An die Rose

Rose, komm! der Frühling schwindet;

Veilchen haben dich verkündet,

Mayenblumen starben hin:

Oeffne dich beym Lust-Getöne

Dieser Fluren; komm, o schöne,

Holde Blumen-Königinn!


Als du kamst im ersten Lenze,

Hingen tausendfache Kränze

Schon um Anger, Berg und Thal;

Ufer lockten, Wälder blühten,

Pomeranzen-Haine glühten

Weit umher im Sonnenstrahl.


Libanons umwölkte Gipfel

Hoben ihre Cedern-Wipfel

Duftend in den Morgenschein;[3]

Doch auf dehmuthsvollem Throne

Solltest du der Schöpfung Krone,

Der Geschaffnen Wonne seyn.


Und du gingst mit leisem Beben

Aus der zarten Knosp' ins Leben;

Erd' und Himmel neigten sich;

Und es huldigten die Wiesen;

Nachtigallen-Chöre priesen,

Alle Nymphen liebten dich.


Goldne Schmetterlinge schlugen

Froh die Flügel; Winde trugen,

Wo die Luft in Jubel war,

Deinen Balsam; Herzen pochten

Dir entgegen; Mädchen flochten

Unter Perlen dich ins Haar.


Die von Weiber-Armuth sangen,

Mahlten sie mit Rosen-Wangen;

Jede Seele, gut und mild,

Arglos, unschuldvoll, bescheiden,

War in ihren höchsten Freuden

Dein getreues Ebenbild.
[4]

Und der Schönheit und der Jugend

Wächterinnen, Schaam und Tugend,

Zu den Knospen hingebückt,

Hüllten unter deinem Nahmen

Ihr Geheimniß; Bräute kamen

Nicht umsonst mit dir geschmückt.


Da begann der rohe Zecher,

Den von dir umblümten Becher

Keuschen Grazien zu weihn.

Allen Helden, allen Göttern

Ging das Volk mit deinen Blättern

Weg und Tempel zu bestreun.


Mit verjüngtem Herzen schlichen

Greise zu den Wohlgerüchen

Deines vollen Kelchs herbey;

Lehrten segnend ihre Söhne:

Daß hienieden alles Schöne,

Selbst die Rose sterblich sey.


An des Freundes heil'gem Grabe

Wurdest du zur letzten Gabe

Seinem Schatten dargebracht;[5]

Solltest ihm den Pfad umschlingen,

Thränen ihm und Küsse bringen

In die leere Todes-Nacht.


Fromme singen an zu loben,

Sahn gen Himmel, ließen droben,

Zwischen Palmen ewig grün,

In des Paradieses Hallen,

Wo die reinen Geister wallen,

Dich zum Sieges-Kranze blühn.


Rose, komm! In stiller Feyer,

Unter jungfräulichem Schleyer,

Warfen Lilien auf dich;

Und für deine Schönheit offen,

Steht mein Herz in süßem Hoffen,

Liebes-Hauch umsäuselt mich.


O wie friedlich, o wie lauter

Diese Liebe! Wirst mich, trauter

Als der Morgensterne Pracht,

Von der Weisheit unterrichten,

Die so stolz der Berge Fichten,

Dich so klein und schön gemacht,
[6]

Daß in deinem holden Wesen

Wir der Seelen Unschuld lesen,

Uns die Brust von Ahndung schlägt;

Daß der Geist der niedern Blume

Unsern Geist zum Heiligthume

Schöner Gottes-Engel trägt.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 3-7.
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