An zwey Täubchen

[216] Ihr Täubchen, welche beyde

Mein Amor einst gepaart,

Als ihr, auf jener Weide,

Des Knaben beste Freude,

Das Spiel der Nymphen war't!

O grüßt, mit jedem Morgen,

Den frommen Dichter hier:

Euch zärtlich zu versorgen

Befahl Cythere mir.


Seh' ich, zu meinen Füßen,

Euch froh und sicher küssen,

Ihr Unschuldvollen ihr!

Dann denk' ich an Belinden;

Sie ließ in diesen Gründen

Mich auch die Liebe finden.

Allein, bedauert mich;

Weit glücklicher, als ich,

Seyd ihr, geliebte Täubchen,

Wenn ihr im Haine girrt,[217]

Und das getreue Weibchen

Um seinen Gatten irrt.

Wie ruhig könnt ihr spielen,

Wie ruhig, dort im Kühlen,

In wollustreicher Nacht,

Wo keine Mutter wacht,

Wo neben eurem Bettchen

Bekränzte Freyheit lacht,

Und kein bewegtes Blättchen

Die Liebe schüchtern macht!

Hier, unter öden Bäumen,

Hier, auf verlaßner Flur,

Von ihrem Kusse träumen,

Ihr Täubchen, darf ich nur:

Denn ach! Belinde fliehet

Das Thal, den Wasserfall,

Die Grotte selbst, und siehet

Verräther überall.


O glaubte nur Belinde

Dem guten Götterkinde,

Der Liebe treuem Ruf,

Die sie, mit sanftem Herzen,

Zu Küssen und zu Scherzen,

Wie euch, ihr Täubchen, schuf!

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 1, Zürich 1819, S. 216-218.
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