An Betty

[221] Im Namen einer Gesellschaft.


Weißt du, liebes Schwesterchen, daß du seit einigen Tagen nicht mehr dieselbige bist; nicht mehr die fröhliche Betty, welche jede kleine Grille sogleich durch ein lachendes Gesicht verscheucht, und für jedes allzu ernsthafte Nachdenken einen launichten Einfall in Bereitschaft hat? Dein vorgestriges Stillschweigen, dein gestriger Gruß, und dein heutiges Billet machen uns deinetwegen so bekümmert, daß wir mit klingendem Spiele zu dir kommen, und wider deinen Willen dich aufheitern müßen. Zuletzt möchtest du noch Erscheinungen haben:
[222]

Und lauter Gräber um dich sehn,

Und zwischen Knochenhäusern gehn,

Einher auf Leichensteinen kriechen,

Und ihre Todtendüfte riechen.

Es möchten sich zu dir Gespenster wagen,

Den Kopf in blassen Händen tragen,

Und fürchterlich, im Mondenschein,

Mit ihrer stumpfen Stimme schreyn.

Es möchten Teufelchen, in schwarzgemahlten Kappen,

Um dich herum die Zähne klappen;

Du sähst, auf raschen Fledermäusen,

Sie prächtig durch die Lüfte reisen:

Du sähest Hexenmeister, Hexen,

Im Phaeton, bespannt mit Sechsen,

Den Donnerwolken sich befehlen,

Zum Kutscher einen Kobolt wählen,

Und Feuermänner, als Heyducken,

Aus großen Flammenaugen gucken;

Und endlich nickten dir, zur angenehmen Ruh,

Die halb entschlafnen Eulen zu.
[223]

Welch eine Litaney von schrecklichen Prophezeyungen! Armes Schwesterchen! Eile, so sehr du kannst, in unsern Zirkel zurück, und laß unsere Phantasie für das übrige sorgen.


Du sollst in Rosenlauben gehen,

Und lachende Gefilde sehen,

Und dich, im stillen Mondenschein,

Den Grazien zur Schwester weihn;

Und nur vom Spiel der Amoretten träumen,

Die, unter ihren Mirthenbäumen,

Sich goldne Schmetterlinge zäumen,

Dann über schöne Wiesen reiten,

Um Schäferinnen zu begleiten;

Dann, in Violen und Narcissen,

Verwandelte Najaden küssen.

Du sollst in ihrem Lieblingshain,

Der losen Knaben Zeuge seyn,

Wenn sie, zum Scherze, sich verkappen,

Ein armes Mädchen zu ertappen,

Das auf der Weide Blumen pflückt,

Und voller Unschuld sie an seinen Busen drückt.
[224]

Bist du mit uns zufrieden, liebste Betty! Sag' es uns geschwind; denn wir alle sind voll Ungeduld, und werfen schon die zärtlichsten Küsse deiner Antwort entgegen.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 2, Zürich 1819, S. 221-225.
Lizenz:
Kategorien: