An Heinse, als er sich mit der Uebersetzung des Ariosts beschäftigte

[227] Pempelfort, im Oktober.


Du, welcher nicht mit seiner Wunderkraft,

Von Pferd und Ritter angegafft,

Wie Ariosto's Hexenmeister,

Ein blendend Goldkasteel auf Demantfelsen schafft;

Der mächtiger, zum Wonnespiel für Geister,

Was schön und lieblich ist, in Eins zusammen rafft;

Nicht gröbre Sinne täuscht; die feinern zu entzücken,

Uns neue Feengärten baut,

Wo Frühlingsbeete sich mit Purpurtrauben schmücken,

Herab auf Veilchen Aepfel nicken,[228]

Im Pomeranzenhain, von Liebeslust bethaut,

Die Nymphen schwesterlich für eine Götterbraut,

Beym Griechischen Gesang, am Hochzeitgürtel stricken,

Und wo, bey aller Kunst, wenn Schäfer Rosen pflücken,

Natur sich hören läßt im Nachtigallenlaut,

Obgleich mit schalkhaft ernsten Blicken,

Indem es ihm gelingt, uns andre zu beglücken,

Der Künstler dann und wann die Gärten überschaut,

Und selber nicht dem eignen Werke traut:

O, komm mit allen Zaubereyen

Des Witzes und der Phantasie;

Denn meiner Lieder Melodie

Kann diesen Nebel nicht zerstreuen,

Der rund um Haus und Hof und Bach und Nußbaum hängt,

Und jedem Scherz den Weg verengt!

Ich rufe dir; versuche du, was nimmer

Dir noch mißlang; erweck' im düstern Zimmer

Ein frohes Licht, das uns durch seinen sanften Schimmer[229]

Die Sonne minder nöthig macht!

Kannst aber auch in schwarzer Nacht,

Wenn's dir gefällt, die Scene wählen,

Und Mordgeschichten uns erzählen

Von Blitz und Sturm, von Dolch und Kuß,

Wie man's im Dunkeln hören muß.

Voll Kindereinfalt im Genuß,

Versprechen wir, kein Mährchen durchzuklauben,

Und mehr, als du begehrst, zu glauben.


Im Grunde zwar ist diese Welt,

So wie sie Mond und Sonn' erhellt,

Mit Land und Wasser, Heid' und Korn,

Und Wald und Berg, und Ros' und Dorn –

Mit dem, was alles Gott erschuf,

Vom Zimmerhügel zum Vesuv –

Mit dem, was Menschenfleiß gethan,

Von Nankings Thurm aus Porzellan

Bis zu Aegyptens Pyramiden,

Und dem, was uns von Krieg und Frieden

So manche Chronik aufbehält –

Mit allem dem ist diese Welt,[230]

So groß und reich, so schön und furchtbar an Geschichten,

Voll Zeitvertreibs für Weib und Mann,

Daß einer wohl die Mühe sparen kann,

Was Neues noch hineinzudichten.

Und wir, o Freund, die für Natur

Den reinen Sinn, die hellen Augen haben,

Ergetzen uns an ihren Gaben,

Wie jede Wies' und jede Flur

Sie jährlich trägt; verlangen nur

Den Apfel, wie der Baum ihn bringt,

Wenn roth und gelb er durch die Blätter winkt;

Gebrauchen keinen Zauberpinsel,

Der ihn mit höhern Farben mahlt.

Da, wo des Rheins Gebüsch im Purpurglanze strahlt,

Da steigt vor uns Armida's Insel

Empor mit jedem Labyrinth;

Und schüttelt, liebevoll, ein sachter Abendwind

Den Fittig, naß von Mayenregen,

Weht er den Wohlgeruch der Wipfel uns entgegen,

Dann füllen Götter, fern und nah,[231]

Die Lüfte mit Ambrosia.

Desgleichen kann, mit blondem Nacken,

Mit blauem Aug' und Rosenbacken,

Ein Mädchen, schlank und hold und lieb,

Obschon es demuthsvoll auf unsrer Erde blieb,

Und Grazien ihm keinen Gürtel geben,

Uns von der Erde weg in den Olympus heben,

Als wäre dort sein Vaterland.


Am Ende, Freund, ist dir und mir bekannt,

Daß nicht ein Rasen grünt, geworfen auf den Strand

Nicht eine Muschel wird, an keines Bächleins Rand

Um frischen Klee die Bienen schweben,

Die Mücken tanzen, Spinnen weben,

Daß nicht ein Fleckchen ist, wo forschender Verstand

Nicht tausendfache Wunder fand,

Und Wunder, gegen die, mit unserm Dichtergeist

Und Allem, was ihm neue Schöpfung heißt,

Mit Drachen, Nixen, Wasserpferden,

Mit Hippogrif und Pegasus,

Dem Göttersaal und Höllenfluß,[232]

Wir doch, so stolz wir uns geberden,

Erwägt man's recht, zu Stümpern werden,

Zu Thoren, die ein Stückchen Welt,

Durch eine Lampe dargestellt,

Im Schattenspiel, durch eignen Dünkel zieren,

Und Mond' und Jahre so verlieren.


Bekenn' es nur! – Anstatt zu sehn, was sichtbarlich

Die Knospe theilt, dem Keime sich

Entwindet, was dem Ey entschlüpft,

In Teichen schwimmt, als Vogel hüpft;

Was mit der Stimme Wiederhall

Den Forst erfüllt; das Leben all,

Das große Zeugen und Gebähren,

Das Wärmen, Schützen und Ernähren;

Der Pflanze Traum, des Thieres Trieb,

Des Menschen Herz; das Dräuen, Wehren

Von Männer Muth; des Helden Zähren;

Des Weibes Schaam und Mutterlieb';

Und Vaterlandes Reiz, und Heißbegier nach Ruhm:

Anstatt auf Alles das voll Andacht hinzusehen,[233]

Mit Wissenslust umher zu gehen

In Feld und Au, in unserm Eigenthum,

An dessen Statt verachten wir die Spur

Der schaffenden, allwaltenden Natur,

Die Bahn zu echtem Glück, zu bleibendem Gewinnst,

Verrichten nichts, erfinden, lesen,

Was unterm Mond und drüber nie gewesen,

Und flattern um ein Hirngespinnst.


Indessen, Freund, bey mäßigem Gebrauch

Ist Phantasie des Dichters auch

Ein hoher Schatz, ein köstlich Ding,

Ein Strahl, den himmelab des Menschen Geist empfing,

Und Gotteskraft, nicht minder als die Kräfte,

Wodurch sich Meer und Luft bewegt.

Der Athem, welcher sich auf unsern Hügeln regt,

Und in die Ranke Lebenssäfte

Zum Labsal der Betrübten legt,

Umsäuselt eben so des Dichters Phantasie,

Und läßt ihr oft das milde Werk gelingen,

Der Sorgenlast, der Erdenmüh[234]

Vergessenheit in uns zu bringen,

Und nach und nach den Schmerz in goldnen Traum zu singen.


Wohlan, so komm it deiner Feerey:

O, lehr' uns, jede Wüsteney

Zum Lustgehölz für uns und andre machen;

O, lehr' uns, wie durch leichten Mitz

Hinweg von unserm Freudensitz

Wir klein' und große Narren lachen!

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 227-235.
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