Herbstlied

[177] Nicht lobenswürdig ist der Mann,

Noch mir des Neides werth,

Der nur mit prunkendem Gespann

Um seine Gärten fährt;


An jedem Baum vorüber zieht,

Als wär es sein Pallast –

So stolz und kalt – nicht aufwärts sieht

Zum fruchtbeladnen Ast;


Im Schooß der Buhlen, o Natur,

Dich ohne Lust erblickt;

Zu deinem Mutter-Feste nur

Die Tagelöhner schickt.


Dagegen halt' ich neidenswerth,

Und lobe mir den Mann,

Der sich von seinen Früchten nährt,

Und deß sich freuen kann;
[178]

Der unter seinen Blumen wohnt;

Sie anzuschauen ging,

Bevor der Zweig im Frühlingsmond

Die erste Blüth' empfing;


Bey Regen und bey Sonnenstrahl

Und in bereifter Nacht,

Mit Liebes-Sorge jedes Mahl

An seine Bäume dacht',


Und so die Früchte wachsen sah,

Von süßer Hoffnung voll;

Und nun, der reichen Ernte nah,

Sie alle brechen soll.


Ihn preis' ich, der die Bäume groß

Gebethet und gepflegt;

Die Birn mit Lachen in den Schooß

Des treuen Weibes legt.


Ihn preis' ich, wenn um seinen Baum

Ein Häufchen Kinder singt,

Mit Backen frisch und roth, daß kaum

Der Apfel röther blinkt.
[179]

Da lehnt an seine Garten-Thür

Die Wittwe sich, und blickt

Aufs arme Waislein neben ihr,

Dem keiner Früchte pflückt.


Weil er die Wittwe trösten kann

Mit dem, was Gott beschert,

Deswegen lob' ich mir den Mann,

Und halt' ihn neidenswerth.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 177-180.
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