31. Der alte Fritz und der Husar.

[164] Zu den Zeiten des alten Fritz lebte einmal ein Husar, der stand schon dreizehn Jahre im Regiment und war noch immer erst Gefreiter. Das kam aber daher, dass er zu arm war, um mit dem Wachtmeister einen Schluck trinken zu gehen; die jungen Bauernsöhne dagegen, die von Hause her viel beizubrocken hatten, wurden allesamt im fünften Jahre Unteroffiziere. Das nahm sich der alte Gefreite zu Kopfe, dass er sich vor Wut nicht mehr zu lassen vermochte, und endlich ward er so zornig, dass er das Pferd aus dem Stalle zog und bei Nacht und Nebel auf und davon ritt. Am ersten hatte er die Löhnung noch eingestrichen, am zweiten war er schon nirgends mehr zu finden, und wie ihm der Oberst auch nachspüren liess, er war und blieb verschwunden. Und das kam daher, dass er sich in einem grossen, dunkeln Walde aufhielt, um von da aus, wenn über die Sache Gras gewachsen wäre, zu dem Franzosen zu reiten und bei dem sein Glück zu versuchen.[164]

Wie er nun eines Tages im Walde umherirrte und sein Pferd neben ihm her graste, traf er auf einen Jägersmann. »He, guter Freund,« rief der Gefreite, »kannst du mir nicht sagen, wie ich aus diesem Walde zu dem Franzosen komme?« – »Nein,« sagte der Jäger, »ich kenne mich hier auch nicht aus; ich habe mich verirrt und wüsste selbst gern, wo die Richtung liegt. Aber wer bist du denn?« – »Ich bin ein weggelaufener Husarengefreiter!« – »Ach, das ist nicht gut,« sagte der Jäger, »weshalb bist du denn ausgerückt?« – Da erzählte ihm der Soldat alles, wie es ihm ergangen war, dass er dreizehn Jahre im Regiment gestanden habe und noch immer erst Gefreiter sei. Sprach der Jäger: »Du hast dich wohl schlecht geführt!« – »I, bewahre,« antwortete der Soldat, »hier kannst du's sehen, sogar zwei Dienstauszeichnungen habe ich von dem alten Fritz bekommen!« – »Ist's die Möglichkeit!« sagte der Jäger, »Aber wie kann das nur sein?« – »Das ist ganz einfach,« sprach der Soldat, »ich bin nur ein armer Tagelöhnerjunge und konnte dem Wachtmeister nichts zu trinken geben. Die Bauernsöhne hatten's besser, die bekamen nach fünf Jahren die Tressen.« – »Glaub's nur,« antwortete der Jäger, »wenn das der alte Fritz wüsste, es sollte nicht geschehen.« – »Ach bleib mir mit dem alten Fritz,« brummte der Gefreite, »zweimal habe ich an ihn geschrieben und niemals Antwort erhalten. Freilich, Gott weiss, an den mag auch nicht alles kommen.« – »Hm, hm,« sagte der Jäger, und dann begann er von etwas anderm zu reden und fragte den Gefreiten, wie sie es machen sollten, dass sie aus der Wildnis heraus und wieder unter Menschen kämen. »Das wird schwer halten,« meinte der Soldat. Wie sie aber so hin schlenderten und es mittlerweile anfing dunkel zu werden, sahen sie plötzlich ein Licht durch die Bäume schimmern. Darauf gingen sie zu, und es dauerte gar nicht lange, so standen sie vor einem grossen, steinernen Hause mit Stall und Scheune.

Der Soldat pochte sogleich an die Thüre und trat ein, und der Jäger folgte ihm nach. Drinnen sass ein altes Weib am Ofen und spann. »Guten Abend, Mutter,« sprach der Soldat. »Guten Abend, mein Sohn,« antwortete die Alte. – »Können wir nicht zu Abend essen und ein Nachtlager bekommen?« – »Setzt euch nur an den Tisch und esst!« sprach das Mütterchen, und der Soldat liess sich nicht lange bitten und setzte sich nieder auf die Bank und langte tüchtig zu von den Speisen, die sie ihm auftrug. Der Jäger war ängstlicher, denn er fürchtete, es wäre eine Räuberhöhle, in die sie geraten seien. Und richtig, als sie ein kleines Weilchen gesessen hatten, kamen zwölf schwarze Kerle zur Thüre herein, und wie sie die beiden erblickten, raunten sie einander ins Ohr: »Das sind wieder einmal ein Paar fette Braten.« Der Soldat vernahm ihre Reden wohl, that aber, als höre er nichts; doch dem Jäger flitterten die Hosen. »Warum zitterst du so? Dir ist doch nicht kalt?« fragte ihn der Gefreite. »Nicht doch, sei stille,« sagte der Jäger, »siehst du nicht, es sind ihrer zwölf!« – »Und wir sind zwei,« antwortete der Soldat ebenso[165] leise, »iss nur, dass du satt wirst, und lass das Zittern. Was sollte der alte Fritz wohl machen, wenn er lauter solche Soldaten hätte.« Dann sprach er laut: »Guten Abend, ihr Herren, wir sind nämlich auch Räuber und wollen bei euch eintreten.« Da wiesen die Kerle auf den Jäger, wie der Messer und Gabel zu liegen hatte; denn die Räuber erkennen einander am Essen, und der Soldat wusste das wohl, aber dem Jäger war es unbekannt. Sogleich holte der Soldat aus und gab dem Jäger eins hinter die Ohren, wies ihm, wie er es anzustellen habe, und sprach: »Es ist noch ein Anfänger, aber er wird sich schon machen.« Über der Sache hatten die Räuber Zutrauen zu den Gästen gewonnen, und sie setzten sich zu ihnen an den Tisch. Nachdem sie satt gegessen und getrunken hatten, sprach der Soldat: »Nun will ich euch ein Kunststück zeigen. Wer will's mir glauben, ich trinke einen Kessel kochenden Wassers aus!« – »Das sollst du wohl bleiben lassen,« sprachen die Räuber, schafften aber sogleich einen Kessel voll kochenden Wassers herbei, legten ein paar Steine auf den Tisch und setzten ihn darauf; dann steckten sie alle die Köpfe zusammen, damit sie gut sehen könnten. Eins fix drei hatte da der Soldat den Kessel bei den Henkeln ergriffen und goss das Wasser ringsum, dass allen zwölf Räubern die Augen verbrüht wurden, so dass sie nicht mehr sehen konnten. Dann zog er den Säbel aus der Scheide, und hast du nicht gesehen, flog ein Kopf hier und ein Kopf da, bis auch der letzte Räuber getötet war.

Als er fertig war mit der Arbeit, schaute er sich nach dem Jäger um. Der sass hinter dem Ofen und war noch halb tot vor Schrecken. »Warum hast du mir nicht geholfen?« sagte er zornig; »Mit deiner Flinte trafst du zwei, und den dritten konntest du mit dem Hirschfänger niederstechen!« Und damit gab er ihm wieder eins hinter die Ohren, dass ihm Hören und Sehen verging. Darnach fragte er das alte Weib, so lieb ihr das Leben sei, sie solle ihm sagen, ob das die Räuber alle wären. »Nein,« sagte das Mütterchen, »um zwölf kommen noch zwölf.« – »So ist's Zeit, dass wir die Leichen überseit bringen,« sprach der Soldat; und da in der Diele eine Klappthüre war, die zum Keller führte, wo die Räuber ihre Schätze verborgen hatten, schleppten sie einen von den Toten nach dem andern herbei und warfen ihn kopfüber die dunkle Treppe hinab. Als der letzte heruntergestürzt war und sie gerade die Klappe geschlossen hatten, traten die andern zwölf Räuber in die Stube. Denen ging es nicht besser, wie den ersten; sie wollten ebenfalls gerne sehen, wie ein Mensch einen Kessel voll kochenden Wassers trinken kann, und wurden von dem Soldaten verbrüht und erschlagen. Und der Jäger war wieder in seiner Angst hinter den Ofen gekrochen und bekam seine Schläge dafür; aber der Gefreite verzieh ihm gar bald, und als er von dem alten Weib vernommen hatte, dass nun alle Räuber tot wären, legte er sich mit ihm schlafen und hiess ihn am andern Morgen von den Kostbarkeiten der Räuber nehmen, so viel er nur zu tragen vermöchte. Dann steckte er sich selbst[166] alle Taschen voll; was übrig blieb, durfte das alte Mütterchen behalten, denn es hatte sich aus Zwang bei den Räubern aufgehalten und musste ihnen die Wirtschaft führen. Zum Dank dafür wies sie ihnen den rechten Weg, und als sie den ein paar Stunden gegangen waren, kamen sie auf das freie Feld hinaus und konnten Berlin schon vor sich erblicken.

»Höre, Kamerad,« sagte der Jäger, »wir gehen jetzt zusammen in die Stadt!« – »Das werde ich hübsch bleiben lassen,« antwortete der Soldat, »fangen sie mich, so lässt mich der alte Fritz erschiessen. Lauf du nur in die Stadt, derweile ich in dem nächsten Dorf im Kruge bleibe und mich ausruhe. Wenn du zurückkommst, reisen wir beide zu dem Franzosen und gehen in den Krieg. Dass du mich aber ja nicht verrätst, sonst kostet es dich dein Leben!« Das versprach ihm der Jäger auch, und nachdem sie in das nächste Dorf gekommen waren, liess er den Soldaten im Kruge zurück und ging allein nach Berlin. Nun war aber der Jäger kein anderer, als der alte Fritz selbst, der sich im Walde verirrt hatte. Sobald er im Schlosse angelangt war, gab er Befehl, dass ein ganzes Regiment Soldaten ausrücke und das Dorf umstelle und den Husarengefreiten gefangen nehme. Sie sollten ihm aber ja nichts zu leide thun, sonst würde er es bitter an ihnen rächen.

Das Regiment rückte aus, und der Gefreite erschrak nicht wenig, als mit einem Male die vielen Soldaten erschienen und ihn gefangen nahmen. Er wollte sich wehren, aber es half ihm nichts, es waren ihrer zu viele, und er musste sich wohl oder übel abführen lassen. »Dachtest du dir's doch,« sprach er bei sich selbst, »dass dich der Spitzbube verraten würde. Du hattest es dir gleich vernommen; nun kostet's dich dein Leben!« Und während er noch so mit sich zankte, ward er in das Schloss geführt und vor den alten Fritz gebracht. »Was bist du, mein lieber Husar?« fragte der König. »Ich bin ausgerissen,« antwortete der Gefreite. »Was hast du dafür verdient?« fragte der König. »Die Kugel,« antwortete der Gefreite. »Und was wünschst du dir noch vor dem Tode?« fragte der König. »Ich möchte nur noch ein einziges Mal den Jäger sehen,« sprach der Gefreite. »Wirst du ihm auch nichts zu leide thun?« fragte der alte Fritz. »Nein,« sagte der Gefreite. Da ging der König hinaus, und es dauerte gar nicht lange, so trat der Jäger herein. Eins fix drei hatte der Husar den Säbel aus der Scheide gezogen, und wäre der Jäger nicht mit einem Satz zur Thüre zurück und herausgesprungen, so hätte er ihm das Haupt abgeschlagen. So aber schlug der Husar fehl und in den Tisch hinein, dass die Splitter flogen.

Indem kam der alte Fritz zurück und schalt: »Hältst du so dein Wort?« – »Ach, Herr König,« sagte der Soldat, »ich konnte nicht anders! Ich habe dem Kerl das Leben gerettet und ihn reich gemacht, und zum Dank dafür hat er mich verraten.« – »Du sollst ihn noch einmal sehen,« sagte der alte Fritz, »aber diesmal bezwing deinen Zorn!« Und richtig, der König ging hinaus, und über ein[167] kleines Weilchen kam der Jäger wieder zur Thüre herein. Und schon hatte der Soldat sein Versprechen vergessen und den Säbel gezogen und wollte eben voll Zorn den Jäger erschlagen, da riss derselbe den grünen Rock auf, und vor ihm stand der alte Fritz mit dem goldenen Stern auf der Brust. Da fiel der Soldat zu Boden und bat um Vergebung, und es überlief ihn eiskalt, als er daran dachte, wie er ihm in der Räuberhöhle mitgespielt hatte. Der alte Fritz aber lachte und sprach: »Fürchte dich nicht, mein Sohn, ich will dir dein Leben schenken. Wenn ich lauter so tapfere Soldaten hätte, so brauchte ich ihrer nur halb so viel, als ich jetzt nötig habe. Und nun komm und iss, gestern war ich bei dir zu Gaste in der Räuberhöhle, heute sollst du bei mir dein Frühstück verzehren.«

Als sie gegessen und getrunken hatten, stellte ihm der alte Fritz ein versiegeltes Schreiben aus; damit musste er zu seinem Regimente gehen. Dort nahmen sie ihm sogleich Pferd und Säbel ab, um ihn ins Loch zu führen; wie aber der Brief erbrochen wurde, stand darin, dass der Gefreite von Stund an des Regimentes Oberst sei. Da war er mit einem Male weit höher gestiegen, als alle die reichen Bauernsöhne und die Wachtmeister zusammen genommen, und er hat noch lange Zeit das Regiment befehligt und ist des alten Fritz bester Husarenoberst gewesen.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 164-168.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Volksmärchen aus Pommern und Rügen
Volksmärchen aus Pommern und Rügen
Volksmärchen aus Pommern und Rügen
Volksmärchen Aus Pommern Und Rügen, Part 1 (German Edition)

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Leo Armenius

Leo Armenius

Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.

98 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon