26. Zykel

[135] Während Dian einen schönern Tempel in die Höhe steigen ließ als den steinichten im Dorfe: verstarb die Fürstin, deren castrum doloris dieser werden sollte; sie mußte man also vor der Hand in das Absteigequartier einer Pestitzer Kirche beisetzen. Das änderte ein paar tausend Sachen. Der Hohenfließer Kronprinz Luigi sollte und mußte nun aus Welschland zum Fürstenstuhle zurück, worauf der alte, von den Jahren zusammengewickelte Fürst winzig und sprachlos mehr lag als saß – wiewohl der hinter der Fürstenstuhl-Lehne stehende Minister dessen Figur und Stimme munter genug nachspielte –; Don Gaspard, der alle bisherige Briefe Albanos nicht erhöret hatte, fertigte nun diesem die gleich feurigem Weine die Adern durchbrausende Ordre zu: »Auf meinem Rückwege aus Italien sehen wir uns in deinem Geburtsorte Isola bella. Man wird dich abholen.« – Auch Leser, die noch keine Woche lang Briefe eines Gesandten-Personale zugeschnitten und[135] zugesiegelt haben, merken leicht, daß der Vlies-Ritter gedenkt, seinen Sohn mit dem jungen Fürsten und ihre ersten Pestitzer Verhältnisse zu verknüpfen und zu mischen.

Ich bitte aber die Welt, nun das Paradies eines Menschen auszumessen, der nach so langer Seefahrt endlich die langen Ufer der neuen Welt im Meere hinliegen sieht. War ihm jetzt nicht das Leben an hundert Ecken aufgetan? – Lorbeerkränze – Efeukränze – Blumenkränze – Myrtenkränze – Ährenkränze – – alle diese Girlanden überhingen das Pestitzer Haupttor und seine Haustüre. Du Bruder, du Schwester (ich meine Roquairol und Liane), welcher volle schmachtende Mensch zog euch entgegen! – Und welcher träumende und unschuldige! Homer und Sophokles und die alte Geschichte und Dian und Rousseau – dieser Magus der Jünglinge – und Shakespeare und die britischen Wochenschriften (worin eine höhere humanere Poesie spricht als in ihren abstrakten Gedichten), alle diese hatten im glücklichen Jünglinge ein ewiges Licht, eine Reinheit ohnegleichen, Flügel für jeden Tabors-Berg und die schönsten, aber schwierigsten Wünsche zurückgelassen. Er glich nicht den bürgerlichen Franzosen, die wie Teiche die Farbe des nächsten Ufers, sondern den höhern Menschen, die wie Meere die Farbe des unendlichen Himmels tragen. –

Überhaupt war jetzt der reifste beste Zeitpunkt für seine Veränderung. Durch Dian und durch dessen Reisen war sogar sein äußerer Mensch schöner entwickelt in Gastzimmern. Die Menschen gehen wie Schießkugeln weiter, wenn sie abgeglättet sind; bei Zesara blieben ohnehin genug Demant-Spitzen stehen, woran sich das Mittelgut stößet und sticht; und selber ungewöhnlicher Wert ist ungewöhnlicher Fehler – wie hohe Türme eben darum übergebogen scheinen. Zesara lernte eben außerhalb des ländlichen Junkerzirkels eine Behendigkeit der Ideen und Worte ein, die ihm sonst nur im Enthusiasmus zu Gebote stand; denn der Witz, sonst ein Feind des letztern, war bei ihm bloß ein Diener und Kind davon. Er kokettierte nicht, wie witzige Säuglinge, mit allen Ideen, sondern er wurde von ihnen entweder angepackt oder gar nicht angestreift; daher kam jenes stumme, langsame,[136] unscheinbare Reifen seiner Kraft, er glich langsam-aufsteigenden Gebirgen, die stets mehr Ausbeute abwerfen als schnell-aufstehende. Bei großen Bäumen ist der Same kleiner und im Frühlinge die Blüte später als bei dem kleinen Gesträuche.

Die Zeit, eh' Gaspards abholender Bote kam, wurde dem aufgehaltenen Jünglinge eine Ewigkeit und das Dorf ein Kerker, es schrumpfte zu den Wirtschaftsgebäuden eines Klosters ein. Der bedeckte, aber mit Enkaustik in sein Gehirn geschriebene Plan des Lebens war (wie bei allen solchen Jünglingen) der, nichts Größeres zu werden und zu tun als – alles, nämlich zugleich sich und ein Land zu beglücken, zu verherrlichen, zu erleuchten – ein Friedrich II. auf dem Throne, nämlich eine Gewitterwolke zu sein, welche Bannstrahlen für den Sünder, elektrisches Licht für Taube und Blinde und Lahme, Güsse für die Insekten und warme Tropfen für durstige Blumen, Hagel für Feinde, eine Anziehung für alles, für Blätter und Staub, und einen Regenbogen für das Ende hat. – – Da er nun Friedrich II. nicht sukzedieren durfte, so wollt' er künftig wenigstens Minister werden – zumal da Wehrfritz soviel aus der Länge dieses Nebenzepters, des Ablegers und Schnittlings vom Mutterzepter, machte –; und in den Freistunden nebenbei ein großer Dichter und Weltweiser.

Es soll mir lieb sein, Graf, wenn du der zweite Friedrich der zweite und einzige wirst; – mein Buch hier wird davon profitieren, und ich selber poussiere dadurch mein Glück als ein seltener, aus Xenophon, Curtius und Voltaire zusammengewachsener Historiograph! –

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 135-137.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Titan
Sämtliche Werke, 10 Bde., Bd.3, Titan
Titan (insel taschenbuch)
Titan. Bd. 1/2
Titan: A Romance from the German (German Edition)
Titan, Volumes 1-2 (German Edition)