Vorrede zu einem Stammbuch, im Namen seiner Besitzerinn

[240] Wenn mit Freunden und Geschwistern,

Mich ein stilles Grab umschließt;

Nicht das Quell-Geräusch und nicht das Flüstern

Im Kastanien-Hain uns mehr begrüßt;

Kaum gekannt vielleicht, an öden Wänden,

Von der Spinn' umwebt, noch unser Bildniß hängt,

Und aus später Enkel Händen

Dieses Buch ein Fremdling dann empfängt;

Wenn es im Gewühl vergeßner Brief' und Lieder

Nun versunken ist, der Motten Raub –

O so find es eine gute Seele wieder,

Und die rett' es aus dem Staub!

Ach! bevor die Blätter ganz verwesen,

Gute Seele, blick hinein!

Todte Namen nicht, der Liebe Glück zu lesen,[241]

Unser Glück am Quell, und im Kastanien-Hain.

Wo du gehst, da gingen, ohne Reue,

Wir Geschwister einst, geleitet von der Treue,

Hand in Hand, im frohesten Verein;

Waren gleich dem frischen Kranze,

Den für eine Braut ein Chor von Mädchen pflückt,

Sorgend, daß die Ros' in vollem Glanze

Nicht das zarte Blümchen drückt. –

Weile, gute Seele, hier, und Allen,

Deren du dich freuest, sage du:

Ohne Liebe kann das Leben nicht gefallen;

Süßer wird durch sie des Grabes Ruh.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 240-242.
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