[489] Zimmer in der Festung. Im Hintergründe ein Alkoven, den ein Vorhang von dem Zimmer trennt. Der Vorhang ist aufgezogen. Im Alkoven auf einem Ruhebette Alexis schlafend. Der Arzt und Oberst Schepelew im Zimmer.
SCHEPELEW.
Zehn Stunden schon! Ist dies sein Todesschlaf?
ARZT tritt zu Alexis und legt die Hand auf dessen Brust.
Das Herz hält gleichen, abgemeßnen Schlag,
In Leib und Gliedern wohnt, gemäßigt, Warme.
Mein Mittel wirkt', er wird gesund erwachen.[489]
SCHEPELEW.
Ich furcht' mich vor dem Augenblick. Das Elend,
So auf des Armen Scheitel sank gehäuft
Mit Überlast, wird sein entsetzlich Antlitz
Dem Unglücksel'gen zeigen. Alles traf ihn!
Auch jenes Mädchen legte Hand an sich,
Erschütternd klang die Meldung. – Lieber Doktor,
Ihr hättet ihn nicht heilen soll'n.
ARZT.
Das Fern're,
Wenn sich die dreiste Wirklichkeit herzudrängt,
Vermag ich nicht vorherzusehn. Fürs erste
Seid ohne Sorgen. – Dieser wird allein
Von seinem Siechtum wissen.
SCHEPELEW.
Von nichts andrem?
ARZT.
Des Menschen Brust faßt nur ein Maß von Leid,
Was drüber geht, zerstört ihn scheinbar. Krankheit
Benennt es unser Wahn; es ist die Hülfe.
Denn Einbildung schwingt sich aus den Ruinen,
Und löst den Druck in ferne Schatten auf,
Mit denen träumrisch spielt die freie Seele. –
Hier war der Qualen übervoller Kelch!
Was sonst der ganze schmerzbestimmte Kreis
Der Sterblichen verteilt zu tragen hat,
Entbehrung, Härte, Raub der süßen Liebe,
Schiffbruch des Zutrauns, Irrtum und Enttäuschung,
Furchtbarer Gegensätze Widerstreit
Hat man gelegt auf dieses einen Schulter.
Ihm werden's nicht'ge Fieberbilder sein.
SCHEPELEW.
Meint Ihr, daß ich dem Zar das melde?[490]
ARZT.
Tut's!
SCHEPELEW.
Er ist schon auf dem Weg vom Schloß.
ARZT.
So eilt!
Schepelew ab.
Du zeigtest mir die Furie, die sich grinsend
An meinen würd'gen frommen Kreis heranschleicht!
Er nähert sich dem Alexis.
Da liegt der Leib, für welchen tausend Kräfte
Seit Ewigkeiten zueinander strebten!
Dann mußt' in sie versenken sich der Hauch,
Mächt'ger, denn jede Kraft. Da liegt der Leib,
Den ich erhielt mit tiefer Wissenschaft,
Schlafloser Nächte müherrungner Beute!
Ruchlose Menschen, wißt ihr, was ein Mensch ist?
Wagt einzureißen ihr, wo ihr nicht baun könnt?
ALEXIS erwacht.
Fedor, mein Morgenkleid!
ARZT.
Er ist in Moskau.
Nun gib mir Stärke, mein Beruf!
ALEXIS.
Wo ist
Denn dieser Lässige?
Er erhebt sich und kommt in den Vordergrund.
Verhängt das Licht!
Ist's spät am Tag? Wo bin ich? War ich krank?
Wer seid Ihr?
ARZT.
Euer Arzt.[491]
ALEXIS nachsinnend.
So war ich krank.
Er setzt sich.
Die stille Mattigkeit! Und doch so frisch,
So neugeboren; liebliches Gefühl!
Er sieht sich um.
Ich kenne dieses Zimmer nicht.
ARZT.
Es liegt
Im fernsten Teil des Kremlins, abgesondert
Von jedem störenden Geräusche.
ALEXIS in die Ferne schauend.
Dort
Wenn ja so viele Flaggen.
ARZT.
Fischerkähne,
Die auf der Moskwa hergeschwommen sind.
Er verhängt das Fenster.
ALEXIS.
Die großen Segel auf den kleinen Nachen? –
Auch wir entfalten hoher Zuversicht
Gewaltig-schwellende Segel allen Winden,
Das Boot, darin wir fahren, ist nur schmal. –
Ihr seid mein Arzt?
Der Arzt macht eine bejahende Bewegung.
Ihr habt ein gut Gesicht!
Kennt' ich Euch näher, fragt' ich Euch nach jemand.
ARZT.
Sie ist – verreist.[492]
ALEXIS.
Verreist? Jetzt, da ich litt?
ARZT.
O zürnt der armen Abgereisten nicht!
Ich hoff' – Ihr seht sie wieder.
ALEXIS.
Sicherlich.
Wenn sie nicht kehrt, reis' ich ihr nach.
Ausgewählte Ausgaben von
Alexis
|
Buchempfehlung
Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro