch. Nun setzt Euch. Heda, Mundschenk!
KIKIN.
Wir haben schon gefrühstückt. Laßt's.
GLEBOF.
Setzt Euch
Denn mindestens.
Sie setzen sich. Lapuchin unten.
Da unten, Lapuchin?
Nein Abraham, nicht unten ist dein Platz.
Den Ehrenstuhl für Abraham Lapuchin!
LAPUCHIN.
Soll Schand' auf einem Ehrenstuhle sitzen?
GLEBOF.
Du edler Trauernder!
LAPUCHIN.
Ich trage Schwarz
Um meiner Schwester Los. Wollt' Gott im Himmel,
Ich hätte keine andre Trauer, Glebof![269]
GLEBOF.
Heut ist ein Tag, an dem mein Glück gelacht.
Mich dünkt, du sahst mir scheel, mein Abraham,
Und miedst den Freund. Doch das ist nun vorüber,
Denn Lapuchin sitzt auf des Glebof Stuhl.
LAPUCHIN.
Ich setzte mich auf deinen Stuhl, wie ich
Auf einen Balken mich mit meinem Todfeind
Im Schiffbruch setzen würde. Spottest du?
Ich bin ein Mann von alter, reiner Art,
Verstoßen hat der Zar Eudoxien,
Glebof hat sie beschimpft.
GLEBOF die Hand am Säbel.
Dies Wort verdient ...
Dolgoruki Laßt Eure Zänkerein!
GLEBOF.
Ja wohl, ja wohl.
Er ist an seinem Tische stehn geblieben.
Nun, was ist Eu'r Begehren, meine Herrn?
ERZBISCHOF.
Du weißt, welch' eine Post mit Feuerschritten
Durch Moskaus Straßen ging. Der Schutzverwandte,
Der Bürger, Gast, Kosak und Hattaman,
Stadthäupter, Älteste, Bojarenkinder,
Sie alle rufen: »Unser Zar ist tot!«
Zum dritten Mal auf Fahrt nach fremdem Land,
Ich weiß nicht, welche fremde Kunst zu holen,
Dem falschen Meere lieber sich vertraund,
Als Rußlands treuer Erde, schlang ihn ein
Das falsche Meer.[270]
GLEBOF.
Ihr habt's vorhergesagt.
ERZBISCHOF.
Unsel'ge Ahnungsgabe! – Stirbt ein Fürst,
Versammeln sich des Reichs geborne Pfleger
Gemeiner Wohlfahrt halber. Drum sind wir
Vereinigt. – Wir entschlossen uns, auch dich
In unsern Rat zu ziehn.
GLEBOF.
Ihr? Mich? – Recht gut.
Indes ...
Nach einer Pause.
Ich bin der General des Zaren.
ALLE.
Was?
GLEBOF kalt.
Menzikof verwaltet loco regis
Mit Katharinen dieses Land. Sie sind
Die treu'n Gefäße seines höchsten Willens.
DOLGORUKI.
Kath'rina! Menzikof!
KIKIN.
Siehst Du? Er meint
Es falsch. Ich sagte dir's.
GLEBOF.
Zu ihnen geht,
Und fragt, was der, wie's heißt, ertrunkne Zar
In casum mortis angeordnet.
LAPUCHIN.
Kommt!
Bojaren auf!
Sie sind im Begriff aufzubrechen.
[271]
GLEBOF.
Halt, einen Augenblick!
DOLGORUKI.
Was willst du noch von uns?
GLEBOF.
Daß Ihr die Lobschrift
Vernehmt, die auf den Toten ich entworfen.
ALLE.
Die Lobschrift?
GLEBOF mit erhobner Stimme.
Nun? Soll ein so großer Mann
Denn ungerühmt zum Grabe gehn? Das wäre
Stumpfsinn von uns, den er so oft gescholten.
LAPUCHIN.
Ich sage, kommt nach Haus!
DOLGORUKI.
Ich sage, bleibt!
Ich wittr' ein Schauspiel.
GLEBOF beiseite.
Recht. »Die Narrn des Glebof.« –
Er nimmt ein Papier vom Tische und beginnt zu lesen.
»Lobschrift, verfaßt mit ungeschickter Feder
Von Stephan Glebof, auf den großen Zar.«
EINIGE.
Sind wir um Possen hier?
ANDRE.
Still! Still! Hört zu.[272]
GLEBOF liest.
»Rußlands Bojaren zogen auf im Land,
Ein jeder mit zehntausend Pferden mindstens. –
Rußlands Bojaren setzten Herrscher ein,
Und Herrscher ab. Aus ihrem Munde floß
Die Quelle der Gesetze. Also war's. –
Da kam ein Zar, hieß Fedor. Dieser ließ
Die Bücher bringen auf den heil'gen Kreml,
Worin verzeichnet unsre Titel, Vorzüg',
Und unser uraltfestgewalt'ges Recht.
Zar Fedor sprach: ›Entzündet mir ein Feuer!‹
Und als das Feuer lodert' im Kamin,
Da warf der Zar die Bücher all' hinein,
Und sprach: ›Hiemit verbrenn' ich Euer Recht.‹ –
Der Roßrad flog als Asche in die Luft,
Und die Bojaren sahn's und blieben stumm.«
EINER.
Ich nicht. Ich murrt'.
GLEBOF.
Ja doch, und sprachst kein Wort.
Liest.
»Dann kam ein Zar, hieß Peter. Dieser fand
Nur Sklaven von der Newa bis zum Don.
Ein Großer und Gewalt'ger! Sprach: ›Ich will
Der Knechte ganzer Herr sein! – Ihre Körper
Gehorchen schon, nun soll'n die Seelen auch,
Wie Puppen, tanzen an des Lenkers Draht.‹
Fuhr übers Meer nach Holland, Frankreich, Deutschland,
Und – lernte Schiffe baun: Der große Mann!
Und – lernte schmieden Erz: Der große Mann!
Und weil er's vorgelernt, so sollten's ihm
Nachlernen die verkleinerten Bojaren,
Und werden Schmied' und Zimmerleut' ...«
Bewegung in der Versammlung.
[273]
ERZBISCHOF.
Ein Lob,
Das kann man gelten lassen.
DOLGORUKI.
Warum uns
Bekannte Schand' erzählen?
MEHRERE.
Weiter! Weiter!
GLEBOF liest.
»Die Fürsten waren ungefüg, und lernten
Langsam das edle Handwerk. Alsobald
Ließ dieser große Mann von fern herbei
Sich schnell're Köpfe kommen, bess're Schüler.
Da strömt' es über unsres Reiches Grenzen
Aus England, Welschland, Frankreich. Fremde führten
Das Heer; das doppelaar'ge Siegel; Fremde
Führten die neugeschnitzte Flott'. Was sag' ich?
Fremd war ja niemand hier, als just der Russ'!
Nicht alle Russen, nein nicht alle! Nur,
Was hoch und herrlich war! Nein, mit dem Staub
Auf heim'schem Boden, schloß der große Mann
Ein innig Wahlverbündnis. In die Hand
Nahm er hier Staub, dort Staub, und formte draus
Gewalt'ge Untergötter! –
Weil Alexander Menzikof sehr schmackhaft
Pasteten buk, war er nach dem Geschmack
Des großen Manns, und ist ein Fürst. Und weil
Die Witwe des Dragoners schöne Augen
Besaß, taugt sie – das Aug' des Reichs zu sein.«
Die Bewegung in der Versammlung ist immer stärker geworden.
EINIGE.
Ha wackrer Glebof![274]
ANDRE.
Guter Lobredner!
EINIGE.
Tod diesem Menzikof!
ANDRE.
Tod Katharinen!
DOLGORUKI.
Tod dem Tyrannen!
GLEBOF ihn scharf fixierend: lachend.
Ei, der ist ja tot!
Liest.
»So schändete der Zar ...«
EINIGE.
Ihr sollt nicht mehr
Vom Zaren lesen!
ANDRE.
Sollt uns führen!
ALLE außer Kikin, Dolgoruki, dem Erzbischof und Lapuchin.
Sollt
Des Unternehmens Haupt sein.
Sie erheben sich.
GLEBOF.
Das klingt anders.
DOLGORUKI.
Hört mich, Bojaren!
LAPUCHIN.
Nicht im Sturme ...
KIKIN.
Halt![275]
GLEBOF wirft das Papier zu Boden.
Wer ruft hier: »Halt!« wenn ich gebiete: »Vorwärts!«
Er zieht den Säbel. Die Bojaren desgleichen, bis auf Kikin, Dolgoruki, Lapuchin.
Die alte Moskau, unser Heiligtum,
Ward zur verhöhnten Wüste! In dem Qualmsumpf
Der Newa baute der Despot die Zwingburg!
Wir sind gekränkte Bettler! Um den Thron
Des Rurik wuchern Pilze! In dem Kreml
Seufzt unsre Hoffnung, unsrer Bräuche Freund!
Gehaßt, weil er uns liebt, beschimpft, weil er
Uns Ehre gönnt! Hochherzige Bojaren,
Folgt mir zum Zarewitsch!
Sie wenden sich nach der Türe.
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Alexis
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