Lied des Orpheus, als er in die Hölle ging

[350] Wälze dich hinweg, du wildes Feuer!

Diese Saiten hat ein Gott gekrönt;

Er, mit welchem jedes Ungeheuer,

Und vielleicht die Hölle sich versöhnt.


Meine Saiten stimmte seine Rechte:

Fürchterliche Schatten, flieht!

Und ihr winselnden Bewohner dieser Nächte,

Horchet auf mein Lied!


Von der Erde, wo die Sonne leuchtet,

Und der stille Mond;

Wo der Thau das junge Moos befeuchtet,

Wo Gesang im grünen Felde wohnt;


Aus der Menschen süßem Vaterlande,

Wo der Himmel euch so frohe Blicke gab,

Ziehen mich die schönsten Bande,

Ziehet mich die Liebe selbst herab.
[351]

Meine Klage tönt in eure Klage;

Weit von hier geflohen ist das Glück;

Aber denkt an jene Tage,

Schaut in jene Welt zurück!


Wenn ihr da nur einen Leidenden umarmtet,

O so fühlt die Wollust noch einmal;

Und der Augenblick, in dem ihr euch erbarmtet,

Lindre diese lange Qual!


O ich sehe Thränen fließen!

Durch die Finsternisse bricht

Nun ein Strahl von Hoffnung; ewig büßen

Lassen euch die guten Götter nicht!


Götter, die für euch die Erde schufen,

Werden aus der tiefen Nacht

Euch in selige Gefilde rufen,

Wo die Tugend unter Rosen lacht.[352]

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 2, Zürich 1819.
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