19. Zykel

[106] Alle diese Geschäfte und Dornen waren für Albano recht gute spitze Erdbeben-Ableiter, da in seiner Brust schon mehr unterirdische Gewittermaterie umherzog, als zum Zersprengen der dünnen Brusthöhle eines Menschen nötig ist. Nun kam er immer tiefer in die wilden Donnermonate des Lebens. Die Sehnsucht, Don Zesara zu sehen, entflammte sich an der römischen Geschichte mehr, welche Cäsars kolossalisches Bild vor ihm in die Höhe stellte und darunterschrieb: Zesara. Die verhüllte Lindenstadt wurde von seiner Phantasie auf sieben Hügeln getragen und zum Rom erhoben. Ein Posthorn schallte in sein Innerstes wie ein Schweizer Kuhreigen, der alle Höhen unserer Wünsche in langen Bergketten glänzend in den Äther hinausbauet; und es blies ihm das Zeichen zum Aufbruch, und alle Städte der Erde lagen mit offnen Toren und mit breiten Fuhrstraßen um ihn herum. Und wenn er in jener Zeit an einem kalten hellen Sommermorgen neben einem nach Pestitz gehenden Regimente so lange metrisch mitzog, als die Trommeln und die Pfeifen lärmten: so feierte seine Seele ein Händelsches Alexanderfest – sie hörte die Vergangenheit – das Fahren der Triumphwagen – das Gehen der spartischen Heere und ihre Flöten – und die helle Trompete der Fama – und wie unter den letzten Posaunen erstand seine Seele unter lauter glänzenden Toten aus der aufgeriegelten Erde und zog mit ihnen weiter. – –

Wenn die Geschichte einen edlen Jüngling in die Ebene von Marathon und auf das Kapitolium führt: so will er an seiner Seite einen Freund, einen Waffenbruder haben – aber auch weiter nichts, keine Waffenschwester; denn einem Heros schadet eine Heroine sehr. In den starken Jüngling zieht die Freundschaft eher als die Liebe ein; jene erscheint wie die Lerche im Vorfrühlinge des Lebens und geht erst im späten Herbste fort; diese kommt und fliehet wie die Wachtel mit der warmen Zeit. Albano[106] hörte schon diese Lerche unsichtbar in den Lüften über ihm schmettern; er fand einen Freund, nicht in Blumenbühl, nicht in der Lindenstadt, an keinem Orte, sondern in seiner – Brust; aber diesen hieß er – Roquairol.

Die Sache war diese: für Leute wie ich ist das Landleben der Honig, worin sie die Pille des Stadtlebens einnehmen; Falterle hingegen brachte das bittre Landleben nicht ohne die Versilberung des Stadtlebens hinunter; wöchentlich lief er dreimal nach Pestitz, entweder in die Logen der Liebhabertheater als Dramaturg oder auf diese selber als Akteur. Nun nahm er jedesmal sein Rollenbüchlein aufs Dorf hinaus und studierte da – im Vertrauen auf die Komödienprobe – seine Rolle insularisch ohne die kollegialischen ein; so wie noch jeder Staatsdiener seine ohne einen Blick in die mitspielenden memoriert; daher jeder von uns nur aus einer Seelenkraft besteht und, wie in der russischen Jagdmusik, nur einen Ton zu pfeifen weiß und seine Stärke ins Pausieren setzen muß. – In diesen von Falterle geliehenen Bruchstücken der Bühne ging nun Albano mit einem Entzücken herum, das jener bald höher zu treiben suchte durch den Tausch der ganzen dramatischen Weltgloben gegen diese Kugelsektoren.

Der Wiener hatt' ihm längst den selbstmörderischen Wildfang Roquairol als ein Genie im Lernen – besonders sich als eines im Lehren – vorgelobt; jetzt führt' er den Beweis aus den großen Rollen, die der Wildfang immer gut spiele. Übrigens war es nicht seine Schuld, daß er den Ministers-Sohn nicht ungemein heruntersetzte, dem er nicht nur die theatralischen Siege beneidete, sondern auch die erotischen. Denn der phantasiereiche Roquairol hatte mit dem Selbstschusse des 13ten Jahres das ganze weibliche Geschlecht salutiert und gewonnen und sich zum Opferpriester aus einem Opfertiere gemacht und zum Regisseur des ans Liebhabertheater gestoßenen Liebhaberinnentheater, indes der scheue blöde Falterle mit seiner totgebornen Phantasie keine Schöne zu einem andern Schritte brachte als zum Rückpas im Menuett und statt der Setzung seines Ichs zu nichts als zur Fingersetzung. Aber der Eitle kann andern kein Lob versagen, das sein eignes wird.[107]

Wie mußte das alles unsern Freund für einen Jüngling gewinnen, den er bald als Karl Moor – bald als Hamlet – als Clavigo – als Egmont durch seine Seele gehen sah! – Was den bekannten Redoutenschuß in frühern Jobelperioden anlangt, so mußte unser so unerfahrner Herkules, den der blanke Dolch des Kato blendete, einem so verwandten Herakliden den Schuß als eine seiner tragischen 12 Arbeiten anrechnen. – Der Lehnpropst Hafenreffer erzählt sogar, Albano habe einmal mit dem Wiener, der längst aus einem Schullehrer zu einem Schulkameraden herunter war, über die schönsten Todesarten gestritten und sei gegen den sanften Falterle, der sich für den Schlaftrunk erklärte, auf Roquairols Seite getreten, sogar mit dem stärkern Zusatze: »am liebsten stieg' er auf einen Turm und zöge den Wetterstrahl auf seinen Kopf!« – Im letztern zeigt er das hohe Gefühl der Alten, die den Donnertod für keine Verdammnis, sondern für eine Vergötterung hielten; sollt' aber nicht der Körper etwas dabei tun, da seine Ellenbogen und seine Haare oft im Finstern elektrisches Feuer aussprühen und sein Kopf in der Wiege mehrmals einen heiligen Zirkel ausstrahlt? Der Lehnpropst ist sehr dafür. – –

Albano konnte sein feuriges Herz am Ende nicht anders kühlen, als daß er Papier nahm und an den Unsichtbaren schrieb und es dem Wiener zu bestellen gab. Falterle, der die Gefälligkeit selber war – und dabei auch die Unwahrheit selber –, nahm trotz seiner Abneigung gegen Roquairol die Briefe herzlich gern mit »ich bin beim Minister ja wie zu Hause«, sagt' er –, bestellte aber, da er sowohl im stolzen Froulayschen Palaste als bei dem Sohne wenig galt, keinen einzigen und brachte bloß jedesmal eine neue gültige Ursache mit, warum Roquairol nicht darauf antworten können; er war entweder zu sehr in der Arbeit – oder auf dem Krankenstuhle – oder in Gesellschaft – jedesmal aber entzückt darüber gewesen; – und unser argloser Jüngling glaubte alles fest und schrieb und hoffte fort. Vom Legationsrate wär' es brav gewesen, wenn er mich, falls er anders konnte, sich verbindlich gemacht und mir Albanos Palm-Blätter eines liebenden Herzens eingeliefert hätte; nicht für das Archiv dieses Buchs,[108] sondern bloß für meine Manualakten, für den Blumenblätterkatalog, den ich mir zu eignem Gebrauche von Albanos Nelkenflor hefte und leime. –

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 106-109.
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