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[64] Die nächsten Tage vergingen ohne ein neues Ereignis. Hildegard aß mit den beiden Damen zu Mittag, ging spazieren und wartete vergeblich auf ein Wort von Frau von Werdern.

Sonnabend Abend ging sie zu ihr. Es waren wie jüngsthin viele Damen anwesend. Man sprach lebhaft vom kommenden Dienstag, an dem eine Frauenversammlung stattfinden sollte. Die Vorsitzende sollte die Einleitung sprechen; dann hatten sich nicht weniger als neun Damen zum Wort gemeldet. In einem Augenblick als Frau von Werdern weniger umringt war, näherte Hildegard sich ihr. »Haben Sie nichts für mich entdeckt, gnädige Frau?«

»Thut mir leid, liebe Frau Wallner, Sie glauben gar nicht, wie sehr wir von allen Seiten in Anspruch genommen werden.«

»Ich würde mit der bescheidensten Stellung zufrieden sein.«[64]

»Aber viele Grüße von Fräulein Blatt soll ich Ihnen bestellen. Wenns ihr möglich ist, kommt sie Dienstag herüber.«

Hildegard entgegnete nichts, sie mußte gewaltsam ihre Thränen zurückdrängen. Was nützten ihr alle Grüße? Sie hatte noch einen Thaler in ihrem Portemonnaie; wenn der ausgegeben war? Später trat sie zu Elvira, die eben mit hochroten Wangen einigen Damen etwas vordemonstriert hatte.

»Sagen Sie, ist auch Frau von Kranbüchler da?«

»Natürlich, dort steht sie ja, neben der Gräfin Mylling. Was wollen Sie denn mit ihr?«

»Ich möchte ihr vorgestellt werden. Sie sagten doch, daß sie einflußreich sei. Vielleicht verschafft sie mir irgend eine Stellung als Sekretärin eines Vereines oder ähnliches.«

»Na, da sind Sie auch im rechten Moment gekommen. Eben vorhin habe ich gehört, daß sie sehr aufgebracht sei und geäußert habe, gar nichts mehr mit Vereinen und Unterstützungen zu thun haben zu wollen. Sie hatte nämlich eine junge Dame, die ihr sehr empfohlen war, mit großem Gehalt angestellt, ihr ein Buch zu liefern.

Darin sollten alle Arbeiten, Erfindungen, überhaupt alle bedeutenden Thaten, die von Frauen herrührten, auf welchem Gebiet auch immer, aufgezählt werden.[65]

Die junge Dame, achtzehn Jahr alt von ihrem Mann geschieden, arbeitete zwei Jahre lang, ließ sich den Gehalt gut bekommen, und kehrte schließlich mit fast unbeschriebenen Bogen zurück.

Es wäre kein Material aufzufinden gewesen, behauptete sie. Frauen als große Erfinderinnen gäbe es nicht. Frauen als Baumeisterinnen, als Ingenieure, als Feldherrn, als Religionsstifter, als Weltumsegler, Astronomen, Philosophen, überhaupt als Denker, gäbe es nicht. Sie habe die verschiedensten Bibliotheken in den verschiedensten Städten durchgestöbert. Hingegen brächte sie einige alte Königinnen von Gottes Gnaden mit, bei denen sich allerdings leider nachweisen ließ, daß ihre besten Regierungsformen ihnen von ihren männlichen Beratern eingeflößt waren. Sie können sich die Entrüstung Frau von Kranbüchlers und unserer aller vorstellen.«

»Aber ich versteh nicht« meinte Hildegard lächelnd, »hätte denn die junge Dame selbst Erfinderin werden sollen?«

»Nein, aber besser suchen hätt sie sollen. Ich bitte Sie. Denken Sie zum Beispiel nur an die alte Wäscherin Jambe. Was wären die klassischen Dramendichter ohne sie? oder Arachne, die das Sticken erfunden hat, und –«

»Guten Abend.« Ein blondes Mädchen, hoch und lang wie der Arm eines Ziehbrunnens in der Pußta,[66] neigte sich zu Elvira. »Was macht die kleine Millern? Hat sie die Diphteritis gut überstanden?«

»Fräulein Frett – Frau Wallner« stellte Elvira vor. »Ja, die kleine Millern hat die Diphteritis gut überstanden. Und wie gehts Ihrer Langenweile? Führen Sie die noch in Gesellschaften spazieren?«

»Ah, Sie sind aber bös, nein wirklich. Was soll die gnädige Frau von mir denken?«

»O, die denkt gar nichts« sagte Elvira burschikos; dann stieß sie Hildegard leise an. »Wollen Sie uns nicht ein wenig Gesellschaft leisten, Fräulein Frett?«

Die lange Dame ließ sich zögernd nieder.

»Ich sollte eigentlich Frau von Werdern begrüßen; ich fand noch nicht Gelegenheit, sie diesen Abend zu sprechen. Ich komme geradeswegs von der Gemäldeausstellung hierher.«

»Ah« rief Elvira, »ich hatte noch keine Zeit hinzugehen; giebts etwas Schönes dort?«

»Schönes?« Fräulein Frett spitzte die Lippen und sah in ihren Schooß. »Schönes grade nicht, aber Anzügliches.«

Elvira wiegte den Kopf. Ei, ei, schau, schau, was Sie alles entdecken! Was ist denn so Anzügliches dort?«

»Ach Gott, so. Adam und Eva ....«

»Na hören Sie mal, damals hats noch keine Wollwebereien gegeben.«[67]

»Badende Knaben – aber das Stärkste, nein!«

»Na was denn?«

»Eine junge, wenig bekleidete Mutter, die eine Mißgeburt an die Brust drückt.«

»Eine Mißgeburt! Pfui Däubchen, das muß ich sagen! So etwas gehört in Präuschers Museum, aber nicht in eine Gemäldesammlung. Scheußlich! Was für eine Monstrosität hat denn das Wurm?«

»Ganz spitz zulaufende Ohren, und sag ich Ihnen, zwei Hörner, ja wahrhaftige kleine Hörner. Wahrscheinlich will angedeutet werden, daß die Mutter sich in einen Ziegenbock versehen hat.«

»Aber nein« rief Hildegard in lautes Lachen ausbrechend, »das ist ja die Nymphe mit dem Faun, die Sie da schildern.«

Elvira rieb sich vor Vergnügen die Hände. »Natürlich, selbstverständlich, ich bitt Sie, Fräulein Frett, wo wird man denn eine solche Abscheulichkeit an die Wände eines Kunstinstituts hängen.«

»Nein, wirklich – –« protestierte das Fräulein; aber Elvira ließ sie nicht zu Worte kommen.

»Lehrerin der vierten Klasse einer als ausgezeichnet bekannten Mädchenschule, bravo, bravo! Was sagen Sie zu dieser Seelenunschuld, Frau Wallner?«

Hildegard drückte das Taschentuch vor die Lippen. Fräulein Frett lächelte geschmeichelt, daß man sich über[68] sie so erregte. »Und es ist doch so« meinte sie gelassen, »es ist eine Mißgeburt und kein Faun. – Übrigens da sehe ich Frau Lindhorst. Sie hat neulich die Adresse meiner Modistin wissen wollen und ich konnte sie ihr nicht genau angeben. Adieu meine Damen.«

»Ist sie nicht köstlich?« fragte Elvira. Hildegard kam sich vor wie in der Nähschule vor zehn Jahren, wo sie ihre Freundinnen und Bekannten mit durchhecheln half.

Später brach man auf.

»Dienstag Abend auf Wiedersehen« sagte Frau von Werdern, »es soll keine von uns fehlen.«

Als Hildegard zu Hause war, setzte sie sich an den Tisch, um an ihren Mann zu schreiben. Aber die Bitte um Geld wollte ihr nicht aus der Feder. Sie schob Briefbogen und Tinte zurück. Nein, lieber Zeitungsausträgerin werden, als das Ansuchen an ihn stellen. Drei, vier Tage kam sie ja noch aus, wenn sie recht sparte. Vielleicht war bis dorthin etwas gefunden. Wenn sie sich früher in eine solche Situation hätte hineindenken sollen! Wenn Einhart durch sein Verschulden sie dahin gebracht hätte! Aber für seine Ideale erträgt man auch die Bürde des Schwersten. Ideale?[69]

Quelle:
Maria Janitschek: Die Amazonenschlacht, Leipzig 1897, S. 64-70.
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