Der Faun

[218] Eine Beylage zu dem darauf folgenden Briefe.


In wonneleere Mauern

Verschlossen, rings umwacht,

Soll dort ein Mädchen trauern,

Dem Lenz und Jugend lacht?


Schnell öffne jene Riegel

Der Amoretten Heer,

Und führ' auf diesen Hügel

Zu mir Belinden her!


Ach! aber in Gesträuchen

Seh' ich von ferne schon

Den alten Satyr schleichen;

Ihr Nymphen! sprecht ihm Hohn.


Er stört mir jede Freude,

Der Unhold! jeden Kuß

Zählt er mit bitterm Neide,

Den ich entbehren muß.
[219]

Wenn er sich birgt, und lauschet,

O dann verrathet ihn,

Ihr Myrthenbüsche! rauschet,

Laßt eilend uns entfliehn!


Euch wird die Liebe strafen,

Gebt ihr uns nicht Gehör:

Und keine Mädchen schlafen

In euren Schatten mehr.


Lyäus hängt den Becher,

Um den er Rosen flicht,

Cupido seinen Köcher

An eure Zweige nicht.


Es flüchtet jede Taube

Hinweg von dieser Flur,

Und in dem falchen Laube

Verweilt die Krähe nur.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 1, Zürich 1819, S. 218-220.
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