An Belindens Bett

[222] Du kleines Lager, wo vergnügt

Die Schönheit mit der Unschuld liegt!

Beglücktes Heiligthum der Liebe,

Bey dem, gewöhnt an frechen Raub,

Ein roher Satyr schüchtern bliebe!

Dir will ich noch das letzte Laub

Der längst gestorbnen Rose streuen;

Dich soll ein Dichter nicht entweihen,

Der gerne mit dem Amor spielt,

Und doch den Werth der Weisheit fühlt.


Geheimer Schauder! Stille Lust!

Bemächtigt euch des Jünglings Brust.

Du Schlummerstätte meiner Schönen!

O zeige mir Belindens Bild;

Hier siehst du jeden Reiz enthüllt;

Hier sagt sie dir mit halben Tönen

Vielleicht, was ihren Wünschen fehlt,

Was sie noch selber sich verhehlt.
[223]

Dein Vorhang rauscht, und Träume schlüpfen

Durch ihn: ein allerliebstes Heer!

Schön, wie der Venus Kinder, hüpfen

Sie um das fromme Mädchen her.

Belinde zürnt: auf ihren Wangen

Ist Keuschheit, Jugend, und Verlangen.


Wenn sie nun zärtlicher erwacht;

Wenn sie, nach ungenoßnen Freuden,

Der Morgensonn' entgegen lacht,

Und in verrätherische Tracht

Behende Grazien sie kleiden:

Dann, o dann muß ich dich beneiden!


Doch ungestüme Wünsche nicht

Soll dieser kleine Tempel hören;

Nur Seufzer darf ich mir gewähren,

Bescheiden, wie ein Amor spricht

In einem Wäldchen mit Cytheren.


Ihr, die, von wilder Gluth entbrannt,

Der Gott der Liebe nie gekannt,

Zerreißet mit verwegner Hand

Der Schönheit heiliges Gewand,

Das Huldgöttinnen ihr gewebet,

Indeß ein sanfter Hirt erbebet,[224]

Wenn er Belindens Lager sieht,

Voll Ehrfurcht ihre Zelle flieht;

Und auf verschwiegnen grünen Heiden,

Wo Götter mit dem Mädchen weiden,

Auf Blumen es verfolgt und küßt,

Und ohne Reu beglückter ist,

Als ihr im Taumel eurer Freuden.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 1, Zürich 1819, S. 222-225.
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