Neuntes Kapitel
Das Freigericht und was diesem folgte

[709] Oswald trat in einer seltsamen Stimmung aus der Türe des Oberhofes. Ihm wäre wohler gewesen, so bedünkte es ihn,[709] wenn er Lisbeth im Sarge vor sich gesehen hätte, dann wäre er jammernd über den Sarg gestürzt, hätte auf den erstarrten Lippen mit seinen Küssen einen kurzen Schein der Lebenswärme hervorgerufen, hätte sich das Herz in Tränen totgeweint. Aber ein Albernes, eine Grille, etwas unbegreiflich Dummes schied ihn von ihr, oder etwas noch Schlimmeres, eine plötzliche Reue über den rasch geschlossenen Bund; so mußte er auch glauben. Der Zorn, der Schmerz über diesen unsichtbaren Feind, über einen dumpfen und stumpfen Zauber, den er nicht lösen, ja nicht einmal anfassen konnte, fraß ihm tief in die Brust hinein. – »Ein leichtes, veränderliches Mädchen, die heute sich hingibt und morgen sich spröde versagt!« murrte er ingrimmig und empfand es wie ein scharfes Messer in seinen Eingeweiden, daß er solche Worte sprach. Es fiel ihm nicht ein, daß er ein großer Graf und Lisbeth ein armer Findling sei, daß dieses verlassene Mädchen auch ihr reichstes äußerliches Glück in der Ehe mit ihm finden müsse; in seinen schwärmerischen und wütenden Gedanken sah er sie hoch über sich. Er war der niedere Schäfer, sie die Prinzessin, die ihn nach Willkür an sich gezogen hatte, nach Willkür ihn nun verstieß. In so furchtbarer Gemütsverfassung, in so bitterer Pein fand er das große Gesetz der Liebe, welches dem Liebenden ewig seine Stelle zu den Füßen der Geliebten anweiset, und wäre diese eine aus dem Staube hervorgegangene Bäuerin. Habe du die Schätze des Moguls, grüne der Lorbeerkranz des Ruhmes um deine Schläfe, führe du Salomos geisterbeherrschenden Ring, kröne dich der Reif der Hoheit, die Geliebte wird, und nicht im abgeschmackten Gleichnis, sondern in der Wahrheit und Wirklichkeit deine Königin sein, demütig wirst du den zaubergewaltigen Ring in ihren Schoß legen, der Kranz wird dich drücken in ihrer Nähe, ein Bettler wirst du immerdar bleiben vor ihr, und auch als König ein Sklav'.

In solchen ausgeweinten, ausgeleerten, ausgenüchterten Stunden ergreift den Menschen eine wilde Gleichgültigkeit und zugleich schärft sich in ihm eine Art von gedankenlosem Merken auf die unbedeutendsten Dinge. An der Stelle, wo du verzweifeltest, sahst du, ob ein Grashalm so oder so gebogen war, du wußtest, daß an dem Busche, der da stand, zwanzig[710] Knospen aufgebrochen waren, genau so viele, nicht mehr und nicht minder, du könntest den Hirten, der gerade seine Herde dem Platze vorbei trieb, lange nachher aus der Erinnerung malen, so genau beobachtetest du seinen Rock, den messingenen Kamm im Haar und seine nichtsbedeutenden Gesichtszüge. Du verwünschest dein Geschick, und erkennst während deiner schäumendsten Flüche, daß der Vogel, der dort in weiter Entfernung auf einem dürren Aste sitzt, eine Krähe ist und nicht eine Dohle.

Oswald war gleichgültig über alles geworden und wäre mit seinem juristischen Freunde abgereiset, hätte sich dieser jetzt am Oberhofe eingefunden. Aber er sah auch mit den verwachten und geröteten Augen alles, er hörte alles, was um ihn vorging. – Vor dem Hause stand der Hofschulze mit einem anderen Bauern im Gespräch. Sie standen mit dem Rücken gegen die Türe, so daß sie den jungen Grafen nicht bemerkten. – »Hofschulze«, sagte der Bauer, »es kann doch nun einmal nichts helfen, kommt also nur immerhin zum Stuhl, denn das Gericht muß gehegt werden auch ohne dieses.« – Der Hofschulze antwortete auf das anfangs mit einem tiefen Seufzer, dann sagte er so hohl, als steige die Stimme aus dem Grabe empor: »Ich will kommen, aber ich weiß nicht, ob es ohne das Schwert gelingen wird.« – Der Bauer ging seitwärts ab, der Hofschulze wandte sich um und Oswald sah, daß das Antlitz seines alten Wirtes ganz verfallen war. So blickte auch der Hofschulze in das zerstörte Antlitz seines jungen Gastes; sie warfen einander finstere und doch nichtssagende Blicke zu, und dann ging jeder seiner Wege; der junge Graf durch die Felder, der alte Bauer in das Haus. Auf seinem Wege sagte Oswald zerstört lachend: »Sie werden heute ihren Hokuspokus am Freistuhl machen; ich will mich verstecken und zusehen, was kann der Mensch Besseres tun, als etwas Neues beobachten?«


Nicht lange nach diesem Auftritte wanderten zehn bis zwölf Bauern von verschiedenen Seiten die Pfade den Hügel hinauf nach dem Freistuhle. Es waren die reichsten Hofesbesitzer der Umgegend. Die Gesichter dieser Leute waren ernsthaft und[711] feierlich. Ihre Schritte übereilten sie nicht, und wo auch zwei zusammen gingen, wurde dennoch kein Wort gewechselt. Diese alten Freibankbauern trugen auch heute noch ihren Feierputz, und die großen breitkrempigen Hüte gaben ihnen ein schweres und würdiges Ansehen. Der Nebel, der noch immer fortdauerte, umhüllte die heimlichen und schweigenden Wanderer.

Als sie oben am Freistuhle angekommen waren, einer nach dem anderen, setzten sie sich schweigend und einander nicht begrüßend auf die Steine umher, die in der Einsenkung zwischen den Brombeergebüschen lagen, der größte aber unter den drei alten Linden blieb leer und für den Freigrafen aufbehalten. Sie saßen wohl eine Viertelstunde lang, ohne einander anzusehen, geschweige daß sie zusammen geredet hätten. Jeder blickte starr und fest vor sich hin. Zuletzt kam der alte Bauer, welcher mit dem Hofschulzen gesprochen hatte, der Fronbote; nächst dem Besitzer des Oberhofes der kundigste in den Sitten und Gebräuchen der Väter. Dieser stellte sich außerhalb des Kreises der Steine hin, auf seinen Knotenstock gestützt und nach der Gegend des Oberhofes hinuntersehend.

Von dieser Gegend kam nach einer Viertelstunde der Hofschulze heraufgegangen, der Freigraf. Neben ihm ging sein Eidam. Feiermäßig war auch sein Anzug, aber gebückt und kummervoll sein Gang. Den Eidam ließ er an einer über hundert Schritte vom Freistuhl entfernten Stelle zurückbleiben, das Gesicht von diesem abgekehrt. Der Fronbote ging dem Hofschulzen entgegen, führte ihn bis an den Kreis und sagte:


Herr Graf, mit Urlaub und mit Behagen

Tue ich Euch fragen;

Soll ich; Euer Knecht,

Euch den Königsstuhl setzen, wie Recht?


Der Hofschulze erwiderte:


Alldieweil die Sonne mit Rechte

Bescheinet Herren und Knechte

Und alle unsere Werke,

Spreche ich, das Recht zu stärken,[712]

Den Stuhl zu setzen eben,

Und rechte Maß zu geben.


Der Fronbote ging hierauf durch den Kreis zu dem großen Steine unter den drei alten Linden, legte die Hand an denselben, als setzte er ihn wie einen Stuhl zurecht, stellte ein kleines Kornmaß, welches er unter dem Rocke hervorzog, vor den Stein, blieb selbst daneben stehen und rief dem Hofschulzen, der sich noch immer außerhalb des Kreises befand, folgenden Spruch zu:


Herr Grafe, lieber Herre;

Ich vermahne Euch bei Eurer Ehre,

Ich bin Euer Knecht,

Darum sagt mir für Recht,

Ob diese Maß ist gleich

Für arm und reich,

Zu messen Land und Sand

Bei Eurer Seelen Pfand?


Der Hofschulze antwortete:


Ich erlaube Recht und verbiete Unrecht

Bei Peen der alten erkannten Recht.


Er ging nun auch in den Kreis, schritt, ohne von seinen Genossen begrüßt zu werden, oder sie zu begrüßen, auf den Stein unter den Linden, den Königsstuhl, zu, setzte sich, stellte seine Füße auf das Kornmaß und entblößte das Haupt, welchem Beispiele die Bauern folgten. Dann zog er eine Flechte von Weidenzweigen aus dem Rockärmel und gab sie dem Fronboten, der sie auf einen tischartigen Stein vor dem Stuhle legte.

Die Bauern murmelten und einer fragte: »Die Wyd sehen wir; wo ist das Schwert?«

Der alte Freigraf zuckte zusammen und der Fronbote antwortete statt seiner: »Es hat nicht gleich auf der Stelle gefunden werden können.«

»Nachbarn«, sagte der Hofschulze zitternden Lautes, »es ist ein Malheur mit dem Schwerte von Carolus Magnus geschehen,[713] und wenn ihr so wollt, stehen wir auf und gehen heim.«

»Nein!« riefen die Bauern; »aber daß das Schwert mangelt, ist schlimm, denn es bedeutet das Kreuz, woran der Herr Christus gelitten hat.«

Sie blieben in nachdenklichen Stellungen. Auch ihr alter Vorstand hatte Mühe, seine Fassung zu behalten. Er erhob indessen die Stimme und sprach zum Fronboten:


Ich biete, zu sagen mir:

Sind Notschöffen allhier?

Oder Mann, die nicht wissen?

Das sage mir beflissen.


Der Fronbote sah sich im Kreise um und versetzte dann mit lautem Tone:


Alle Mann sind wissend und gerecht,

Weder Notschöffen, weder Juden, weder Knecht.


Jetzt redete der Hofschulze die Versammlung mit folgenden Worten an: »Ist es die rechte Stätte und die rechte Stunde, Ding und Gericht zu halten nach Freistuhlsrecht unter echtem Römischen Königsbann?« – Die Bauern antworteten einstimmig: »Ja, sie ist es«; und der Hofschulze fuhr fort: »So warne ich euch vor Unlust, Keif, Scheltwort. Niemand soll sprechen, denn mit Fürsprach, niemand scheiden vom Gericht, denn mit Urlaub. – Dieweil –« setzte er hinzu –


Dieweil an diesem Tage

Mit eurer aller Behagen

Unter dem hellen Himmel klar,

Ein frei Feldgericht offenbar

Wo Notschöffen keine

Gehegt beim lichten Sonnenscheine,

Nicht in Schlüften

Nicht in Klüften

Zwischen sieben Uhr frühe

Und ein Uhr mittags; siehe![714]

Alle Mann auch nüchtern kommen sind,

Königsstuhl und Maß man recht befind't,

So sprecht das Recht ohne Witz und Wonne,

Weil scheint die Sonne.


Die Bauern sprachen: »Wir wollen's.«

Der Hofschulze fragte abermals: »Was gibt dem Freischöffen Fug und Recht?«

Die Bauern murmelten dumpf: »Hebende Hand, blickender Schein, gichtiger Mund.« –

Darauf sagt der Fronbote: »Herr Grafe, es steht draußen ein Mann, der Begehr am Ding und Gericht hat.«

Der Hofschulze wandte sich wieder an die Versammlung und sprach: »Ist es euch genehm und zum Behagen, daß mein Eidam vom Jürgenserb, frei, keinem eigenbehörig, ohne Schimpf noch Schande, unverleumd't im Lande, wissend gemacht werde auf roter offener Erde, fahe Losung und Heimlichkeit, wie Kaiser Carolus gesetzt zu seiner Zeit?«

Die Freischöffen erwiderten: »Es geschehe.« – Der Hofschulze gab nun dem Fronboten einen Wink, dieser ging zu dem Eidam und führte ihn herbei. Der junge Bauer sah sehr stolz und freudig aus, als er in den Kreis trat, in welchem er die höchste Ehre von seinesgleichen empfangen sollte.

Der Fronbote gab ihm Anweisung, darauf entblößte der junge Bauer sein rechtes Knie, kniete bedeckten Hauptes vor seinem Schwiegervater nieder, legte die linke Hand auf die Weide, die ihm der Fronbote vorhielt, und empfing in dieser Stellung vom Hofschulzen die Vermahnung vor Eidbruch, die ihm unter schweren Verwünschungen erteilt wurde. Bei der Weide solle er denken an den Strick um den Hals, hieß es darin, und bei der Linde, die er sehe, an den Baum, der den Verräter trage. Vermaledeit sei dessen Fleisch und Blut, der Wind solle ihn verwehen, die Krähen, Raben und Tiere in der Luft sollen ihn verführen und verzehren.

Noch schrecklichere Drohungen enthielt dieses Verwarnen. Der Eidam verzog aber keine Miene dabei. Hierauf nahm ihm der Fronbote den Eid ab, den der neue Schöffe nachsprach. Er schwor, die Feme zu hüten:
[715]

Vor Mann, vor Weib,

Vor Dorf, vor Traid,

Vor Stock, vor Stein,

Vor groß, vor klein,

Auch vor Quick

Und vor allerhand Gottesgeschick,

Ohne vor dem Mann,

Der die heilige Feme hegen und hüten kann,

Und nicht zu lassen davon

Um Lieb noch um Leid,

Um Pfand oder Kleid,

Noch um Silber, noch um Gold,

Noch um keinerlei Schuld.


Als der Eidam den Eid geleistet hatte, wollte er aufstehen, der Fronbote hielt ihn aber in seiner knienden Stellung fest und sagte, sich vergessend, und aus der feierlichen Redeweise in seine Bauersprache fallend: »Wollt Ihr denn wie das liebe Vieh Schöffe sein? Ihr kriegt ja erst die Losung.«

»Auch gut!« rief der junge Bauer, dem die fürchterliche Verwarnung und der Eid ein Behagen erregt zu haben schien. »Her mit der Losung!«

Der Hofschulze setzte den Hut auf, der Eidam mußte ihn abnehmen und nun sagte jener: »Die Losung und das Notzeichen, das ich dich lehre, lautet: Stock, Stein, Gras, Grain.«

»Gut«, versetzte der Eingeweihte. »Stock, Stein, Gras, Grain, das ist wohl zu behalten. Aber was bedeutet: Stock, Stein, Gras, Grain?«

»Neige dein Ohr zu meinem Munde«, versetzte der Freigraf, »du sollst den heimlichen Sinn erfahren, den außer dir nicht einmal die Lüfte hören dürfen.«

Indem der Eidam sich zu den Lippen des Schwiegervaters hinüberbeugte, rief aber der alte Fronbote überlaut: »Halt! Das Ding ist geschändet, wir haben einen Lauscher in der Nähe, ich hörte ein Geräusch ganz deutlich.«

»Nun ja«, sagte Oswald, der hinter der alten Linde hervortrat, gezwungen lachend, »ich habe euch belauscht. Ich stand in dem hohlen Baume da. Das Horchen, welches ich noch nie[716] getan, wollte mir aber so schlecht behagen, daß ich mich rührte, um fortzugehen, womöglich da in den Forst, euch unbemerkt. Nehmt mir 's nicht übel, ich werde nichts von euren Sachen verraten, es ist, als ob ich sie nicht gehört hätte.« – Er trat in den Forst zurück und verlor sich unter den Bäumen.

Wie wenn bei einem fröhlichen Mahle plötzlich ein fremder Eindringling durch eine ungeheure Beleidigung der ganzen Gesellschaft den Fehdehandschuh hinwirft – anfangs ist alles lautlos und gleichsam versteinert, mit einem Male aber springt jeder auf und läßt das verletzte Gefühl in Blick, Gebärde, Drohung, Zornes- und Racheworten ausschäumen, so wirkte hier die unerwartete Erscheinung des fremden Zeugen anfangs nur ein atemloses Staunen und die Bauern sahen ihm, ohne ein Wort zu sagen, nach, bis er im Forste verschwunden war. Dann aber sprangen sie wütend auf, ballten die Fäuste und ergossen sich in einem Strome von wilden Reden, Drohungen, Verwünschungen. Einige riefen: »Soll das geschehen dürfen wider uns?« Andere antworteten: »Nimmermehr; tot sollte man ihn schlagen!« – »Tot!« riefen alle und bekräftigten dieses finstere Wort durch ein lautes Murren, welches schauerlich von der nebelumgebenen Höhe klang. – An eine Fortsetzung des Freigerichts wurde nicht gedacht.

Der Hofschulze war während des Getöses stumm geblieben, sein Antlitz sah aber kreideweiß aus. Als jetzt nach jenem Murren eine augenblickliche Stille eintrat, erhob er sich und sagte: »Nachbarn, wollt ihr mir überlassen, die Sache in aller Manier zu schlichten?«

Die Bauern versetzten: »Tut das, Hofschulze. Nur daß nichts auskommt von der Heimlichkeit.«

»Ich hoffe, es soll nichts auskommen«, versetzte der Hofschulze, mit einem seltsamen Lächeln.

»Wie wollt Ihr es anfangen?« fragten seine Nachbarn.

»Ich will euch nur veroffenbaren«, sagte der Hofschulze und sein Lächeln wurde immer sonderbarer, »daß ich eine Sache von meinem Vater seliger ererbt habe, die, wenn man sie gehörig braucht, jemandem den Mund schließt über jegliches Ding, worüber man will.«[717]

»Ja«, sagte einer, »so etwas müßt Ihr wohl innehaben, denn vom Oberhofe ist niemals was herunter geschwatzt worden« – Sie schüttelten ihm die Hand und liefen nach allen Richtungen hügelabwärts auseinander, unterweges ihr Murren, Schelten und Verwünschen fortsetzend.

Als die beiden Alten oben auf der Höhe allein waren, wechselten sie miteinander die allerverwunderlichsten Blicke. Der Fronbote hatte seit dem Abgange des jungen Grafen wie ein Falke nach jedem Gesichtszuge seines Freigrafen gespäht.

Er verstand ihn und der Freigraf verstand den Fronboten; es bedurfte aber dazu keines Wortes unter ihnen.

Nach langem Schweigen erhob zuerst der Fronbote seine Stimme und sagte: »Wollt Ihr mir eine Nachbargefälligkeit tun, Hofschulze?«

»Ja, wenn ich kann«, versetzte der Hofschulze.

»Ihr könnt schon«, sagte der alte Fronbote. »Es fehlt mir im Nußholz an Fällern und auf der Pfaffenwiese an Grummetwenderinnen. Darf ich Eure Knechte und Mägde dazu vom Oberhofe mitnehmen, die Knechte nach dem Nußholze schicken und die Mägde nach der Pfaffenwiese? Ihr kriegt sie aber vor spät abend nicht zurück, denn es ist viel zu tun.«

»Nehmt sie nur alle mit, Knechte und Mägde, und behaltet sie bis zum späten Abend draußen«; antwortete der Hofschulze.

»Ich tue Euch auch einen Gefallen dagegen«, sagte der Fronbote. »Ihr spracht neulich, daß Ihr den alten Brunnen hinter der Scheure wieder aufnehmen wolltet; er ist aber ganz versperrt; das Geströhde vor dem Zugange will ich Euch daher immer schon etwas wegräumen, wenn ich hinunterkomme.«

»Es soll mir lieb sein«, erwiderte der Hofschulze. »Wohin geht Ihr von hier aus?« fragte der Fronbote.

»In die Hollenberge, um nach den Mandeln zu sehen«, antwortete der Hofschulze, und schlug, ohne sich weiter zu verweilen, einen Pfad zwischen den Kornfeldern ein. Der Fronbote sah ihm nach und sagte dann: »Wenn man nun einstmals unvermutet um Sachen befragt werden sollte, so kann man schwören, daß er weder in den Oberhof noch in den Forst da gegangen ist, dem Menschen nach.« Hierauf schritt er den Weg zum Oberhofe hinunter.[718]

Der Hofschulze kehrte, als er einige hundert Schritte gegangen war, um und ging in den Forst, bebend, bleich, außer sich.

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 3, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 709-719.
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