Vierundzwanzigster oder XXI. Trinitatis-Sektor

[206] Oefels Intrigen – die Infammachung – der Abschied


Schlecht genug ergehts ihm, wenn das fragende Deutschland anders unsern Gustav meinte. Oefel ist daran schuld. Ich will aber dem erschrocknen Deutschland alles eröffnen; die wenigsten darin wissen, warum dieser ein Romanschreiber und ein Legationrat ist.

Kein empfindsamer Offizier – im Kadettenhause trug er Uniform – hat weniger Kugeln und mehr Hemden und Briefe gewechselt als Oefel. Letzte wollt' er an alle Leute schreiben; denn seine Briefe ließen sich lesen, weil er selber las, und zwar belletristische Sachen, die er noch dazu nachmachte. Er war nämlich ein schöner Geist, hatte aber keinen andern. Sämtliche französische Buchhändler sollten eine närrische Dankadresse an ihn erlassen, weil er ihr sämtliches Zeug einkaufte – sogar gegenwärtige Lebensbeschreibung, worin er selber steht, wird einmal wieder bei ihm stehen, wenn er von ihrer Ausgabe und von ihrer Übersetzung ins Französische hört. Sich selber, Leib und Seele nämlich, hatt' er schon in alle Sprachen übersetzt aus seinem französischen Mutter-Patois. Die schönen Geister in Scheerau (vielleicht auch mich) und in Berlin und Weimar verachtete der Narr, nicht bloß weil er aus Wien war, wo zwar kein Erdbeben einen Parnaß, aber doch die Maulwurfs-Schnäuzchen von hundert Broschüristen Duodez-Parnäßchen aufstießen und wo die daraufstehenden Wiener Bürger denken, der Neid blicke hinauf, weil der Hochmut herunterguckt – sondern er verachtete uns sämtlich, weil er Geld, Welt, Verbindungen und Hofgeschmack hatte. Der Fürst Kaunitz zog ihn einmal (wenns wahr ist) zu einem Souper und Ball, wo es so zahlreich und brillant zuging, daß der Greis gar nicht wußte, daß Oefel bei ihm gespeiset und getanzt. Da sein Bruder Oberhofmarschall und er selber sehr reich war: so hatte niemand in ganz Scheerau Geschmack genug, seine Verse zu lesen, als der Hof; für den waren sie; der konnte solche Verse wie die Graspartien des Parks ungehindert durchlaufen, so klein, weich und[206] beschoren war ihr Wuchs – zweitens gab er sie nicht auf Druckpapier, sondern auf seidnen Bändern, Strumpfbändern, Bracelets, Visitenkarten und Ringen heraus. Unter andern Flöhen, die auf dem Ohrentrommelfell des Publikums auf- und abspringen und sich hören lassen, bin auch ich und donnere mit; aber Oefel ahmte keinen von uns nach und verachtete dich sehr, mein Publikum, und setzte dich Höfen nach: »Mich«, sagt' er, »soll niemand lesen, wenn er nicht jährlich über 7000 Livres zu verzehren hat.«

Künftigen Sommer reiset er als Envoyé an den **schen Hof ab, um die Unterhandlungen wegen der Braut des Fürsten, die schon neben ihrer Wiege angesponnen und abgerissen wurden, neben ihrem Doktor-Grahams-Bette wieder anzuknüpfen. Der Fürst mußte sich im Grunde mit ihr vermählen, weil ein gewisser dritter Hof, der nicht genennt werden darf, sie dadurch einem vierten, den ich gern nennen möchte, entziehen wollte. Man glaube mir aber, es glaubt kein Mensch am ganzen Hofe des Bräutigams, daß er an den Hof der Braut verschickt werde, weil dort etwa schöne Geister und schöne Körper gesuchte Ware sind: wahrhaftig in beiden Schönheiten war er von jedem zu überbieten; aber in einer dritten Schönheit war ers nur leider nicht, die einem Envoyé noch nötiger und lieber als die moralische ist – im Geld. An einem insolventen Hof hat der Fürst die erste und der Millionär die zweite Krone. Ich habe oft den verdammten Erbschaden des scheerauischen Fürstentums verflucht und besehen, daß selten genug da ist, und wir hälfen uns gern durch einen Nationalbankerutt, wenn wir nur vorher Nationalkredit bekämen. Aber außer diesem Fürstentum hab' ich auf meinen Reisen folgende vier Regionen nirgends angetroffen als am Ätna selber: erstlich die fruchtbare und zweitens die waldige Region unten am Throne, wo Früchte und grasendes und jagdbares Pöbelwild zu haben ist, drittens die Eisregion des Hofes, die nichts gibt als Schimmer, viertens die Feuerregion der Thronspitze, wo außer dem Krater wenig da ist. Ein Thron-Krater kann selber Goldberge einschlucken, verkalken, auswerfen als Lava.

Zum Unglück gefiel ihm Gustav, weil er seine jugendliche Menschenfreundlichkeit für ausschließende Anhänglichkeit an sich[207] ansah, seine Bescheidenheit für Demütigung vor Oefelscher Größe, seine Tugenden für Schwachheiten. Er gefiel ihm, weil Gustav für die Poesie Geschmack und folglich, schloß er, für die seinige den größten hatte: denn Oefels adeliges Blut lief wider die Natur in einer dünnen poetischen Ader, und in einer satirischen dazu, dacht' er. Vielleicht fand auch Gustav in seinen Jahren des Geschmacks, wo den Jüngling die poetischen kleinern Schönheiten und Fehler entzücken, zuweilen die Oefelschen gut. Wie nun schon Rousseau sagt, er könne nur den zum Freund erwählen, dem seine Heloise gefalle: so können Belletristen nur solchen Leuten ihr Herz verschenken, die mit ihnen Ähnlichkeit des Herzens, Geistes und folglich des Geschmackes haben und die mithin die Schönheiten ihrer Dichtungen so lebhaft empfinden als sie selber.

Was indessen Oefel an Gustav am höchsten schätzte, war, daß er in seinen Roman zu pflanzen war. Er hatte in der Kadetten-Arche siebenundsechzig Exemplare studiert, aber er konnte davon keines zum Helden seines Buchs erheben, zum Großsultan, als das achtundsechzigste, Gustav.

Und der ist gerade mein Held auch. Das kann aber unerhörte Leselust mit der Zeit geben, und ich wollte, ich läse meine Sachen und ein andrer schriebe sie.

Er wünschte meinen Gustav zum künftigen Erben des ottomanischen Throns auszubilden, ihm aber kein Wort davon zu sagen, daß er Großherr würde – weder im Roman noch im Leben; – er wollte alle Wirkungen seines pädagogischen Lenkseils niederschreiben und übertragen aus dem lebendigen Gustav in den abgedruckten. Aber da setzte sich dem Bileam und seiner Eselin ein verdammter Engel entgegen; Gustav nämlich. Oefel wollte und mußte aus dem Kadettenhause, wo seine Zwecke befriedigt waren, ins alte Schloß zurück, wo neue seiner warteten. Erstlich aus dem alten Schloß konnt' er leichter in die kartesianischen Wirbel des neuen, der Visiten und Freuden springen und sich von ihnen drehen lassen; – zweitens konnt' er da mit seiner Geliebten, der Ministerin, besser zusammenleben, die alle Tage hinkam und welche der Liebe die Tugend und die Liebe der Assembleen-Jagd aufopferte – drittens ist die zweite Ursache nicht recht wahr, sondern[208] er machte sie der Ministerin nur weis, weil er noch eine dritte hatte, welche Beata war, die er in ihrem Schlosse aus dem seinigen zu beschießen, wenigstens zu blockieren vorhatte. – – Fort mußt' er also; aber Gustav sollte auch mit.

»Das ist den Augenblick zu machen,« (dachte Oefel) »er soll mich am Ende selber um das bitten, um was ich ihn bitte.« Ihm war nichts lieber als eine Gelegenheit, jemand zu seinem Zweck zu lenken – das Lenken war ihm noch lieber als das Ziel, wie er in der Liebe die Kriegzüge der Beute vorzog. Er hätte als Gesandter aus Krieg Frieden und aus Frieden Krieg gemacht, um nur zu unterhandeln. – Er zog, um Gustaven nahezukommen, seine erste Parallele, d.h. er stach ihm mit seiner spitzen Zunge ein schönes Bild der Höfe aus: daß sie allein das savoir vivre lehren und alles und das Sprechen, wie denn auch die Hunde, je kultivierter sie sind, desto mehr bellen, der Schoßhund mehr als der Hirtenhund, der wilde gar nicht – daß durch sie ein Paradieses-Strom von Freuden brause – daß man da an der Quelle seines Glücks, am Ohre des Fürsten und am Knoten der größten Verbindungen stehe – daß man intrigieren, erobern etc. könne. Es war in Oefels Plan, dem kleinen Großsultan nicht einmal die Möglichkeit, ins alte Schloß mitzukommen, zu verraten: »Um so mehr reiz' ich ihn«, dacht' er. Es ging aber nicht mit dem Reizen, weil Gustav noch nicht aus den poetischen Idyllen-Jahren, wo der aufrichtige Jüngling Höfe und Verstellung hasset, in die abgekühlten hinüber war, wo er sie sucht. Oefel studierte, wie Hofleute und Weiber, nur Einzelwesen, nicht den Menschen.

Nun wurde die zweite Parallele gezogen und der Festung schon näher gerückt. Er ging einmal an einem Vormittage mit ihm in den Park spazieren, als er gerade die Residentin da zu treffen wußte. Während er sie unterhielt, beobachtete er Gustavs Beobachten oder errötendes Staunen, der noch in seinem Leben vor keiner solchen Frau gestanden war, um welche sich alle Reize herumschlangen, verdoppelten, einander verloren, wie dreifache Regenbogen um den Himmel. Und du, Blumen-Seele, Beata, deren Wurzeln auf dem irdischen Sandboden so selten die rechte Blumenerde finden, standest auch dabei, mit einer Aufmerksamkeit[209] auf die Residentin, die eine unschuldige Maske deiner kleinen Verwirrung sein sollte. – Gustav brachte für seine große keine Maske zustande. Oefel schrieb diese Verwirrung nicht wie ich der gegenseitigen Erinnerung an die Guido-Bilderstürmerei, sondern die Gustavische der Residentin, und die weibliche sich selber zu.

»So hab' ich ihn denn, wo ich ihn haben will!« sagt' er und ließ sich von ihm bis ins alte Schloß bereiten. »A propos! Wenn wir nun beide dablieben!« sagt' er. Die aus anderen Gründen herausgeseufzete Antwort der Unmöglichkeit war, was er eben begehrte. »Gleichviel! Sie werden mein Legationsekretär!« fuhr er mit seinem feinen, auf Überraschung lauersamen Blicke fort, den er eigentlich niemal mit einem Augenlide bedeckte, weil er stets alles zu überraschen glaubte.

– Es lief aber einfältig für Oefel ab: Gustav wollte nicht, sondern sagte: nie! sei es nun aus Furcht vor Höfen, vor seinem Vater, aus Scham der Veränderung, aus Liebe der Stille; kurz Oefel stand dumm vor sich selber da und sah den schwimmenden Stücken seines gescheiterten Baurisses nach. Es ist wahr, es blieb ihm doch der Nutzen daraus, daß er den ganzen Schiffbruch in seinen Roman tun konnte – nur aber der Sekretär war fort! – Er hatte ihn auch nicht unvernünftig schon im voraus zum Gesandtschaft-Sekretariat voziert; denn an den Scheerauer Thron ist eine Leiter mit den tiefsten und den höchsten Ehrensprossen angelehnt, die Staffeln aber stehen sich so nahe, daß man mit dem linken Beine auf die unterste treten und doch die höchsten noch mit dem rechten erspannen kann – wir hätten ja beinahe einmal einen Oberfeldmarschall erschaffen. Zweitens hängt und picht an Höfen wie in der Natur alles zusammen, und Professores sollten es den kosmologischen Nexus nennen; jeder ist Last und Träger zugleich; so klebt am Magnet das eiserne Lineal, an diesem ein Linealchen, an diesem eine Nadel, an dieser Feilstaub. Höchstens nur was auf dem Throne oben sitzt und was unter ihm unten liegt, hat nicht Nexus genug mit der wirksamen Kompagnie: so werden in der französischen Oper nur die fliegenden Götter und schiebenden Tiere von Savoyarden gemacht, alles übrige von der ordentlichen Truppe.[210]

Also mußte Oefel die dritte Parallele ziehen und daraus auf den Kadetten schießen. Er machte ihm nämlich seine Uniform täglich um einen Daumen spannender und knapper, um ihn aus ihr hinauszuängstigen. Er hatte ihn schon neulich in dieser Absicht zum Getreide-Kordon versenden helfen, wo dem warmen, nur an mildes Geben gewöhnten Jüngling scharfe Neins neue und harte Pflichten waren; aber nun wurde der Dienst von unten auf noch mehr erschwert, und die militärischen Übungen zerbrachen beinahe seinen feinen porzellanenen Leib, so oft und strenge schleppte ihn der Romancier in die Gesellschaft des Vaters aller Friedenschlüsse, nämlich des Kriegs. –

Wie schmerzlich mußte die rauhe Außenwelt seine wunde innere berühren! Vor ihm stand, seit seinem Zerfallen mit seinem sterbenden Liebling, fest jener Trauerabend mit seinen Tränen und wich nicht; auf sein verlassenes Herz schimmerte noch die blutrote Sonne und ging nicht unter. – Der stumme Abschied seines Amandus, der ihn und andre Wünsche verlor, die abnehmenden Herbsttage seines Lebens und die vorige Liebe drückten sein Auge und Herz zum Trauern zusammen. Die Freundschaft duldet Mißhelligkeiten weniger als die Liebe; diese kitzelt damit das Herz, jene spaltet es damit. Amandus, der ihn so mißverstanden und betrübet und doch dessen innigste Liebe nicht verloren hatte, verzieh ihm alles bis abends um 5 Uhr – dann hört' er (oder es war ihm genug, wenn er sichs nur dachte), daß Gustav den Park (und mithin die Spaziergängerin) besucht hatte – dann nahm er seine Versöhnung bis auf 11 Uhr abends zurück – dann legte die Nacht und der Traum wieder einen Mantel auf alle Fehler der Menschen und auf diesen. Abends um 5 Uhr fing es von vornen an. Lacht ihn aus, aber ohne Stolz, und mich und euch auch; denn alle unsre Empfindungen sind – ohne ihre Löwen- und Narrenwärterin, die Vernunft – ebenso toll, wenn nicht in unserem Leben, doch in unserem Innern! – Aber endlich hatte er seine Verzeihung so oft zurückgenommen, daß ers bleiben lassen wollte, falls nur Gustav anklopfte und von ihm alle die Beschuldigungen anhörte, welche er ihm zu verzeihen vorhatte. Man schiebt oft das Vergeben auf, weil man das Vorwerfen aufzuschieben gezwungen[211] ist. – Aber, trauter Amandus, konnt' er denn kommen, Gustav, und ließ ihn der Romancier? –

Letzter triebs noch weiter und kartete es listig ab, daß Gustav, dieser Großsultan, dieser Held zweier gut geschriebner Bücher, an einem Abend, wo der Kadettengeneral großes Souper gab, vor dessen Haus kam als – Schildwache. Beim Henker! wenn die schönsten Damen vorfahren, die bekannte Residentin – die mit einem zufälligen Blick unsre gute Schildwache ausbälgte und ausgestopft unter ihrer Hirnschale aufstellte – und ihr Gesellschaftfräulein Beata, und wenn man vor solchen Gesichtern das Gewehr präsentieren muß: so will mans viel lieber strecken und überhaupt statt stehen knien, um nicht sowohl den Feind zu verwunden als die Freundin .... Beim Henker! ich werde hier mehr Witz gehabt haben, als wohl gern gesehen wird; aber es versuch' es einmal ein lebhafter Mann und schreib' über die Liebe und entschlage sich des Witzes! – Es geht fast nicht. – Ich behaupt' es nicht und widerleg' es nicht, daß Oefel vielleicht aus den Träumen Gustavs, die immer sprechend und oft nach dem Erwachen nachwirkend waren, die Namen der gedachten weiblichen Schönheit-Ambe mag vernommen haben. Der Romanschreiber hat also einen Vorteil vor dem Lebensbeschreiber (ich bins) voraus: er schläft neben seinem Helden.

Er ängstigte seinen und unsern Helden, ders aber nur im ästhetischen, nicht im militärischen Sinne war, mit der Herbstheerschau; denn jeder kleine Fürst spielt dem großen Soldaten auf der Gasse nach neben noch kleinern Kindern; daher haben wir Scheerauer eine niedliche Taschen-Landmacht, eine tragbare Artillerie und eine verjüngte Kavallerie. Es macht ein Landesherr ohnehin einen Spaß, wenn er einen Menschen zu einem Rekruten macht: es widerfährt dem Kerl nichts, sondern nur Bewegung soll er haben, weil jetzt1 unsre wichtigern Kriege, wie sonst die italienischen, in nichts bestehen als in Marschieren, aus Ländern in Länder. So bestehen auch die Feldzüge auf dem Theater bloß in wiederholten Märschen um das Theater, aber in kürzern. Ich ging vor einem Jahre zum Scherze 1/2 Stunde neben einem Regimente[212] her und machte mir weis: »Jetzt tuest du im Grunde einen halbstündigen Feldzug gegen den Feind mit; aber die Zeitungen gedenken deiner schwerlich, ob du und das Regiment gleich durch diese kriegerische Vexier-Prozession ebensoviel Landplagen abwenden als die Klerisei durch geistliche singende Prozessionen.«

Er ängstigte ihn, sagt' ich; er schilderte die Heerschau nämlich: »Friedrich II. tat kleinere Wunder, als man da vom Kadetten-Korps fordern wird! Mehr Blessierte als Blessierende wird es geben! Unter allen Zelten und Kasernen wird man reden von der letzten Scheerauer Heerschau!« Gustav hatt' es im kleinen Dienst längst so weit gebracht, daß er imstande war, mit der Fortifikation seines Leibes wenigstens einen zu verwunden, diesen Leib selber. – Ich werde die Angst der Welt sicher nicht vermindern, wenn ich noch erzähle, daß Gustav regelmäßig alle sieben Wochen auf fünf Tage verreiset, woraus seine Freunde und der Biograph selber gerade so klug werden als die ältesten Leser – daß Oefel ihm durch geheimes Intrigieren seinen Urlaub so sauer machte, daß er ihn um diesen Preis kein zweites Mal begehren konnte – daß Gustav vom letzten Verreisen an den Dr. Fenk einen Brief von Ottomar heimbrachte, den man zwar dem Leser nicht vorenthalten wird, von dessen Überkommung man ihm aber nichts entdecken kann, weil man selber nichts davon weiß.

Aus allen diesen Dornen und aus der blessierenden Heerschau rettete unsern Gustav eine fremde Infamie. Nach der gedachten Rückkehr wurde in Oberscheerau ein Offizier, dessen Namen und Regiment man hier aus Schonung seiner vornehmen Familie unterdrücken will, für ehrlos erklärt, weil er mit Spitzbuben Verbindung gehabt. Als der Profos ihm in der Mitte des Regiments, das er entehret hatte, den Degen und das Wappen zerknickte und die Uniform abriß und ihm alles nahm, was den gebückten Menschen noch in die Höhe richtet im Unglück: so stürzte Gustav, dessen Ehrgefühl sogar aus den Wunden eines fremden blutete und der noch nie den schwarzen Anblick einer öffentlichen Bestrafung erlebt hatte, in Ohnmacht zusammen; sein erster Laut nach der Belebung war: »Soldat gewesen auf ewig! – Wenn der arme Offizier unschuldig war oder wenn er besser wird: wer[213] gibt ihm die ermordete Ehre wieder? – Nur der untrügliche Gott kann sie nehmen; aber der Kriegsrat sollte nichts nehmen als das Leben! – Die Bleikugel, aber nicht die Infamie!« rief er wie in einer Verzuckung. Ich denke, er hat recht. Zwei Tage war er krank, und seine Phantasien schleiften ihn in die Räuber-Katakomben des Infamierten hinein – – zum neuen Beweis, daß die Fieberbilder der armen, aus dem Krankenbette ins Grab hineingefolterten Menschen nicht immer die Steckbriefe und Abdrücke ihres Innern sind! – Gemarterte Brüder! wie lieb' ich euch jetzt und den sanften Gustav in dieser Minute, wo meine Phantasie unter euch alle hineinblickt, wie ihr, vom Zickzack des Schicksals herumgetrieben, mit eueren Wunden und Tränen müde nebeneinander stehet, einander umfasset, einander beklagt und einander – begrabet! –

Solang' er krank war und phantasierte: hing Amandus an seinen glühenden Augen und litt so viel wie er und vergab ihm alles. – Als der Doktor Fenk versicherte, am Morgen sei er genesen: so kam Amandus am Morgen nicht und wollte wieder hartherzig sein.

Oefel genoß den Sieg seines Plans. Er trug sich selber die Einlenkung des alten Falkenbergs auf und schrieb eigenhändig an den Mann. Da er mit Dinte den guten Vater auf den mosaischen Berg stellete, hinter dem Berg den Prospekt des gelobten Landes der Gesandtschaft, und mitten ins Kanaan den jungen Legationsekretär: so hatte der gute Mann die Freude vieler Eltern, die ihre Kinder gern das werden sehen, was sie selber zu werden hasseten oder nicht vermochten. Er kam zu mir mit dem Briefe und ritt unter mein Fenster. – Alles, was Gustav noch innerlich gegen seine Versetzung ins alte Schloß zu sagen hatte, war, daß die schöne Beata im neuen wohnte, welches vom alten bloß durch eine halbierte Mauer abgeschieden war, und daß er Amandus' Verdacht bewährte. Aber zum Glück verfiel er nach dem Entschlusse auf den eigentlichen Beweggrund, der ihm denselben eingegeben hatte und der Veredlung und Erweiterung seines Wirkkreises war: »er könnte«, sagte er, »nach der Ablösung vom Gesandtschaftposten in einem Kollegium angestellet werden und da dem[214] liegenden Lande aufhelfen u.s.w.« Kurz die größte Schönheit Beatens hätt' ihn nun nicht dahin bringen können, sie zu – meiden.

Überhaupt schälte ihn der Romanschreiber so eifrig aus seiner militärischen Hülse, daß man, da er, wie Ehemänner und Fürsten, den Zügel öfter im passiven Munde als in den aktiven Händen hatte – hätte denken sollen, er werde gelenkt, um zu lenken; aber ich denk' es nicht.

Gustav legte den Abschiedbesuch bei Amandus ab. Ein gutes Mittel, dem zu vergeben, den eine eingebildete Beleidigung auf uns erbitterte, ist, ihm eine wahre anzutun – Gustav dachte in den freiwilligen Umwegen von Gassen, durch die er zu seinem gekränkten Amandus ging, an Beata, die nun seine Wandnachbarin wurde, an die Liebe und den Verdacht seines Freundes, an die Unmöglichkeit, den Verdacht zu heben; und da gerade um 6 Uhr vom eisernen Orchester um den Stephansturm die abendliche Sphärenmusik in die Gassen niederfloß: so sank sein Herz in die Töne hinein, und er brachte seinem Freunde das weichste mit, das es außer der Brust Beatens gab. Ich und der Leser haben hierüber unsre Gedanken: eben diese versöhnliche Weichheit schrieb sich bloß vom versteckten Bewußtsein her, daß er halb den Verdacht der Nebenbuhlerei verdiene; denn sonst hätt' er, von Stolz gehoben, dem andern zwar auch vergeben, aber ihn darum nicht stärker geliebt. – Er fand ihn in der schlimmsten Stimmung für seine Absicht – in der freundschaftlichsten nämlich; denn in Zärtlich-Kranken ist jede Empfindung ein gewisser Vorbote der entgegengesetzten, und alle haben abwechselnde Stimmen. Amandus war im Anatomier-Zimmer seines Vaters – der Sonnenstrahl fiel vor seinem Untergang in die leere Augenhöhle eines Totenschädels – in Phiolen hingen Menschen-Blüten, kleine Grundstriche, nach denen das Schicksal den Menschen gar ausziehen wollte, Menschchen mit verhängendem großen Kopf und großen Herzen, aber mit einem großen Kopfe ohne einen Irrtum und einem großen Herzen ohne einen Schmerz – auf einer Tafel lag eine schwarze Färbers-Hand, an deren Farbe der Doktor Proben machen wollte .... Welche Nachbarschaft für eine Aussöhnung und einen Abschied! Drei Blicke machten und versiegelten jene[215] schon Blicke reden in dieser nackten Entkörperung der Seelen eine zu schreiende Sprache –; aber als Gustav diesen, vom schönsten Enthusiasmus über Verdacht und Furcht hinübergehoben, seinem Freunde ansagte; als er ihm, der noch nichts davon begriff, seine neue Wandnachbarschaft und den Verlust der alten kundtat: – zerflogen war der Freund, und ein schwarzer Feind sprang aus seiner Asche heraus – diese Minute benützte der Tod und schlug die letzten Wurzelfasern seines wankenden Lebens gar entzwei .... Gustav stand zu hoch, um zu zürnen – aber er mußte sich noch höher stellen – er fiel um ihn und sagte mit entschlossener reiner Stimme: »Zürne und hasse, aber ich muß dir vergeben und dich lieben – mein ganzes Herz mit allem seinem Blut bleibet deinem getreu und sucht es auf in deiner Brust – und wenn du mich auch künftig verkennest: so will ich doch alle Wochen kommen, ich will dich ansehen, ich will dir zuhören, wenn du mit einem Fremden redest, und wenn du mich dann mit Haß anblickst: so will ich mit einem Seufzer gehen, aber dich doch lieben – ach ich werde alsdann daran denken, daß deine Augen, da sie noch zerschnitten waren, mich schöner anblickten und besser erkannten .... o stoße mich nicht so weg von dir, gib mir nur deine Hand und blicke weg.« –

»Da!« sagte der zertrümmerte Amandus und gab ihm die kalte schwarze – Färbers-Faust .... Der Haß überlief wie ein Schauer das liebreichste Herz, das sich noch in einer menschlichen Brust verblutete – Gustav zerstampfte auf der Erde seine Liebe und seinen Haß und ging verstummt mit erstickten Empfindungen aus dem Hause und am andern Tage aus Oberscheerau.

Kaum hatte Amandus den gemißhandelten Jugendfreund über die Gasse zittern sehen: so ging er in sein Zimmer, hüllte sich mit dem Kopfkissen zu und ließ, ohne sich anzuklagen oder zu entschuldigen, seine Augen so viel weinen, als sie konnten. Wir werden es hören, ob er sein krankes Haupt wieder vom Kopfkissen erhob und wann er wieder von Gustav ins stille Land begleitet wurde, aus dem er ihn zurückzustoßen suchte. O der Mensch! – warum will dein so bald in Salz, Wasser und Erde zerbröckelndes Herz ein anderes zerbröckelndes Herz zerschlagen – Ach eh' du[216] mit deiner aufgehobnen Totenhand zuschlägst: fällt sie ab in den Gottesacker hin – ach eh' du dem feindlichen Busen die Wunde gegeben, liegt er um und fühlt sie nicht, und dein Haß ist tot oder auch du.

1

Nämlich 1791.

Quelle:
Jean Paul: Die unsichtbare Loge, in: Jean Paul: Werke. Band 1, München 1970, S. 206-217.
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