9. Der Schlüssel.

[48] Ein armer Tagelöhner hatte dreiundzwanzig Söhne, und als ihm gar der vierundzwanzigste geboren wurde, wollte ausser dem Pastor und dem Küster niemand im Dorfe Gevatter stehen. »Die Welt ist zu ungerecht!« sagte der arme Mann, »da habe ich nun vierundzwanzig Kinder, und die reichen Bauern haben nur ein paar, und nun wollen sie nicht einmal mehr Pate sein! Aber wartet nur, ich werde mir schon von wo anders her einen Gevatter besorgen;« damit langte er den Hut vom Nagel und den Stock aus der Ecke und wanderte zum[48] Dorfe hinaus. Es dauerte gar nicht lange, so begegnete ihm ein Mädchen. »Woher, wohin,« fragte dasselbe. »Ich suche jemand, der bei meinem vierundzwanzigsten Sohne Gevatter steht,« antwortete der Tagelöhner. »Da bist du gerade an den Rechten gekommen,« erwiderte das Mädchen, »ich bin nämlich der liebe Gott und will dir gerne den Gefallen thun.« – »Wenn du der liebe Gott bist,« versetzte der arme Mann, »so kann ich dich nicht gebrauchen; denn du bist nicht gerecht genug. Wärest du es, so ginge es den reichen, faulen Bauern nicht so gut und brauchten wir armen Tagelöhner nicht in so bitterer Armut unsere Tage zu verbringen.«

Da ging das Mädchen seiner Wege, und ein kleines Männchen trat auf ihn zu. »Woher, wohin?« fragte auch das Graumännlein. »Ich suche jemand, der bei meinem vierundzwanzigsten Sohne Gevatter steht,« erwiderte der Tagelöhner. Da sagte auch das Graumännchen: »Freue dich, denn du bist gerade an den Rechten gekommen. Ich bin nämlich der Böse und will gerne die Patenstelle vertreten.« – »Das fehlte auch noch gerade,« rief aber der Tagelöhner, »du bist ja die Ungerechtigkeit selbst. Du stiehlst uns Armen das Korn und den Speck aus dem Hause heraus und trägst es den reichen Bauern in die Kammer. Geh nur, dich kann ich nicht gebrauchen!« Der Teufel setzte ein verdriessliches Gesicht auf und machte, dass er davon kam.

Endlich begegnete dem Tagelöhner ein langer, hagerer, alter Mann; und als der vernommen hatte, was der Tagelöhner suche, sprach er zu ihm: »Wenn es dir recht ist, so werde ich der Gevatter sein, ich bin der Tod.« – »Ja, dich will ich gerne nehmen,« rief der arme Mann freudig, »du bist der einzig Gerechte auf der ganzen weiten Welt. Du verschonst nicht reich noch arm, nicht vornehm noch gering, vor dir sind wir alle gleich! Und damit du die Zeit nicht versäumst, kommenden Sonntag soll die Taufe sein!« Antwortete der Tod: »Wenn alles so weit ist, so öffne nur die Thüre und rufe mich, dann bin ich zur Stelle.« Darauf sagten sie einander Lebewohl, und der Tagelöhner kehrte nach Hause zurück und war froh und vergnügt, dass er einen so gerechten Mann als dritten Zeugen bei der Taufe seines vierundzwanzigsten Sohnes bekommen habe.

Als der Sonntag kam und alles zur Taufe bereitet war, sprach der Pastor: »Wo bleibt denn der dritte Zeuge?« – »Er wird sogleich hier sein,« antwortete der Tagelöhner, öffnete die Thüre, und da stand der Tod schon draussen und ging mit ihm in die Stube hinein. Nachdem der Neugeborene in der heiligen Taufe den Namen Hans bekommen hatte, griff der Pastor in die Tasche, zog einen Thaler hervor und drückte denselben dem Vater für den Täufling in die Hand. Der Küster machte die Sache mit fünfzehn Groschen ab, und nun kam der Tod an die Reihe. »Geld und Gut habe ich nicht,« sprach dieser, »doch auch ich will mein Patenkindchen nicht leer ausgehen lassen. Hier ist ein Schlüssel, den muss der Herr Pastor in das Kirchenbuch legen, und wenn Hans vierzehn Jahre alt geworden und eingesegnet[49] ist, dann soll er ihm den Schlüssel mit auf die Wanderschaft geben.« Nachdem der Tod das gesagt hatte, ging er aus der Stube heraus und war verschwunden, der Pastor aber legte den Schlüssel in das Kirchenbuch; und als die vierzehn Jahre verflossen waren und die Einsegnung vorüber war, behielt er den Jungen noch einen Augenblick bei sich, gab ihm den Schlüssel und sprach zu ihm: »Hier hast du das Geschenk deines dritten Paten. Verwahre den Schlüssel gut und gieb ihn nie von dir.« Darauf bedankte sich Hans bei dem Herrn Pastor und kehrte in seines Vaters Hütte zurück.

»Vater,« sagte er, als er dort angelangt war, »ich will dir nicht länger zur Last fallen; ich gehe auf die Wanderschaft.« – »Du thust recht daran,« antwortete der Tagelöhner, »bei mir giebt es nur Wasser und trocken Brot. Bei fremden Leuten bekommst du etwas auf den Leib und etwas in den Leib.« Da gab Hans seinem Vater und den dreiundzwanzig Brüdern eine Hand, sagte ihnen Lebewohl und ging in die weite Welt hinaus. Über ein Weilchen kam er in einen grossen Wald, der wollte kein Ende nehmen. Er ging Tag und Nacht und musste seinen Hunger mit den Erdbeeren und Himbeeren stillen, die im Walde wuchsen. Endlich sah er am Abend des zweiten Tages ein allmächtig grosses Haus vor sich mit vielen Fenstern, die flimmerten und blitzten von den Lichtern, welche drinnen angezündet waren. Es war auch eine Thür da, welche in das grosse Haus führte; aber die Thüre war verschlossen, und so viel er auch anpochen mochte, niemand that ihm auf. Da dachte Hans bei sich: »Wozu hast du denn den Schlüssel, den dir dein Pate geschenkt hat?« Gedacht, gethan, er zog den Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn in das Schlüsselloch hinein und drehte ihn um, und sogleich sprang die Thüre krachend auf.

Jetzt sperrte er aber seine Augen auf; denn so viele Lichter, als hier standen, waren sicherlich nicht wieder auf der ganzen Welt beisammen zu finden. Die Augen thaten ihm ordentlich wehe von dem grossen Glanz. Während er noch so dastand und nicht wusste, wie ihm geschah, trat ein grosser, hagerer, alter Mann auf ihn zu und sprach zu ihm: »Wie bist du herein gekommen in mein Haus?« – »Ich habe es aufgeschlossen mit dem Schlüssel, den mir mein dritter Pate bei der Taufe geschenkt hat,« antwortete der Junge. »Dann bin ich dein Gevatter,« antwortete der Tod, denn er war es ja, »und weil du müde bist, will ich dich die Nacht hier behalten. Aber Speise und Trank kannst du bei mir nicht bekommen.« – »Auch gut,« sagte Hans, »aber, was sind denn das für viele Lichter, lieber Pate?« – »Ich bin der Tod,« antwortete der alte Mann, »und dies ist mein Haus, und die Lichter darin sind die Lebenslichter aller Menschen auf der ganzen Erde. Wenn ein Licht ausgebrannt ist, so stirbt der Mensch und wird begraben.« – »Wem gehört denn dies kleine Lichtstümpfchen?« fragte der Junge und wies auf ein Licht, das vor ihm stand und dem Erlöschen nahe war. »Das ist deines Vaters Licht,« entgegnete der Tod, »er muss bald sterben.« – »Aber[50] er war doch noch frisch und gesund, als ich ihn vor zwei Tagen verliess!« jammerte der Junge, »lieber Pate, gebt meinem Vater ein anderes Licht, damit er noch einmal erleben möge, was ich werde.« Anfangs wollte der Tod nicht darauf eingehen, da aber Hans nicht nachliess mit Bitten und Quälen, so sagte er endlich: »Weil du mein Patchen bist, so mag's geschehn,« damit setzte er ein neues Licht an des erlöschenden Stumpfes Stelle.

»Wem gehört denn aber das schiere, lange Licht, das alle andern weit überragt?« fragte Hans wieder. »Das ist dein Licht,« gab ihm der Tod zur Antwort, »das habe ich dir ausgewählt, weil ich dein Gevatter bin! Du wirst ein langes Leben geniessen.« Da freute sich der Junge; doch weil er müde geworden war von dem vielen Wandern, so liess er jetzt nach mit Fragen und legte sich in ein Eckchen und schlief ein. Am andern Morgen bedankte er sich nochmals schön bei seinem Gevatter, dem Tod, ging aus dem Hause heraus und setzte seine Wanderung fort durch den grossen Wald hindurch. Nachdem er einen Tag und eine Nacht gewandert war, ohne einen Menschen zu treffen, stiess er endlich auf ein kleines Häuschen, das war verschlossen, wie die Wohnung seines Paten, des Todes. Er aber dachte sogleich an seinen Schlüssel, und er hatte sich nicht verrechnet, der Schlüssel schloss, und er trat in die Hütte hinein. Drinnen stand ein prächtiger Schimmel, der sprach: »Mach, dass du von dannen kommst, oder du bist des Todes.« – »Lieber Schimmel,« sagte der Junge, »ich habe drei Tage nichts zu essen bekommen, und zuvor musst du mir Speise geben, ehe ich gehe.« Antwortete der Schimmel: »Dort in dem Schranke findest du Braten und Wein, davon iss, bis du satt bist. Aber eile dich, denn dies ist eine Räuberhöhle. Und damit du dem Tode entrinnen kannst, so zäume mich auf, wenn du satt geworden bist, und setz dich auf meinen Rücken; dann werde ich dich der Gefahr entreissen!« Hans gehorchte der Rede des Schimmels, und als er satt geworden war, zäumte er ihn geschwind auf, schwang sich auf seinen Rücken und ritt zur Hütte hinaus. Draussen hob sich aber der Schimmel sogleich in die Lüfte, und es war die höchste Zeit gewesen, denn schon standen die Räuber unter ihnen und schossen nach dem Schimmel; aber er befand sich bereits in den Wolken, und die Kugeln konnten ihn und den Reiter nicht mehr erreichen.

Als sie eine Weile über die Wolken geritten waren, erblickte der Junge vor sich einen herrlichen Vogel, dessen Gefieder glänzte in der Luft, als war' es ein Feuermeer. »Ach hätt' ich doch den schönen Vogel!« schrie der Junge; aber der Schimmel rief: »Hans, lass den goldenen Vogel in Ruhe, der geht dich nichts an.« Aber Hans kehrte sich nicht an des Schimmels Worte, sondern zog den Schlüssel hervor, zielte damit im Übermute nach dem Vogel und rief: »Ach, wenn doch jetzt mein Schlüssel eine Pistole wäre!« Krach ging auch schon der Schuss los, und eine von den goldenen Federn schwebte zur Erde herab, während der Vogel mit dem Schrecken davon kam und entfloh. »Schimmel,« sagte darauf der Junge, »jetzt[51] lass dich hernieder, dass ich die goldene Feder aufhebe.« Der treue Schimmel warnte wieder: »Hans, lass die Feder liegen, die geht dich nichts an!«; aber der Knabe beharrte auf seinem Willen, und der Schimmel musste sich auf die Erde herab senken. Dort ergriff der Junge die Feder und steckte sie zu sich, dann stieg der Schimmel wieder in die Luft empor, und sie ritten weiter über die Wolken dahin, bis sie endlich eine grosse Stadt zu ihren Füssen liegen sahen. Dort liess sich der Schimmel auf einer grünen Wiese vor dem Stadtthore nieder und sprach zu dem Jungen: »Jetzt steig von meinem Rücken und zäume mich ab, nimm den Zaum zu dir und verwahre ihn gut. Und wenn du in Not kommst, so zieh ihn hervor und schüttle ihn, dann werde ich im Augenblick bei dir sein und dir Rat und Hülfe erteilen. Zur Zeit wird es das Beste für dich sein, du gehst in des Königs Dienste; er braucht einen Stalljungen, und der Stallmeister wird dich gerne nehmen.« Nachdem der Schimmel das gesagt hatte, hob er sich in die Lüfte und eilte davon, der Junge aber ging durch das Stadtthor in die Herberge, um sich nach einem Dienste umzusehen.

Es dauerte auch gar nicht lange, so trat der Stallmeister herein und fragte den Wirt, ob nicht ein hübscher, junger Bursche bei ihm vorgesprochen habe; er brauche einen solchen für des Königs Pferdestall. Da trat Hans vor, und weil er dem Stallmeister gefiel, so musste er sogleich mit ihm kommen und wurde in den Marstall geführt. Dort hatte er den Tag über die Rosse zu futtern und zu tränken, zu striegeln und zu putzen, auf die Weide und in die Schwemme zu reiten, und des Nachts musste er im Stalle bleiben und bei den Pferden schlafen. Das gefiel ihm auch recht gut, wenn es nur nicht am Abend so entsetzlich dunkel im Stalle gewesen wäre; und Licht durfte nicht gebrannt werden, das hatte der König bei Leibesstrafe verboten. Eines Abends langweilte er sich auch wieder in der Dunkelheit, und wie er so sann und sann, fiel ihm die goldene Feder ein, welche er mit seinem Schlüssel dem schönen Vogel vom Leibe geschossen. Er zog sie aus der Tasche hervor, und kaum hatte er sie in der Hand, so strahlte der ganze Stall wie ein Feuermeer. Hans erschrak und schob die Feder sogleich wieder in die Tasche hinein; aber des Königs Gesinde hatte den Feuerschein bemerkt und lief herbei, um zu löschen, denn sie dachten, der Stall stehe in Flammen.

Als sie hineingetreten waren, war es stichdunkel im Stalle, und Hans lag auf seinem Heubündel und that, als wenn er schliefe. Die Knechte rüttelten ihn aber wach und liessen ihn scharf an, warum er Feuer in dem Stalle angezündet habe, und ob er nicht wisse, welche Strafe von dem König darauf gesetzt sei. Der Junge beteuerte zwar immer fort, er sei unschuldig und habe kein Licht gebrannt; aber sie glaubten ihm nicht, bis er endlich die Feder hervorzog und sie ihnen zeigte. Alsbald strahlte der Stall wieder, wie ein Feuermeer, und die Knechte riefen: »Das ist ja eine herrliche Feder, die muss unser Herr König sehen!« Und richtig, am andern Morgen wurde Hans vor den König geführt. Der steckte die Feder, nachdem er sich eine Zeit lang[52] an ihrem Glanze erfreut hatte, zu sich in die Tasche und sagte darauf zu dem Jungen: »Hans, du musst mir den Vogel schaffen, dem die Feder gehört!« – »Mein Herr König,« antwortete Hans, »die Feder habe ich gefunden, und ich weiss gar nicht, wo der Vogel lebt, dem sie gehört hat; wie soll ich ihn da finden!« – »Hans,« sprach der König, »du hast die Feder gehabt, du wirst auch wissen, wo der Vogel ist; und ich befehle dir, dass du ihn mir herbei schaffst. Drei Tage hast du Bedenkzeit, und willst du mir auch dann nicht den Vogel bringen, so muss dir der Henker den Kopf abschlagen.«

Damit war das Gespräch mit dem König zu Ende, und Hans lief wie ein verlorener Mann den ganzen Tag durch im Garten umher; Speise und Trank wollte ihm nimmer schmecken, und er hatte Kopfschmerzen und Wehtage und war doch nicht krank. Am zweiten Tag fiel ihm sein treuer Schimmel ein; er zog den Zaum aus der Tasche und schüttelte ihn, und sogleich stand der Schimmel vor ihm und fragte nach seinem Begehr. »Lieber Schimmel,« antwortete der Junge, »der König hat mir meine goldene Feder genommen und will nun den Vogel dazu haben; den soll ich ihm bringen. Und kann ich es nicht, so lässt er mir das Haupt abschlagen.« – »Siehst du,« sagte der Schimmel, »ich habe dich genug gewarnt, du sollst die Feder liegen lassen. Nun hast du das Elend!« – »Ach lieber Schimmel,« bat Hans, »nun ist's doch einmal geschehen! Giebt es denn gar keine Möglichkeit, des goldenen Vogels habhaft zu werden?« – »Warum nicht!« versetzte der Schimmel, »aber es dauert eine lange Zeit. Weit, weit im Morgen liegt am Strande des grossen Meeres ein Schloss, darin wohnt eine Prinzessin; und in ihrem Schlafzimmer stehen auf dem Tische zwei Bauer, ein goldenes und ein eisernes, und der Vogel sitzt dabei. Wenn du nun dort bist, musst du den goldenen Vogel in das eiserne Bauer stecken und machen, dass du aus dem Schlosse kommst. Nimmst du aber das goldene Bauer, so ist es dein Unglück!« – Als Hans diese Worte gehört hatte, ward ihm schon ein wenig sanfter zu Mute; aber wie sollte er zu dem Schlosse kommen? Er fragte darum den Schimmel danach. »Wenn du zu dem Schlosse kommen willst,« erwiderte der Schimmel, »so musst du dir von dem Könige drei grosse Schiffe ausrüsten lassen, das eine mit lebendigem Vieh, mit Ochsen, Rindern, Pferden, Schafen, Schweinen, Ziegen und Federvieh, das andere mit Erbsen, Bohnen, Roggen, Weizen, Hafer, Buchweizen und Kartoffeln und das dritte, auf dem du selbst fährst, mit Fleisch, Brot und anderen Lebensmitteln; denn die Reise ist lang, und du wirst der Speise nötig haben.« Hans bedankte sich bei dem Schimmel, und als derselbe verschwunden war, ging er auf das Schloss zu dem König und erklärte ihm, dass er den Vogel bringen wolle, wenn er die drei Schiffe ausgerüstet bekäme.

»Was du brauchst, sollst du haben,« antwortete der König, »das ist recht und billig!«, und sogleich wurden drei grosse, schöne Schiffe ausgerüstet und beladen, wie Hans es sich wünschte. Dann stieg er in das Schiff mit den Lebensmitteln, die Anker wurden gelichtet,[53] und sie fuhren in das wilde Meer hinaus. Nachdem sie ein halbes Jahr und darüber gefahren waren, segelten sie an einer Sandbank vorbei, und indem sie ihre Augen darauf warfen, wälzte sich eine gewaltige Sturzsee an den Strand, und als sie sich zurückzog, lag ein allmächtiger Karpfen auf dem Sande und konnte nicht wieder das Wasser erreichen, so sehr er auch sprang und sich überschlug. Als Hans das sah, that ihm das arme Tier leid und er befahl den Schiffsleuten, dass sie die Anker würfen und ein Boot aussetzten. Damit liess er sich an die Sandbank heranrudern, stieg aus und warf den grossen Karpfen wieder in das Meer hinein. Ehe der Karpfen aber untertauchte und in den Wellen verschwand, sprach er: »Hab Dank, lieber Hans, du hast mir das Leben gerettet. Und wenn du einmal in Not kommst und ich dir helfen kann, so fahr zu mir an diese Sandbank und ruf in das Meer hinein: ›Karpfen, die drei Könige!‹ Dann werde ich sogleich bei dir sein und dir helfen.« Hans sagte darauf dem Karpfen Lebewohl, liess sich wieder auf sein Schiff nehmen und segelte weiter.

Nach drei Monden fuhren sie an einer Insel vorbei; darauf standen drei grosse Riesen und kämpften gegen einander, dass das Blut in Strömen hernieder floss und die Erde rot färbte. »Das ist doch recht schlecht von den Riesen,« dachte Hans, »dass sie sich so unter einander bekämpfen. Du wirst einmal sehen, ob du sie nicht wieder versöhnen kannst.« Die Schiffsleute mussten die Anker werfen, und Hans ruderte mit dem Boote zu ihnen heran. »Schämt euch doch, ihr Riesen,« rief er ihnen zu, »wer wird sich denn gegenseitig tot schlagen!« – »Das lehrt uns die Not,« antworteten die drei Riesen, »eine Sturmflut hat uns all unser Vieh genommen und unsere Scheunen weggerissen und unsere Saaten vernichtet; und wir haben nur noch einen einzigen Ochsen. Jetzt schlagen wir uns so lange, bis zwei von uns gestorben sind, der dritte mag dann den Ochsen verspeisen und sich auch hinlegen und sterben.« – »Ich werde euch helfen,« sagte Hans; dann liess er das Schiff mit dem lebenden Vieh und das Schiff mit den Erbsen, Bohnen, Kornfrüchten und Kartoffeln an der Insel ausladen. »Nun esst davon und bebaut eure Äcker und weidet eure Herden,« sprach Hans, »dann braucht ihr nicht Hungers zu sterben.« – »Hab Dank, lieber Hans,« riefen ihm die Riesen zu, als er wieder auf sein Schiff stieg, »wir wollen's dir gedenken. Wenn du einmal in Not kommst und wir dir helfen können, so fahre nur zu dieser Insel und ruf: ›Riesen, die drei Könige!‹ dann sind wir sogleich bei dir und stehen dir zu Gebote.« Ehe Hans noch antworten konnte, hatten die Winde das Schiff schon tief in das Meer hinein getrieben, und sie segelten wieder drei Monde lang, ohne etwas anderes zu sehen, als Himmel und Wasser.

Am Ende des dritten Mondes sah Hans eine kleine, öde Insel vor sich, die war mit einem Guseltanger1 kümmerlich bestanden,[54] und auf der einen Fichte befand sich ein Storchnest, in dem sassen drei junge blaue Störche, die noch nicht flügge waren. Indem zog am Himmel ein schwerer Schwark herauf, und da Hans vorher sah, dass er Gewitter und Hagel bringen würde, dauerten ihn die jungen Störche in ihrem offenen Neste. Er liess darum das Schiff wieder vor Anker gehen und sich mit dem Boote ans Land rudern. Dort schnitt er Fichtenzweige ab und baute davon ein Dach über das Nest, so dass, als der Schwark sich über der Insel entlud, die Hagelschlossen den Jungen nichts anhaben konnten, obwohl die Eisstücken so dick, wie eine Faust und ein Kopf, auf den Guseltanger hernieder schlugen. Als der Schwark sich verzogen hatte, kamen die alten Störche angstvoll herbei geflogen, denn sie dachten, der Hagel habe ihre Kinder erschlagen. Aber die Jungen stiessen fröhlich die Fichtenzweige beiseite und streckten den Alten die hungrigen Schnäbel entgegen. »Wer hat euch denn zugedeckt,« riefen die Alten erfreut; denn sie hatten noch niemals Junge gross ziehen können, weil sie ihnen jedes Jahr von dem Hagelschwark getötet waren. Da erzählten ihnen die jungen Störche, wer ihnen geholfen habe, und die beiden Alten riefen Hans auf seinem Schiffe nach: »Hab Dank, lieber Hans, dass du uns unsere Kinder gerettet hast, wir wollen's dir gedenken. Und wenn du einmal in Not bist und uns brauchen kannst, so fahre nur auf diese Insel und rufe am Strand: ›Störche, die drei Könige!‹ dann sind wir sogleich bei dir und werden dir helfen.«

Jetzt hatte Hans nicht mehr lange Fahrt. Es währte nur noch ein paar Wochen, und er sah Festland, und vor ihm lag das Schloss am Meer, von dem ihm sein Schimmel erzählt hatte. Als sie gelandet waren, stieg er aus und eilte dem Schlosse zu; aber die Thüre war fest verschlossen. Hans liess sich das jedoch wenig kümmern; »Hat mein Schlüssel schon zwei Häuser geschlossen, so wird er auch dieses schliessen,« sagte er und steckte ihn in das Schlüsselloch. Und er hatte sich nicht getäuscht, die Thüre sprang auf, und er eilte in das Schloss hinein. Da war ein Zimmer immer schöner, wie das andere; aber er achtete nicht auf all die Pracht und Herrlichkeit, sondern machte, dass er in das Schlafgemach der Prinzessin kam. Die lag in dem Bette und schlief, und auf dem Tische standen die beiden Bauer, und der goldene Vogel sass dabei. Hans hütete sich aber, wieder ungehorsam zu sein, und wenn auch der goldene Bauer viel besser für den goldenen Vogel passte, so griff er doch nach dem eisernen, und dann machte er, dass er aus dem Schlosse heraus und zu dem Schiffe herab kam. Als er auf Deck war, wurden eilends die Anker gelichtet, und nach einjähriger, glücklicher Fahrt langten sie wieder bei der Stadt des alten Königs an.

Als Hans vor den König getreten war, nahm derselbe ihm den goldenen Vogel ab, und nachdem er sich genugsam an seinem schimmernden, glänzenden Gefieder gefreut hatte, musste ihm Hans haarklein erzählen, wie es ihm auf der langen Reise ergangen sei. Der König hörte aufmerksam zu, und als Hans zu Ende gekommen war mit seiner[55] Erzählung, entliess er ihn, dass er, wie früher, im Stalle seinem Dienst nachginge. Das dauerte zwei Tage lang; aber am dritten hatte der König keine Ruhe mehr, Hans musste vor ihn kommen, und er sagte zu ihm: »Den Vogel habe ich jetzt, und weil ich den Vogel habe, will ich auch die Prinzessin haben. Geh hin und mach dich auf den Weg und schaff sie herbei!« – »Aber, Herr König,« antwortete Hans, »das geht nun und nimmer nicht! Mit dem Vogel ging es noch zur Not, aber die Prinzessin vermag ich Euch nicht herbeizuschaffen. Das ist zu schwer!« – »Schnick, schnack, paperlapapp,« versetzte der König, »hast du mir den Vogel holen können, so kannst du auch die Prinzessin bringen. Drei Tage hast du wieder Bedenkzeit, und willst du auch dann noch nicht, so hat dein Kopf die längste Zeit fest auf den Schultern gesessen. Nun mach, dass du mir aus den Augen kommst!«

Da ging Hans betrübt in den Garten, zog den Zaum aus der Tasche und schüttelte ihn, und als der Schimmel erschienen war, trug er ihm sein Anliegen vor. »Da hast du's ja,« sprach der Schimmel, »ich hatte dich genug gewarnt; aber wer nicht hören will, muss fühlen.« – »Lieber Schimmel,« bat Hans, »rühr doch nicht immer die alten Geschichten auf und sag mir lieber, ob denn gar keine Möglichkeit vorhanden ist, die Prinzessin hierher zu schaffen.« – »Gewiss geht das an,« versetzte der Schimmel, »denn geht es auch nicht mit Gewalt, so geht es doch mit List. Lass dir ein grosses Schiff ausrüsten und nimm so viel Lebensmittel mit, wie das erste Mal; dann steige mit hundert Trompetern darauf und fahre hin zu dem Schloss am Meer. Dort müssen fünfzig Trompeter vor dem Kammerfenster der Prinzessin blasen, und wenn sie hinaus kommt und dir für das schöne Ständchen dankt, so sage zu ihr, du hättest noch fünfzig andere Trompeter auf deinem Schiffe, und wenn die hundert zusammen bliesen, das wäre erst ein Vergnügen! Dann wird sie zu dir auf das Schiff kommen, und du fährst mit ihr auf und davon.«

Nachdem Hans solcher Gestalt von dem Schimmel unterrichtet war, ging er zu dem König und sagte zu ihm, er habe sich besonnen und wolle ihm die Prinzessin bringen; doch bedürfe er dazu ein grosses Schiff mit reichlichen Lebensmitteln und hundert Trompeter. »Das sollst du alles bekommen,« sprach der König, und ehe noch die Woche zu Ende war, konnte er mit dem Schiffe in See stechen. Als er vor dem Schloss am Meer angelangt war und die Schiffer die Anker ausgeworfen hatten, stieg er mit fünfzig Trompetern an Land und zog mit ihnen unter das Kammerfenster der Prinzessin. Dort bliesen sie, dass es eine Lust war, sie anzuhören, und es dauerte auch gar nicht lange, so trat die Prinzessin heraus aus ihrem Schlosse und bedankte sich für das schöne Ständchen. »Das ist noch gar nichts, Frau Königin,« antwortete Hans, »da solltet Ihr erst einmal sehen, wie sich das anhört, wenn auch die fünfzig Trompeter, die ich noch auf meinem Schiffe habe, mit ihnen blasen.« Da wurde die Prinzessin neugierig und ging mit Hans zum Strande herab und stieg auf das Schiff. Und[56] als sie eine Zeit lang dem Klange der hundert Trompeter vom Verdecke aus gelauscht hatte, liess sie sich von Hans bereden, in den Raum hinabzusteigen, denn dort gehe der Klang noch lieblicher und milder in die Ohren ein. Und das war auch richtig. Als sie aber wieder hinaufstieg, um in ihr Schloss zurückzukehren, sah sie nur Himmel und Wasser; denn die Schiffsleute hatten inzwischen die Anker gelichtet und waren in die hohe See gestochen. Sie weinte und rang die Hände und war so zornig und ungebärdig, dass sie den köstlichen Schlüsselbund mit den vielen goldenen Schlüsseln, die zu den Zimmern des Schlosses gehörten, in das Meer warf. Aber all ihr Jammern und Klagen, ihr Zanken und Schelten half nichts, das Schiff kam immer weiter von ihrem Königreiche ab, und eines schönen Morgens landeten sie vor des alten Königs Stadt.

Da war die Freude gross, als Hans dem König die Prinzessin auf das Schloss brachte, und er hätte sie am liebsten sogleich geheiratet, aber sie wollte von der Hochzeit nichts wissen; und auch Hans durfte nicht mehr zu den Pferden in den Stall, um sie zu striegeln und zu putzen, den wollte sie immerfort um sich haben. Er musste ihr bei Tische aufwarten, und wenn sie in den Garten lustwandeln ging, so musste er sie begleiten. Der alte König setzte ihr aber tagtäglich mit Bitten und Drohungen zu, sie solle eine Zeit bestimmen, da er mit ihr Hochzeit machen könne. Das ertrug sie eine Weile, endlich war ihr sein ewiges Quälen über, und sie sagte zu ihm: »Ich will dich nehmen, wenn du mir mein schönes Schloss zur Stelle schaffst, dass ich darin wohnen kann; denn das deine ist mir zu klein und armselig.« Als der König diese Worte vernommen hatte, liess er sogleich Hans vor sich kommen und sprach zu ihm: »Hans, mach dich auf und schaff mir das Schloss der Prinzessin herbei und stelle es gerade gegenüber dem meinen auf dem Berge dort auf.« Hans wusste nicht, wie ihm geschah, als er die Worte hörte, denn dass er das fertig bekäme, war doch ganz gewiss unmöglich; aber er sagte doch ja zu dem König, denn er kannte schon die Reden, die er sonst wieder zu hören bekommen hätte.

Diesmal war ihm gar nicht wohl zu Mute, als er im Garten stand und den Zaum schüttelte, und er liess den Kopf tief herab hängen, als ihm der Schimmel auf seine Bitten antwortete: »Ach, lieber Schimmel hin, lieber Schimmel her, du hättest nur rechtzeitig auf meinen Rat hören sollen, dann wäre schon alles anders gekommen!« Doch Hans hörte nicht auf zu bitten, wie er es anzufangen habe, das Schloss der Prinzessin in des Königs Reich hinüber zu schaffen. Endlich liess sich der Schimmel erweichen und sprach zu ihm: »Fahre mit einem Schiff zu der Insel, wo die drei Riesen wohnen, die werden dir schon helfen!«, dann verschwand er; Hans aber liess sogleich wieder ein Schiff ausrüsten und fuhr über das weite Meer, bis er an die Insel gelangte. Dort stieg er aus und rief am Strande, so laut er nur konnte: »Riesen, die drei Könige!« In demselben Augenblick standen die Riesen auch schon vor ihm und sagten zu ihm: »Guten[57] Tag, lieber Hans, was willst du von uns? Du hast uns geholfen, so wollen wir dich wieder aus der Not reissen.« – »Ach,« antwortete Hans, »mir thut die Hülfe auch Not. Mein Herr und König lässt mir keine Ruhe bei Tag und bei Nacht; jetzt hat er von mir verlangt, dass ich ihm der Prinzessin Schloss in sein Reich hinüber schaffe.« – »Wenn's weiter nichts ist,« sagten die Riesen, »das soll schon geschehen;« dann streifte einer von ihnen Hans einen eisernen Ring um den Finger und sprach zu ihm: »Jetzt fahre nach Hause zurück, und wenn du auf den Fleck gekommen bist, wo das Schloss der Prinzessin stehen soll, so drehe diesen Fingerreif, und das Schloss wird zur Stelle sein.« – Darauf bedankte sich Hans bei den drei Riesen und fuhr in das Königreich zurück, stieg auf den Berg, den ihm der König bezeichnet hatte, und drehte den eisernen Ring zwischen den Fingern. Und kaum hatte er ihn einmal herum gedreht, so war das Schloss auch schon da, in derselben Pracht und Herrlichkeit, in der es am Meere gestanden hatte.

Vergnügt ging Hans zu dem König und erzählte ihm, dass er die Arbeit verrichtet habe, und sogleich gingen alle drei, der König, die Prinzessin und Hans, hinaus, um das Wunder zu schauen. Nachdem sich die Prinzessin ein wenig über ihr wiedergewonnenes Schloss gefreut hatte, sprach sie zum König: »Was kann mir das Schloss nützen, wenn ich meine Schlüssel nicht wieder bekomme, die ich verloren habe; und ehe ich das Schlüsselbund nicht habe, kann auch die Hochzeit nicht sein.« Antwortete der König: »Hans, mach dich auf und schaff die Schlüssel der Prinzessin herbei!« Hans achtete aber gar nicht auf des Königs Gebot, sondern wandte sich zur Prinzessin und sprach: »Wie kann ich die Schlüssel herbei schaffen? Die habt Ihr ja in Eurem Zorn in das tiefe Meer geworfen. Wie soll ich sie dort finden?« – »Hans,« rief der König, »wirst du machen, dass du auf den Weg kommst! Was sollen die vielen Reden!« Und Hans machte sich wirklich auf den Weg und ging in den Garten und schüttelte den Zaum und erzählte dem Schimmel die neue Not. Nachdem ihn der Schimmel wegen seines ersten Ungehorsams auch diesmal tüchtig gescholten hatte, sprach er zu ihm: »Fahr zu der Sandbank und bitte den Karpfen, den du damals vom Tode errettet hast. Wenn der dir nicht helfen kann, so hilft dir niemand!« Da rüstete Hans von neuem ein Schiff aus, und als er zu der Sandbank gekommen war, stellte er sich darauf und rief mit lauter Stimme: »Karpfen, die drei Könige!« Sogleich guckte der Karpfen mit seinem dicken Kopfe zum Wasser heraus und sprach: »Guten Tag, lieber Hans, was willst du? Du hast mich vom Tode errettet, so will ich dir auch in deiner Not helfen.« – »Lieber Karpfen,« versetzte Hans, »ich soll der Prinzessin das Schlüsselbund wieder schaffen, das sie vor Zorn in das Meer geworfen.« Da setzte der Karpfen eine Pfeife an sein breites Maul und pfiff hinein, und alsbald kamen alle Fische des ganzen Meeres in grossen Scharen herbei geschwommen und umgaben den Karpfen. »Seid ihr alle beisammen?« fragte derselbe. »Nein!« antworteten[58] die Fische, »der grosse, alte Hecht fehlt noch.« Das ärgerte den Karpfen, und er pfiff zum zweiten Male, stärker, denn zuvor, und jetzt dauerte es gar nicht lange, und der grosse, alte Hecht kam herbei geschwommen. »Wo bleibst du denn,« rief ihm der Karpfen zornig zu; aber der Hecht entschuldigte sich und sagte: »Ich schwamm viele hundert Meilen von hier, als ich deinen ersten Pfiff hörte. Da erblickte ich zwischen dem Felsgestein dies prächtige Schlüsselbund; das wollte ich nicht liegen lassen, und darum versäumte ich mich.« – »Das ist ja das Schlüsselbund der Prinzessin,« schrie Hans vor Vergnügen, und der Karpfen nahm es dem Hechte ab und reichte es Hans dar; und weil er damit den andern Fischen eine grosse Arbeit erspart hatte, so wurde der Hecht wegen seiner Versäumnis von dem Karpfen nicht bestraft, ja er erhielt eine Belohnung obendrein, nämlich ein Kreuz unter seinen Gräten; das trug er von Stund an, und das tragen alle Hechte nach ihm bis auf den heutigen Tag.

Hans aber wünschte dem Karpfen ein Lebewohl und fuhr in das Königreich zurück und übergab der Prinzessin die Schlüssel. Die Prinzessin wollte aber auch jetzt noch nichts von einer Hochzeit mit dem Könige wissen. »Zuvor musst du mir Wasser des Lebens und Wasser der Schönheit und Wasser des Todes schaffen,« sagte sie zu ihm, »eher heirate ich dich nicht!« Da bekam Hans von dem König den Befehl, Wasser des Lebens und Wasser der Schönheit und Wasser des Todes herbeizubringen, sonst ginge es ihm schlecht. Was sollte er machen, er mochte wollen oder nicht, er musste wieder in den Garten gehen, den Zaum schütteln und seinen Schimmel herbeirufen. Diesmal war er aber so traurig, dass er gar nicht hörte, als der Schimmel ihn ausschalt, und dass derselbe erst dreimal fragen musste, ehe Hans ihm Rede stand, warum er ihn gerufen habe. Nachdem der Schimmel gehört hatte, dass es sich um das dreierlei Wasser handele, tröstete er Hans und sprach: »Rüste nur wieder ein Schiff aus und fahre zu der Insel mit dem Guseltanger und bitte die blauen Störche, dass sie dir helfen. Helfen die blauen Störche dir nicht, ein anderer hilft dir nimmermehr!«

Das war wenigstens noch eine Hoffnung für den armen Hans, wenn auch nur eine ganz kleine; denn wie sollten die Störche zu dem dreierlei Wasser kommen! Aber er gehorchte dem Schimmel, rüstete ein Schiff aus und fuhr so lange auf dem Meere, bis er auf die kleine Insel mit dem Guseltanger stiess. Dort rief er mit lauter Stimme: »Störche, die drei Könige!«, und sogleich flogen die beiden alten Störche und die drei jungen, denen er das Leben gerettet hatte, auf ihn zu und fragten nach seinem Begehr. »Ich soll meinem König dreierlei Wasser bringen,« sagte Hans zagend, »Wasser des Lebens und Wasser der Schönheit und Wasser des Todes; und bringe ich ihm das Wasser nicht, so bin ich des Todes.« Da antworteten die fünf blauen Störche: »Wasser des Lebens und Wasser der Schönheit besitzen wir selbst, davon wollen wir dir gerne geben; aber Wasser des Todes müssen wir uns erst von den weissen Störchen erkämpfen, die haben das[59] Wasser in ihrem Besitz. Doch wir wollen es dir gerne bringen; du hast uns geholfen, und darum helfen wir dir auch.« Darauf gaben sie Hans eine Flasche mit Wasser des Lebens und eine Flasche mit Wasser der Schönheit; dann huben sie sich hoch in die Luft und kehrten erst nach acht Tagen zurück. Sie hatten den Kampf mit den weissen Störchen siegreich bestanden, und der alte Storchenvater überreichte Hans mit seinem langen Schnabel auch das dritte Fläschlein, mit dem Wasser des Todes gefüllt. Hans band die drei Flaschen unter das Hemd auf die blosse Brust, dass sie ihm nicht verloren gehen möchten; dann sagte er den Störchen Lebewohl und fuhr wiederum heim.

Kaum hatte er der Prinzessin die drei Fläschlein überreicht, so riss dieselbe dem König den Degen aus der Scheide und stach damit Hans durch die Brust, dass er tot zu Boden sank. »Das ist recht hässlich von dir;« schalt der alte König, »wenn es auch nur ein Stalljunge ist, so hat er dies doch nicht um uns verdient!« Aber die Prinzessin hörte nicht auf ihn, öffnete die Flasche mit dem Wasser der Schönheit und wusch ihm damit Gesicht und Hände, dann nahm sie von dem Wasser des Lebens und goss ein paar Tropfen in die offene Wunde; und sogleich sprang Hans auf, gesund und munter, und war schön geworden, schöner, als der schönste Königssohn. Das Ding gefiel dem alten König über die Massen wohl, und er sprach zu der Prinzessin: »Thu mir ebenso, wie du mit Hans gethan hast!« Da stach ihm die Prinzessin auch mit dem Degen durch das Herz; aber sie goss nicht Wasser des Lebens, sondern Wasser des Todes in die Wunde hinein. Und der alte König war tot und blieb tot und ist auch niemals wieder aufgewacht.

Als der alte König gestorben war, sprach die Prinzessin: »Hans, du hast alle Arbeit um mich gehabt, du sollst auch mein Mann werden.« Die Rede gefiel ihm, und es wurde Hochzeit gefeiert, und Hans war König über das ganze Land. Wie er nun eines Morgens in dem Schlossgarten lustwandelte, trabte sein Schimmel auf ihn zu und sprach zu ihm: »Hans, ich habe dir lange Jahre treu gedient, jetzt kannst du auch etwas für mich thun. Bring mich in einen besonderen Stall und, wenn ich dort bin, so ziehst du dein Schwert und erstichst mich.« – »Das werde ich bleiben lassen,« antwortete Hans. »Das wirst du nicht bleiben lassen,« rief der Schimmel, »sonst geht es dir schlecht. Und wenn du mich erstichst, so thust du nur mein Bestes. Denn sobald ich tot auf dem Boden liege, nimmst du von dem Wasser des Lebens und giesst mir davon in die Wunde und von dem Wasser der Schönheit und wäschst mir damit das Haupt.« Das versprach Hans dem Schimmel und führte ihn in einen leeren Stall und that dann genau, wie ihm der Schimmel geheissen hatte. Kaum hatten aber das Wasser des Lebens und das Wasser der Schönheit den Schimmel berührt, so war er kein abgestochener, toter Schimmel mehr, sondern eine wunderschöne Prinzessin, die fiel ihm[60] um den Hals und sagte ihm, er habe sie erlöst, und wenn er wolle, könne er sie auch heiraten.

»Nein, das geht nicht,« sagte Hans, »denn ich habe schon eine Frau! Aber wenn es dir recht ist, so heiratest du einen von meinen dreiundzwanzig Brüdern.« Da wurde der Tagelöhner mit allen seinen Söhnen an des Königs Hof gebracht, und der Schimmel–Prinzessin gefiel Hansens jüngster Bruder am besten. Den heiratete sie, und er ward König über ihr erlöstes Reich. Von den übrigen zweiundzwanzig Brüdern aber behielt Hans elf bei sich und elf der andere Bruder, und sie nahmen in den beiden Königreichen die höchsten Ehrenstellen an. Und sie lebten allesamt viele Jahre in Glück und in Frieden und wurden steinalt, aber am ältesten wurde doch Hans, denn sein Gevatter, der Tod, sorgte dafür, dass seines Paten Lebenslicht nicht so bald erlösche; und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

Fußnoten

1 Guseltanger ist ein weitläufiger Fichtentanger.


Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 48-61.
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