27. Der alte Fritz und der Pastor.

[155] Der alte Fritz fuhr einmal über Land, um nachzuschauen, wie es seinen Unterthanen ginge. Den Kopf hatte er voller Sorgen, denn es stand nicht allenthalben ganz so gut, wie er es wohl wünschte. Als er nun durch ein grosses Dorf kam, sah er über der Thür des Pfarrhauses ein Schild angeheftet, darauf war geschrieben: »Ich bin der Prediger von N.N. und lebe ohne Sorgen.« – »Warte einmal,« dachte der alte Fritz bei sich, »dich werden wir kriegen.« Der Kutscher musste halten, und der König trat in das Pfarrhaus.

»Hat er das Schild an das Haus heften lassen?« herrschte er den Pastor an. »Ja wohl, Königliche Majestäten, das habe ich gethan,« stotterte der Prediger. »Und hat er wirklich keine Sorgen bei der grossen Gemeinde und den vielen Seelen, die er zu versorgen hat?« fuhr der alte Fritz fort. »Königliche Majestäten, es ist ein reiches Bauerndorf.« – »Ach, was reich! Wenn er keine Sorgen hat, so werde ich ihm Sorgen machen. Hier geb' ich ihm drei Rätsel auf. Das erste lautet: ›Wie weit ist es bis zum Himmel?‹ das zweite: ›Wie tief ist das Meer?‹ und zum dritten soll er mir sagen, was ich denke. Und kann er mir die drei Fragen nach drei Tagen nicht beantworten, so ist er die längste Zeit Pastor gewesen und kann sehen, wo er bleibt.« Damit stieg der König wieder in den Wagen und fuhr davon.[155]

Dem Prediger schlackerten die Knie, und er ging herum, wie ein verlorener Mann. Er grübelte und grübelte, und der Kopf wollte ihm schier platzen, und doch konnte er die Rätsel nicht lösen. Nun hatte er bei sich wohnen einen armen, verhungerten Kandidaten, der musste um wenig Lohn für den reichen Herrn Pastor die Predigten halten und die Amtsgeschäfte besorgen. Als der seinen Brotherren so verzweifelt herumlaufen sah, that er ihm in der Seele leid, und er sprach zu ihm: »Herr Pastor, was ist Euch?« – »Ach, er kann mir doch nicht helfen!« – »Aber, Herr Pastor, vielleicht liesse sich doch etwas machen!« Und er redete so lange auf ihn ein, bis der Prediger ihm seinen Kummer offenbarte. »Wenn's weiter nichts ist, dafür lasst mich sorgen!« rief der Kandidat. Da fasste der Pastor neuen Mut und versprach dem Kandidaten fünfhundert Thaler, wenn er ihn aus der Not retten würde.

Als der dritte Tag kam, zog der Kandidat des Pastors Talar an, liess sich die Beffchen vorbinden und setzte das Barett auf den Kopf. So trat er dem alten Fritz entgegen. »Nun, wie weit ist's bis zum Himmel?« fragte der König. »Eine Tagereise!« versetzte der Kandidat. »Wie meint er das?« fragte der König verwundert. »Je nun, das muss wohl so sein,« sagte der Kandidat, »die selig Verstorbenen übernachten doch nicht, wenn ihre Seelen gen Himmel fahren.« – »Na ja, er hat Recht,« sagte der alte Fritz hastig, »nun weiter, wie tief ist das Meer?« – »Das schätze ich einen Steinwurf tief,« erwiderte der Kandidat. »Er Schelm!« rief der König verwundert; »Nun das letzte Rätsel: Was denke ich?« – »Das ist das leichteste,« sagte der Kandidat, »der Herr König denkt, ich sei der Pastor von N.N., und ich bin doch nur sein armer Kandidat.« – »So, der Herr Pastor ist gar nicht vor mir,« sprach der alte Fritz, »dann gehe er eilends hin und rufe ihn mir heraus.« Als der Pastor kam, sagte der König: »Packe er seine Sachen, und mache er, dass er von dem Pfarrhofe kommt, seines Bleibens ist hier länger nicht mehr!« An seiner Stelle wurde darauf auf des Königs Befehl der arme Kandidat in die neue Pfarre eingeführt; dort hat er Kinder gezeugt und Häuser gebaut, und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 155-156.
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