Erste Szene


[286] Gemach bei Glebof.

Eudoxia ruht mit geschloßnen Augen in einem Lehnstuhl.

Glebof steht zur Seite, düster, in sich gekehrt.


GLEBOF.

Der erstgeborne Teufel, der Regent

Der andern all', heißt Ungenügsamkeit! –

O mir ist weh! – Mein junges Weib ging von mir.

»Stephan,« sprach sie, und blickte stolz auf diese,

»Ich will in meines Vaters Haus zurück.«

»Natalia«, sagt' ich, »warum das mir?« – »Stephan,

Du weißt es ja.« –

Ja wohl, ich weiß es. Oh! – –

Nach einer Trän' in ihrem Auge späht' ich,

Sie sah gelassen aus. Ich schwör': der Schmerz[286]

Besaß die zarte Brust wie ein Tyrann,

Doch weint sie nie! Sie hat gelächelt, als

Des Pfuschers Hand sie folterte. – So ging

Sie ohne Abschied, schweigend, leise, wie

Ein Traum der Unschuld uns verläßt, wenn uns

Die Nacht zurückgetäuscht in alte Reinheit.

O Gott, welch schwarzer Böse wicht bin ich!

Ein König gäbe seine Kron' um sie!

Ein Heil'ger fühlte seine Seligkeit

Erhöhter, säh er sie! – Und ich verwarf sie!

Es ist ein Glück für sie. Nur keine Reu!

In dieser Brust gedeiht bloß Lolch und Schierling.

An unser männlich Werk!


Er nähert sich Eudoxien und berührt sie.


Eudoxia!

EUDOXIA fährt heftig empor.

Zerschmolz das moskowitsche Eis?

GLEBOF.

Die Guten!

Ihr habt sie so gerührt. Bist du denn endlich

Nun bei dir selbst? Kannst du ein ruhig Wort

Vernehmen?

EUDOXIA.

Aus dem Palast weggestoßen

In schale Wüstenei! ...

GLEBOF.

Um eine Buhl'rin.

EUDOXIA.

Gekröntes Gestern, ausgehöhntes Heut!

Beschimpft, zerfetzt ...

GLEBOF.

Ein pflichtgetreues Weib.

EUDOXIA.

Aus tausend Wunden blutend ...[287]

GLEBOF.

Um 'ne Buhl'rin.

EUDOXIA.

Zerrbild 'ner Königin! ...

GLEBOF.

Tod und Elend!

EUDOXIA.

Spott!

Belachte Schmach! Zielscheib' des Ärgernisses!

O Glebof, kalter, frecher, höhn'scher Glebof,

Mir ist hart mitgespielt!

GLEBOF.

Gib dich nur hin

Dem eitlen Wortgeräusch! Verdirb die Zeit,

Die unersetzliche, mit leerer Klage!

Verstöre meinen Plan, zerbrich mein Werk!

Mich dünkt, schon naht auf tück'schen Augenblicks

Windflücht'ger Schwinge das Verderben.

EUDOXIA.

Glebof!

Ach, warum schicktest du den Boten mir

In Susdals Gruft, und hießest mich zum Leben,

Zur Hoffnung neu erwachen? Sieh, die Schlangen,

Die mir das Blut vom Herzen abgetrunken,

Waren eingeschlafen in dem Moderduft

Von Susdals Halle. Weh! Im Strahl des Lichts,

Am Frühlingswehn der Freiheit wachen auf

Die Nattern all', und ach, mein Herz hat Blut noch,

Des Bluts zu viel. Will das nicht enden? Glebof,

Wälz' deine glühnden Blicke nicht so zornig

Auf die zertretene Eudoxia!

Weißt du, wie mir zumut?[288]

GLEBOF.

Und weißt denn du,

Wie mir zumut, seitdem ich hab' getragen

An deiner Liebe Joch?

Weißt du, wie mir zumut, wenn meine Lippen

Auf deinen Lippen ihre Gluten suchten,

Und nur Verwünschung fanden deines Feinds,

Und Sehnsucht nach dem alten Glück? – Weißt du,

Wie mir zumut, wenn lechzend deine Seele

Ich in die meine ganz zu ziehen dürstete,

Und dursten mußt' und dursten, weil dir die

Gedanken nur wandern gingen in des Zaren Haus?

Weißt du, wie mir zumut, wenn ich mir sagte:

Sie liebt dich nicht, sie feilscht mit ihren Küssen

Sich den Genossen!

EUDOXIA.

Glebof!

GLEBOF.

Fluch dem Band,

Das uns verknüpft! – Bei meinem Stamm! Wenn du

Noch säßest auf dem Thron im Kreml, und wenn

Glebof dem Throne nahte, Liebe flehnd,

Du stießest mit dem Fuße mich hinweg,

Und sprächst: »Was willst du, Wurm, von deiner Zarin?«

EUDOXIA.

Stephan!

GLEBOF.

Es mag drum sein! – Das fehlte noch.

Ich hielt mein Herz, und halt's mit eh'rner Faust,

Und will es schrein, so drück' ich's, daß es stumm

In seinen Qualen zuckt. Wir stehn zu hoch

Für Schäferleid und zarten Torenzwist.

Ich bin gefaßt, und will Vernunft von dir.

EUDOXIA.

Sprich, teurer Glebof, was ich soll?[289]

GLEBOF.

Heut abend

Versamml' ich alle Häupter bei Alexis.

Du trittst dann schwarz, in deiner Klostertracht,

Das Kreuz in deiner Linken, und die Krone

In Deiner Rechten haltend, vor den Sohn;

Beugst ihm das Knie, und rufst, wie in Begeistrung:

»Heil unsrem Zar Alexis Petrowitsch!

Huldigt, Bojaren, Eurem wahren Herrn!«

Ich sorge für das übrige.

EUDOXIA.

Bin ich

Denn nicht vorhanden?

GLEBOF.

Das ist Eure Weisheit

Von heute früh.

EUDOXIA.

Warum dem Sohn die Herrschaft?

GLEBOF.

Ich will's! – Und hier die Gründe. Weil nur er

Die Stimmen all' besitzt, sobald die Deine

Mit in des Jünglings Waage fällt. Weil uns

Furchtbare Not einmüt'ges rasches Handeln

Gebietet ... Weil der Sinne Spaltung uns,

Die mind'ste Zögrung in den Abgrund stürzt,

Weil ...

EUDOXIA.

Weil? – Du stockst?

GLEBOF.

Eudoxia, ich muß

Ein großes Wort Dir sagen ...

EUDOXIA.

Sprich.[290]

GLEBOF.

Ich wag'

Das Heil der Sache.

EUDOXIA.

Weil ...

GLEBOF.

– Der Zar noch lebt!

EUDOXIA.

Er lebt?

GLEBOF.

Er lebt. Sei stark. Beweise Dich

Als sein gewes'nes Weib, und fürchte nicht,

Den alle fürchten. Hör' mich aus. Die Memmen,

Sie hätten nichts gewagt an dem Lebend'gen,

So band er alle Geister zauberisch.

Drum hab' ich ihn getötet mit dem Munde.

Nun atmen sie, nun wagen sie, den Arm

Zu regen. Und bevor sein mächt'ger Fuß

Auf Rußlands Boden tritt, ist umgewandelt

Die Form des Reichs, sind Volk und Truppen schon

In Eid und Pflicht genommen, und Verzweiflung

Wird die Bojaren in dem Kampfe stärken,

Der uns bevorsteht. Es gilt Haupt und Leben

Für jeden dann. Unrettbar bloßgestellt

Hat jeder sich.

EUDOXIA.

Er lebt!

GLEBOF.

Seit Jahren sann

Ich auf den Augenblick, wo was zu wagen.

Und wie der Sternekundige nicht müd wird,

Den Lauf der Lichter

Am Firmament zu schaun; Planetenbahnen

Auszustudieren und Kometenirrläuf',

So schaut' ich unverwandt in unsre Nacht,[291]

Auf Rußlands ernsthaft-wandelnde Planeten,

Wildschweifende Kometen, kleine Monde;

In den Gesetzen ihrer Bahnen still

Sie zu erforschen. – Nun, ich weiß genug.

Vom Höchsten bis zum Niedrigsten durchdrang

Gährung die Herzen.

Was Russ' ist, steht zu uns. Und drüben sind

Glücksritter nur und eingedrungne Fremde.

Fern schwimmt der Zar auf seinem Meer. Die Truppen

Sind aus dem Land nach Mecklenburg.

Der Schwede Karl droht an der Grenze. Will

Das Schicksal uns beschützen, hat es jetzt,

Jetzt oder nimmer die Gelegenheit.

EUDOXIA.

Er lebt!

GLEBOF.

Ich hab's gesagt. Werd' ich's bereun?

EUDOXIA.

Was sprichst du da? Kennst du Eudoxien nicht?

Er lebt! Nun jauchze Herz! Weht, Wünsche, weht,

Wie rote Siegesfahnen über Trümmern!

Ich wähnt' ihn tot, da mußt' ich wohl verzweifeln;

Nur seinem Schatten sandt' ich eiteln Haß

Unmächtig nach ins nie erreichte Haus

Der ew'gen Finsternis! Er lebt! Ich kann

Ihn in Gedanken morden, martern! Was

Lebendig, steht in dem Bereich der Rache.

Jetzt schöpf ich Luft, jetzt hoff' ich schöne Tage,

Ich lieb' mein Leben, Zar, weil du noch lebst!


Zu Glebof.


Zum letztenmal vermummt, mit Kreuz und Schleier

Erwart' ich dich.


Sie geht.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 4, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 286-292.
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