An Lenetten

Ueber ein im Oktober von ihr gefundenes Veilchen.


Ein fröhlicher Sylphe,

Der, wenn die Lerche sich hebt,

Mit ihr in blauen Luften schwebt;

Des Frühlings treuer Gehülfe,

Der ihm das Füllhorn reicht,

Und über zarte Knospen schleicht,

Den Knospen Wohlgerüche giebt,

Und jede Blume des Grases liebt;

Ein Gott voll Unschuld, wie die Blüthe

Der Linden im Thal,

Und voll bescheidner Güte,

Wie nächtlicher Thau, bey Mondesstrahl;

Der sah im letzten May, von seinem Rasenbette;

Wo neben ihm ein Sylphenmädchen schlief,

Dich Freuden athmende Lenette![181]

Wie Geister sehen, sah er tief

In deine liebliche Seele,

So lieblich, wie die grüne Höhle,

In deren Innersten ein Kind, das nie gewacht,

Das keine böse That gedacht,

Ein kaum gebohrner Amor lacht.

Der fröhliche Sylphe,

Der Gott voll Unschuld, wünschte sich, dein,

Und nicht des Frühlings Gehülfe,

Nicht seiner Sylphide Liebling zu seyn.

Er eilte durch den Hain,

Mit frischen Kränzen schön behangen,

Und küßte dich.

Jedoch auf deinen sterblichen Wangen

Verloren seine Küsse sich

In einen Rosenduft, in eines Windes Wehen.

Nun stand der Gott, vom Lenz' allein gesehen,

Und weinte bitterlich;

Denn alle Küsse verloren sich.

Allein, wo seine Thränen fielen,

Da sproß ein Veilchen empor,

Und eine von seinen Gespielen,[182]

Aus der Nymphen Chor,

Lispelt ihm ins Ohr:

Deine Küsse fühlen

Kann das Erdenmädchen nie;

Aber, du Glücklicher, sieh

Deinen Thränen dieses Veilchen entblühn!

Liebe will es auferziehn,

Und es lebt noch, wenn die Farben

Jedes Blumenbeets erstarben;

Dann, des Herbstes auch sich freuend, irrt

Deine Schöne hier, wo rauhe Winde schwärmen,

Bricht das Veilchen, und es wird

Sich an ihrem Busen wärmen.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 2, Zürich 1819, S. 181-183.
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