16. Hans, der Grafensohn, und die schwarze Prinzessin.

[90] Es war einmal ein Graf, der hatte drei Söhne. Die beiden Ältesten dienten dem König, der eine als Hauptmann, der andere als Fähnrich, und der Vater hatte eine rechte Freude an ihnen; um so grösser war sein Kummer über Hans, den Jüngsten, der war zu nichts etwas nutze. Er wollte nicht Soldat und nicht Landwirt werden; endlich riss dem Alten die Geduld, er rief ihn zu sich und sprach zu ihm: »Ich hab's jetzt lange genug getragen; etwas musst du lernen, und da du sonst nichts willst, so magst du die Schweine hüten.« Hans bekam keinen kleinen Schreck, als er seinen Vater so sprechen hörte; doch hoffte er, es sei nur ein Spass. Aber es war kein Spass; am andern Morgen um vier Uhr ward Hans aus dem Bette getrieben, bekam ein Tuthorn umgehängt und eine Peitsche in die Hand, und dann musste er die Schweine in den Buchenwald treiben.

Das war ein saures Stück Arbeit, und dazu wiesen die Leute mit Fingern auf ihn und lachten ihn aus. Ehe noch die Sonne dreimal aufgegangen war, lief er darum zu dem alten Grafen und sagte zu ihm: »Vater, ich habe mich besonnen, ich will Euch fortan keine Schande mehr machen und will werden, was meine Brüder sind.« Da war der Graf aller Freuden voll; denn den Soldatenstand schätzte er am höchsten. »Siehst du, Mutter!« sagte er zu seiner Frau, der Gräfin, »unser Hans ist gar nicht so schlimm, als er aussieht. Ich[90] habe es immer gesagt, wenn er nur scharf genommen wird, so soll noch etwas Ordentliches aus ihm werden.« Hans bekam darauf alle Taschen voll guter Speisen und Getränke und dreihundert Thaler obendrein, dass er keine Not litte, dann machte er sich auf den Weg in die Stadt; und als er dort war, wurde er eingekleidet. Die Soldaten sind aber lose Vögel; die merkten bald, dass der neue Rekrut bei Gelde sei, und sie gingen ihm um den Bart und sorgten dafür, dass er keinen Dienst mitzumachen brauchte, und redeten ihm zu, dass er etwas darauf gehen liesse. Da waren sie gerade an den Rechten gekommen, Hans liess sich nicht lange bitten und verlebte mit ihnen einen Tag wie den andern in Saus und Braus; und als die zweite Woche zu Ende gegangen war, hatte er auch keinen roten Heller mehr in der Tasche.

»Was machen wir jetzt?« sagte Hans. »Du schickst einen Boten an den alten Grafen,« rieten die Kameraden, »und lässt ihm melden: Vater, mir ist es sehr gut ergangen unter der Fahne, und mein Hauptmann hat mich zum Gefreiten gemacht!« – Das that denn Hans auch, und als der alte Graf die Botschaft vernommen hatte, wollten ihm schier die Freudenthränen aus den Augen stürzen, so vergnügt war er. Dann ging er zum Geldschrank und holte vierhundert Thaler heraus, gab sie dem Boten und sprach: »Das bring meinem Sohne und grüss ihn mir schön von seinem alten Vater. Und das schickte ich ihm, denn ein Gefreiter muss Geld haben, dass er keine Not leidet.« Als der Bote mit dem Gelde in der Stadt angekommen war, fing das gute Leben von neuem an, bis auch die vierhundert Thaler zu Ende gegangen waren. Da beförderte sich Hans auf den Rat seiner Gesellen zum Fähnrich und erhielt fünfhundert Thaler; dann ward er ein Feldwebel und bekam sechshundert Thaler; ein paar Wochen später wurde er ein Leutnant, und der Vater sandte siebenhundert Thaler; endlich kündete er ihm sogar an, er wäre Hauptmann geworden. Da hielt es den Alten nicht länger zu Haus. »Mutter, ich muss meinen Hans wieder sehen,« sprach er zu der Gräfin, »der macht mir mehr Freude, wie die beiden andern zusammen genommen.« Und weil ein Hauptmann reiten muss, so nahm er die beiden schönsten Hengste aus dem Stalle, und weil ein Hauptmann Geld braucht, so steckte er tausend Thaler in die Tasche; dann ritt er in die Stadt und fragte den ersten besten auf der Strasse, er möge ihm sagen, wo sein Sohn Hans, der Hauptmann, wohne. »Einen solchen Hauptmann giebt es hier gar nicht,« antwortete der Angeredete und ging weiter. »Der Mann wird wohl hier nicht bekannt sein,« dachte der Graf und fragte die Schildwache, welche vor dem Schlosse auf und ab ging: »Wo wohnt mein Sohn Hans, der Hauptmann?« – »Einen solchen Hauptmann giebt es hier gar nicht,« antwortete auch der Soldat, legte sein Gewehr auf die andere Schulter und ging wieder auf und ab. »Der Bauerlümmel,« schalt der Graf, »kennt nicht einmal die Hauptleute in der Stadt!« dann ging er zum General und fragte den, wo sein Sohn Hans, der[91] Hauptmann, wohne. Der General liess die Listen nachschlagen, dann sagte er: »Einen Hauptmann des Namens giebt es hier nicht, wohl aber einen liederlichen Rekruten, der die meiste Zeit im Loche sitzt und mit seinen Gesellen Geld verprasst.« Da ward der alte Graf fuchsteufelswild und rief: »Hat mich der Schlingel so an der Nase herumgeführt, so will ich's ihm gedenken!«; damit lief er zum Hause heraus und kehrte, ohne seinen Sohn gesehen zu haben, mit den tausend Thalern und mit den beiden Hengsten wieder auf sein Schloss zurück.

Als die Sache ruchbar ward, wie Hans seinen Vater geprellt hatte, schrieb der General an den König und fragte an, was sie mit dem liederlichen Rekruten machen sollten. Das Beste wäre, sie jagten ihn fort und trieben ihn über die Grenze. Da kam der Bescheid von dem König zurück: »Ihr sollt Hans nicht entlassen, denn ich kann ihn gut gebrauchen; er soll bei dem Sarge meiner Tochter Wache stehen.« Mit der verstorbenen Prinzessin hatte es aber folgende Bewandtnis:

Der König des Landes hatte sich vor vielen Jahren mit einer reichen Prinzessin verheiratet; aber so schön sie auch war und so grossen Reichtum sie ihm auch eingebracht hatte, so war er doch von Herzen verzagt und bekümmert, denn sie gebar ihm kein Kind. All sein Bitten und Flehen zu Gott half ihm nichts, und endlich ward er ganz verzagt und verzweifelt und lief Tag aus Tag ein halb im Wahne im Walde herum. Da begegnete ihm eines Tages ein altes Mütterchen, das rief: »Ei, Herr König, was seht Ihr so betrübt aus? Euch sollte es doch an nichts fehlen!« – »Lass mich zufrieden,« entgegnete der König, »du kannst mir doch nicht helfen.« – »Wer weiss,« antwortete das Mütterchen, »von alten runzligen Weibern sind oft die schiersten Ratschläge gekommen!« Da dachte der König: »Hilft es nicht, so schadet's auch nicht,« und offenbarte der Alten seinen Kummer. Sagte das Mütterchen: »Wenn's weiter nichts ist, so soll Euch bald geholfen werden. Wartet ein Weilchen, ich komme bald zurück!« Damit humpelte es in den Wald hinein und pflückte Kräuter und Blumen, die ganze Schürze voll, und als es damit zu dem König kam, gab es ihm das Kräuterwesen und hiess ihn, dasselbe seiner Frau, der Königin, bringen, dass sie davon einen Thee koche. »Davon müsst ihr in Gottes Namen beide trinken, ehe ihr zu Bette geht, und euer Wunsch wird erfüllt werden.« – Der König glaubte zwar nicht an die Reden der Alten; aber er nahm die Kräuter doch an sich und brachte sie der Königin auf das Schloss, und sie kochte auch wirklich Thee davon. Wie sie nun beide vor dem Schlafengehen davon tranken, überkam es den König wieder, wie Wahn und Verzweiflung, und er rief: »Trink, Frau, in Gottes Namen mit dem Teufel immerzu!« Darnach gingen sie zu Bette und legten sich nieder. Und das alte Weib hatte den König nicht betrogen. Über neun Monde genas die Königin eines Mädchens, das war gesund an allen Gliedern, aber kohlschwarz von Farbe. Da dachte der alte König an seinen lästerlichen Fluch und weinte still vor sich hin. Er glaubte, der liebe[92] Gott habe dem Kinde zur Strafe für die schwere Sünde seines Vaters die schwarze Haut gegeben, aber es sollte noch schlimmer kommen. Das Mädchen ass nicht und trank nicht, es lachte nicht und weinte nicht, es schrie nicht und sprach nicht, und dabei wuchs es so schnell, dass es mit einem Jahre schon die Grösse eines fünfjährigen Kindes besass.

Als nun sein erster Geburtstag kam, that es um die zwölfte Stunde der Nacht, zu welcher Zeit es geboren war, plötzlich den Mund auf und rief: »Vater!« – »Was willst du, mein Kind?« antwortete erschrocken der König. – »Jetzt spreche ich zum ersten Mal,« versetzte die schwarze Prinzessin, dann that sie den Mund zu und war wieder so stumm, wie zuvor.

Im zweiten Jahre wuchs das Mädchen so gross, dass es aussah, wie eine zehnjährige. Um die Mitternachtsstunde des zweiten Geburtstages rief sie wieder: »Vater!« – »Was willst du, mein Kind?« fragte der König noch ängstlicher, wie das erste Mal. – »Jetzt spreche ich zum zweiten Male,« erwiderte seine Tochter, »aber wundern wirst du dich, wenn ich zum dritten Male den Mund aufthue.« Damit schloss sie die Lippen und verlebte das dritte Jahr, wie sie die beiden ersten verbracht hatte; nur dass sie am Ende des dritten Jahres so gross und stark geworden war, wie eine mannbare Jungfrau.

Vor dem dritten Geburtstag überkam den König ein Grauen, und er hätte sich lieber hundert Klafter unter die Erde gewünscht, als zu seinem Kinde. Doch es liess ihn nicht fort, er musste aushalten. Als die Glocke zwölf schlug, öffnete das Mädchen, wie es vorher gesagt hatte, seinen Mund und sprach: »Vater!« – »Was willst du, mein Kind?« entgegnete zitternd der König. – »Lasst mir einen eisernen Sarg machen, legt mich hinein und stellt dann den Sarg vor den Altar in die grosse Domkirche. Ein ganzes Jahr muss jede Nacht ein Soldat an meinem Sarge Leichenwacht halten; geschieht das nicht, so bringe ich Unglück über Unglück über Euer Reich.« Dann verstummte sie wieder, und der König gehorchte voll Angst dem Befehle.

Ein eiserner Sarg wurde geschmiedet; darnach legte man die schwarze Prinzessin wie eine Leiche in ihn hinein und trug sie auf einer Bahre in die Kirche, wo der Sarg, wie die Königstochter befohlen hatte, vor dem Altar seine Aufstellung fand. Darauf erhielt ein Soldat den Befehl, bei der Leiche die Nacht über Schildwach zu stehen. Als er aber am andern Morgen von seinem Posten abgelöst werden sollte, fand man nichts mehr, als seine Kleider und ein Häufchen Knochen; das übrige hatte die schwarze Prinzessin gefressen.

Die Kunde davon kam dem König sauer an. Aber was halfs! Dem Willen seiner Tochter musste er gehorchen, sollte nicht noch grösseres Unglück sein Reich treffen. Es wurde also ein zweiter Soldat auf den Nachtposten gestellt, und als dieser ebenfalls von der schwarzen Jungfer gefressen wurde, ein dritter und vierter und so weiter, bis schliesslich kein Soldat mehr zu finden war, der die böse Wache übernehmen wollte. Da bot der König eine grosse Belohnung[93] aus dem, der eine Nacht im Dome an dem Sarge seiner Tochter verbringen würde, und er lockte dadurch eine gute Zahl Menschen herbei, die sämtlich ihr Leben einbüssten. Endlich zog auch das nicht mehr, und der König glaubte sich verloren, obwohl nur noch drei Tage an dem Jahre fehlten; denn niemand war durch alle Schätze der Welt zu bewegen, bei der schwarzen Prinzessin zu wachen. Ausserdem wurde das Volk unruhig und drohte, den König abzusetzen, wenn er den Posten in der Kirche nicht einzöge. Da langte in letzter Stunde der Brief des Generals bei dem Könige an, und Hans wurde von ihm ausersehen, den Wachtdienst zu besorgen. Er mochte wollen oder nicht, er wurde in die Kirche geführt, und dann schloss der König eigenhändig hinter ihm die Thüre zu.

Drinnen in der Kirche brannten zwei Lichter auf dem Altar, und vor demselben stand der offene Sarg mit der schwarzen Prinzessin. Kurz bevor die Glocke Elf schlug, ward Hans graulich zu Mute, und er beschloss, aus der Kirche zu fliehen. Vor der Thüre hielt ihn jedoch ein kleines Männchen mit langem grauen Bart auf, das war aber unser lieber Herr Gott, der den Jammer, welchen der Teufel tagtäglich anrichtete, nicht länger mit ansehen wollte. »Hans,« sprach das Graumännchen, »flieh nicht aus der Kirche, sondern verstecke dich in der Orgel. Sprich aber ja kein Sterbenswörtchen, wenn die schwarze Prinzessin dich rufen wird.« Hans that, wie ihm geheissen war, und kletterte in die Orgel hinein; und kaum sass er in seinem Versteck, so erhub sich die Königstochter und schaute nach dem Posten, und als sie ihn nicht er blickte, hub sie an, ihn zu suchen und mit kläglicher Stimme zu rufen: »Schildwach! Schildwach! Wo bist du? Ach, Schildwach, erbarme dich doch!« Aber Hans rückte und rührte sich nicht. Endlich kletterte die schwarze Prinzessin in die Orgel, ward des Soldaten gewahr und wollte sich gerade auf ihn stürzen, um ihn zu zerreissen, als die Glocke Zwölf schlug und die Prinzessin wieder in den Sarg zurückkehren musste.

Der alte König jauchzte vor Freuden, als Hans am andern Morgen gesund und munter aus der Domkirche heraustrat, und der Schatzmeister musste ihm auf der Stelle dreihundert Thaler in die Hand zählen. Dann wurde abgemacht, dass er auch noch eine zweite Nacht an dem Sarge zubringen solle.

Wieder überkam Hans Furcht und Grausen bei dem Anblick der schwarzen Prinzessin, dass er zur Thüre floh, und wieder erschien ihm das kleine Graumännlein und hielt ihn am Fliehen zurück. Diesmal musste sich Hans aber unter dem Altar verstecken. Um elf Uhr stand die Königstochter auf und verliess den Sarg; dann rief sie, wie den Tag zuvor, mit herzzerreissender Stimme: »Schildwach! Schildwach! Wo bist du? Ach, Schildwach, erbarme dich doch!« Und als niemand ihr antwortete, rief sie: »Pfui, ich bin wieder betrogen und habe doch solchen Hunger. Schildwach! Schildwach! Kriege ich dich, so fresse ich dich!« Dann suchte sie zuerst die Orgel und dar auf die ganze übrige Kirche ab, bis sie auch an den Altar[94] kam. Als sie aber des Burschen ansichtig wurde, schlug die Uhr in demselben Augenblicke Zwölf, und sie mochte wollen oder nicht, sie musste wieder in den Sarg zurück; denn mit dem Schlage Zwölf war alle ihre Macht gebrochen.

Am andern Morgen öffnete der König selbst die Thüre, um zu sehen, ob Hans wieder mit dem Leben davon gekommen sei; und als er es so befand, drückte er dem Burschen die Hand und lobte ihn über die Massen und setzte ihm solange zu, bis er auch noch die dritte und letzte Nacht Wache zu stehen versprach, wieder um den Lohn von dreihundert Thalern. Das kleine Graumännchen hatte aber in der Nacht vorher Hans den Rat gegeben, wenn er auch noch die dritte Nacht wachen würde, so solle er sich Brot und Wein und Braten mit in die Kirche nehmen. Das that Hans auch und stellte die Speisen und Getränke auf eine Bank bei dem Altare.

Es dauerte gar nicht lange, so trat das Graumännlein auf ihn zu und sprach: »Diesmal krieche unter den Sarg, und wenn die Prinzessin den Sarg verlässt und dich in der Kirche sucht, so spring aus deinem Versteck hervor und lege dich statt ihrer in den Sarg hinein. Sprich aber nicht, und sei im übrigen ohne Furcht, der Spuk kann dir nichts anhaben.« – Hans dankte dem Graumännlein für den guten Rat und that, wie es ihm geheissen. Kaum hatte die Königstochter den Sarg verlassen, so kroch er hervor und legte sich statt ihrer hinein, und es kümmerte ihn wenig, dass sie laut klagend durch die Kirche rief: »Schildwach! Schildwach! Wo bist du? Ach Schildwach, erbarme dich doch! Ich bin unglücklich! Krieg ich dich, ich fress' dich lebendig!«

Weil die schwarze Jungfer den Soldaten aber nirgends finden konnte, trat sie an ihren Sarg, um sich mit dem Schlage Zwölf wieder hinein zu legen. Da sah sie, dass der Platz schon besetzt war. Jetzt tobte und schrie sie fürchterlich und drohte, Hans in Stücke zu reissen, wenn er nicht mache, dass er aus dem Sarg käme; aber Hans dachte an die Worte des Männleins und rührte kein Glied am ganzen Körper. Plötzlich verkündete die Uhr die zwölfte Stunde, und als der zwölfte Schlag verklungen war, verwandelte sich die Prinzessin vor seinen Augen und wurde weiss vom Kopf bis zur Sohle. Dann reichte sie ihm freundlich die Hand und sprach zu ihm: »Du hast mich erlöst; ich bin jetzt aus des Teufels Klauen befreit und nicht anders, wie die übrigen Menschenkinder. Steh auf, wir wollen essen; denn ich habe Hunger.« Da stand Hans auf, und sie assen von dem Brot und Braten und tranken von dem Wein, den er auf des Graumännleins Befehl mit in die Kirche genommen.

Mit Sonnenaufgang ward die Kirchthür aufgeschlossen, und siehe, da traten die Prinzessin und Hans aus dem Dome heraus und gingen geradeswegs auf den alten König zu. Der rieb sich die Augen und kniff sich in die Ohren, denn er dachte, er läge im Schlafe und träume. Als er aber sah, dass er sich nicht täusche und dass seine einzige Tochter erlöst war, da wusste er sich vor Freude nicht zu lassen.[95] Er herzte und küsste erst die Prinzessin und dann ihren Erlöser; darauf mussten die beiden in das Schloss kommen, und dort wurde Hochzeit gefeiert. Und da der König schon alt war, so übergab er Hans die Regierung, und er herrschte an seiner Statt einige Jahre lang.

Da sprach eines Morgens seine Frau, die junge Königin: »Hans, hättest du denn nicht Lust, einmal deinen alten Vater zu besuchen?« – »Das hätte ich wohl,« antwortete Hans, »aber ich dachte, du würdest es mir übel nehmen und das Reich könnte so lange den König nicht entbehren!« – »Das hat nichts auf sich, lieber Hans,« erwiderte die Königin, »ich lasse dich gerne ziehen, und das Reich werde ich derweile für dich verwalten.« Da liess Hans fünfhundert Soldaten kommen, bestieg ein prächtiges Ross und reiste seines Vaters Schlosse zu. Unterwegs musste er durch einen grossen Wald, der wollte kein Ende nehmen. Schon dachte Hans, er müsse die Nacht im Freien zubringen, als er ein hell erleuchtetes Gasthaus vor sich sah. Dahinein ging er mit seinen Soldaten, und nach dem sie gegessen und getrunken hatten, legten sie sich schlafen. Das Haus war aber kein Gasthaus, sondern eine Räuberherberge, in der fünfhundert Räuber ihr Wesen trieben. Als dieselben um Mitternacht heim kehrten, ermordeten sie die Soldaten und liessen nur diejenigen am Leben, die ihnen schworen, dass sie mit in der Bande dienen wollten. Dann stieg der Räuberhauptmann mit einigen seiner Gesellen die Treppe hinauf, um den König in seinem Schlafzimmer zu töten. Der hatte aber den Unrat gemerkt, denn er hatte gehört, wie es draussen klipperte und klapperte und knickerte und knackerte, und war im Hemde aus dem Bette und zum Fenster hinausgesprungen und lief nun seines Vaters Schlosse zu. Noch vor Tages Grauen langte er dort an und pochte an die Thüre, aber niemand wollte ihm öffnen. Da rief er: »Vater, mach doch auf! Hans, dein jüngster Sohn, ist da!« – »Bist du's, du Galgenstrick,« rief der alte Graf zornig, riss die Reitpeitsche von der Wand und trat hinaus. »Vater, du wirst mich doch nicht schlagen!« sagte Hans, »Ich bin ja dein König!« – »So, nun bist du König geworden!« sprach der Alte grimmig, »Erst Gefreiter, dann Fähnrich, dann Feldwebel, dann Leutnant, dann Hauptmann und jetzt gar König! Und noch dazu schlimmer, wie ein Bettler, im blanken Hemde. Warte, Schlingel, ich werde dir helfen.« Und damit ergriff er die Reitpeitsche beim anderen Ende und schlug mit dem Rehfuss auf den armen Hans ein; und je mehr dieser schrie: »Vater, ich bin dein König!« um so mehr schlug der Alte zu, bis Hans Hören und Sehen verging und er ohnmächtig zu Boden sank.

Als er wieder aus der Ohnmacht erwachte, warf ihm der Vater ein paar Lumpen zu, die musste er anziehen; dann hingen ihm die Knechte ein Tuthorn um und gaben ihm eine Peitsche in die Hand, und er war ein Schweinehirt geworden und musste, wie damals, in den Buchenwald treiben, dass sich die Schweine dort mit den Eckern mästeten. – Vom reichen König ein Schweinehirt, das wollte Hans nicht in den Kopf, und betrübt starrte er vor sich hin, wenn er im Walde[96] sass und das Schweinevolk um ihn herum quiekte und grunzte. Wie er eines Tages so traurig da sass, trat das Graumännlein vor ihn hin und sprach zu ihm: »Hans, ich weiss, dass es dir schlecht geht, und ich will dir helfen. Hier hast du eine Pfeife, und wenn du darauf spielst, so müssen alle Schweine tanzen; nimm sie nur, dann hast du mehr Freude am Hüten.« Hans bedankte sich bei dem Männlein für das Geschenk, und als es wieder verschwunden war, brachte er die Pfeife an die Lippen, und richtig, alle Schweine, gross und klein, wie sie gewachsen waren, stellten sich auf die Hinterbeine und tanzten Polka und Schottisch links herum; und das sah so lustig und drollig aus, dass Hans vor Lachen die Thränen über die Backen liefen. Und er hörte nicht auf mit dem Pfeifen und trieb die Thiere pfeifend nach Hause, und sie tanzten unaufhörlich, bis sie an den Eingang des Dorfes gekommen waren.

Dort stand der reiche Grossbauer vor der Thüre, und wie er die tanzenden Schweine sah, freute er sich ebenfalls und rief: »Hans, lass mir von deinen Schweinen ein Ferkel ab, ich gebe dir hundert Thaler dafür.« Das war Hans zufrieden, und für die hundert Thaler erhielt der Grossbauer ein Ferkel. Den folgenden Tag machte es Hans gerade so, und er hatte jetzt seine Lust an dem schlechten Dienst; als er aber am Abend mit der tanzenden Herde nach Hause zog, kam ihm der Grossbauer schon vor dem Dorfe entgegen und rief: »Hans, mein Ferkel will nicht tanzen!« – »Es bangt sich so allein,« antwortete Hans, »und sehnt sich nach Gesellschaft.« Da musste der Bauer zweihundert Thaler daran wenden, um ein zweites Ferkel zu dem ersten dazu zu kaufen, denn für hundert Thaler wollte es Hans nimmermehr thun. – Aber so sehr sich auch Hans über seine tanzenden Schweine freute, so wenig waren die Schweine mit dem Tanzen einverstanden; denn Hans liess ihnen gar keine Zeit, sich Bucheckern und Eicheln zu suchen. Sie wurden darum zusehends magerer und dünner, und die Viehmagd lief zum Grafen auf das Schloss und sagte zu ihm: »Herr Graf, mit Euren Schweinen ist's nicht richtig; thut Ihr nichts dazu, so geht Euch die ganze Herde zu Grunde!«

Das schrieb sich der Graf hinter die Ohren, denn er ahnte, dass ihm Hans einen Streich gespielt habe; und als dieser am nächsten Morgen mit dem Schlage Vier die Schweine in den Wald trieb, schlich er ihm heimlich nach, und da merkte er denn gar bald, warum seine Herde so schlecht im Stande war. »Du Galgenstrick und Taugenichts,« rief er zornig, »willst du gleich die Pfeife aus dem Munde nehmen!« und dann sprang er auf ihn zu und riss ihm die Pfeife aus der Hand und gab ihm seinen Knotenstock zu fühlen, dass er am Leben verzagte. Diesmal waren am Abend beim Eintreiben die Schweine vergnügt und Hans traurig. Und als der Bauer ihm wieder mit der Rede kam: »Hans, meine Ferkel tanzen nicht mehr,« sagte er mürrisch: »Meine haben's auch verlernt!« und trieb seine Herde in den Stall hinein.[97]

So mochten etwa sechs Wochen und darüber vergangen sein, da sagte die Königin zu ihren Dienern: »Mein Mann ist nun schon so lange fort und kommt und kommt nicht wieder. Wenn ihm nur kein Unglück zugestossen ist! Ich will mich selbst aufmachen und ihn suchen!« Sogleich mussten von der Reiterei dreihundert Mann aufsitzen, und dann ritt sie mit ihnen dem Grafenschlosse zu. Unterwegs kam sie durch denselben grossen Wald, und die Dunkelheit überraschte auch sie dicht vor der Räuberherberge. Als sie aber in den Hof einritt mit ihren Reitern, wurde sie durch Männer gewarnt, welche von der Bedeckung ihres Mannes über geblieben waren und aus Zwang der Bande hatten beitreten müssen. Von denen erfuhr sie auch, wie alles gekommen sei, und dass die fünfhundert Räuber in zwei Abteilungen in der Nacht zurückzukehren pflegten. Und das war recht gut, dass die Prinzessin das wusste; denn so war sie mit ihren dreihundert Reitern der einzelnen Abteilung gegenüber in der Überzahl. Sie befahl daher, dass die Reiter ihre Waffen nicht ablegten, und als die Räuber heim kamen, rieben sie erst die eine Schar auf und dann die andere. Nur die Soldaten ihres Mannes liess sie am Leben, denn die konnten ja nichts dafür, dass sie hatten Räuber werden müssen.

Unter den Schätzen, welche die schlechten Menschen in dem Hause zusammen getragen hatten, befanden sich auch die goldenen Kleider des Königs; und da sie nicht zerrissen und auch nicht blutig waren, so schloss sie daraus, dass er noch am Leben sei und sich wohl bei seinem Vater aufhalten werde. Die Kleider wurden darauf eingepackt, und als die Sonne aufging, eilte sie mit ihren Reitern dem Grafenschlosse zu. Das waren einmal Verbeugungen, die der alte Graf machte, als er den hohen Besuch bekam; er hielt der Königin selbst den Steigbügel und half ihr vom Rosse und bat sie, in sein Haus zu treten und damit fürlieb zu nehmen, was er ihr zu bieten vermöge. Der Königin lag aber nicht an Essen und Trinken, und sie fragte ihn sogleich, als sie in der Stube waren, ob er denn keine Kinder besitze. »Gewiss, Frau Königin,« antwortete der Graf, »und das sind zwei Jungen, an denen ich meine Herzensfreude habe; sie stehen beide in des Königs Heer, und der eine ist ein Hauptmann und der andere ein Fähnrich!« – »Sind das Eure einzigen Kinder,« forschte die Königin. »Nein,« sagte der alte Graf, »leider Gottes nicht, ich habe noch einen Erzschelm und Taugenichts, einen Tagedieb und Thunichtgut; ach wenn ich ihn doch erst los wäre, dann hätte ich Ruhe und Frieden.« – »Schäm er sich doch,« versetzte die Königin, die wohl merkte, dass er ihren Hans meinte, »wer wird denn so schlecht von seinem eigenen Kinde sprechen! Wo ist denn Euer Sohn? Habt Ihr ihn bei Euch oder ist er in der Fremde?« – »Der hütet die Schweine,« sagte der Alte giftig, »seht, da treibt er gerade in den Hof hinein!« – Da schaute die Königin aus dem Fenster und erblickte ihren lieben Mann, in schlechten Lumpen, das Tuthorn auf dem Buckel, hinter den Schweinen einherschreiten. Das that ihr in[98] tiefster Seele weh, aber sie bezwang sich und sagte: »Mag er auch noch so schlecht sein, zum Schweinehirten sollte ein Graf seinen Sohn denn doch nicht machen;« darauf setzten sie sich nieder und assen zu Mittag. Nach dem Essen bat die Königin den Grafen, dass sie seine Felder besichtigen dürfe. Das war ihm eine grosse Ehre, und er wollte sie selbst hinausfahren; aber die Königin wehrte ihm und sagte: er habe wohl wichtigere Sachen zu thun; dann stieg sie in den Wagen, und der Kutscher musste sie hinaus in den Wald fahren, wo Hans die Schweine hütete. Dort sprang sie aus dem Schlage heraus und schritt gerades Wegs auf ihn zu. »Hans, kennst du mich nicht mehr?« rief sie und klopfte ihm auf die Schultern. Da schaute Hans in die Höhe, und als er seine Frau, die Königin, erblickte, lachte ihm das Herz im Leibe, und er sprach: »Frau, wie hast du's angefangen, dass du mich hier gefunden hast?« Sie erzählte ihm darauf alles, wie es gekommen sei, und neckte ihn, wie sie mit den dreihundert Reitern die fünfhundert Räuber vernichtet habe, während er mit den fünfhundert Soldaten ihrer nicht Herr werden konnte. »Ja, du bist klüger, wie ich,« entgegnete Hans, »und darum hilf mir jetzt aus meinem Elend.« Seine Frau versprach ihm das auch und vertröstete ihn auf den Abend, wenn er sich bei seinen Schweinen im Stalle zum Schlafe niedergelegt habe. Darauf sagte sie ihm Lebewohl, stieg in den Wagen und fuhr wieder auf das Grafenschloss zurück.

Während die Königin bei dem Grafen stand und ihm erzählte, wie ihr seine Äcker und Wiesen gefallen hätten, kehrte Hans mit den Schweinen vom Busche heim; denn es hatte ihm keine Ruhe mehr draussen gelassen, seit er wusste, dass seine liebe Frau auf dem Schlosse bei seinem Vater war. Es war aber erst die fünfte Stunde, und der alte Graf schalt ihn, dass er schon so früh zurückgekommen sei. Vor Schlägen rettete ihn zwar die Königin, aber das konnte sie nicht verhindern, dass er ohne Abendbrot zu erhalten zu den Schweinen in den Stall gesperrt wurde. »Sind die Schweine nicht dick geworden, so braucht er auch nicht satt werden,« sagte der Graf, und dabei blieb es. Und damit ja niemand sich unterstünde, ihn aus dem Stalle herauszulassen, zog er selbst den Schlüssel ab und steckte ihn zu sich.

Als am Abend alles zu Bette gegangen war, gab die Prinzessin ihren Reitern Befehl, dass sie den Stall erbrächen und Hans herausholten; dann zog sie ihm seine königlichen Kleider an, und sie blieben die Nacht über beisammen. Ob sie geschlafen haben, ich glaub' es nicht, sie hatten einander gar viel zu erzählen; und die Reiter hatten auch wenig Ruhe, sie mussten ein Schwein abstechen und mit seinem Blute die Schwelle und den Fussboden des Stalles bestreichen, dass es aussah, als sei ein reissendes Tier eingebrochen und habe den Hirten gefressen. Mit Tagesanbruch gingen Hans und seine junge Frau zu dem Grafen herab, und die Königin erzählte ihm, über Nacht sei ihr Mann, der König, gekommen und wolle auch sein Gast sein. Da war der alte Graf erst recht höflich und konnte sich gar nicht[99] genugsam bedanken für die grosse Ehre, welche seinem Hause widerfahren wäre. Verwunderlich war ihm nur, dass auch der König sogleich nach seinem jüngsten Sohne fragte und ihn bat, dass er denselben vor ihn führe. »Der Schlingel ist im Schweinestall,« antwortete der alte Graf, »hier ist der Schlüssel, er soll gleich austreiben.« Darauf ging er auf den Hof, und der König und die Königin folgten ihm nach. Ja, da war die Thüre offen und die Schwelle und die Diele mit Blut besudelt und von Hans nirgends eine Spur. »Ein wildes Tier hat ihn gefressen!« schrie die Königin. »Gott sei Dank,« sagte der Graf, »dass ich ihn los bin, nun will ich in Frieden sterben!«

»Aber lieber Graf,« sagte jetzt der König, der doch Hans selber war, »ich glaube, Ihr kennt Euren Sohn gar nicht, sonst würdet Ihr ihn nicht so schlecht behandeln.« – »Den Schlingel sollte ich nicht kennen,« rief der Alte, »den finde ich unter tausend Menschen auf der Stelle heraus.« – »Das sagt Ihr,« lachte die Königin, »und Euer Sohn steht neben Euch.« Da sah der alte Graf dem König näher ins Gesicht, und richtig, es war sein Hans, und er sank vor ihm auf die Knie und bat um Verzeihung. »Nicht doch, Vater,« sprach Hans und zog ihn in die Höhe, »du hast mich zwar schlecht genug behandelt, aber ich habe es auch arg getrieben. Und nun komm mit mir auf mein königliches Schloss, dass du all die Pracht und Herrlichkeit sehen kannst, die ich mir erworben.« Das that der alte Graf auch, und er lebte bei seinem Sohne, dem König, und bei der jungen Königin noch lange Jahre in Glück und Frieden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 90-100.
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