30. Zykel

[146] Der väterliche Brief, der Albanos Seele in allen ihren Fugen erschütterte, lautet übersetzt so:


»Lieber Albano, im Kampanertal erhielt ich leider einen Brief über die immer heftiger wiederkommenden Asphyxien deiner Schwester, er war am Karfreitage geschrieben und setzte ihren Tod schon als ausgemacht voraus. Auch bin ich darauf gefasset. Desto mehr frappierte mich deine Nachricht vom Gaukler der Insel, der den Propheten spielen wollen. Eine solche Weissagung setzt irgendeinen Anteil voraus, dem ich in Spanien näher nachspüren muß. Ich glaube den Betrüger schon zu kennen. – Sei an deinem Geburtstage vorsichtig, bewaffnet, kalt und kühn und halte womöglich den Jongleur fest; gib dir aber kein ridicule[146] durch Sprechen darüber. – Dian ist in Rom und arbeitet recht brav. – Lege Hoftrauer für den lieben alten Fürsten an aus Gefälligkeit. Addio! –

G. de C.«


»Ach teuere Schwester!« seufzte er innig und zog ihr Medaillon heraus und sah weinend die Züge eines ihr versagten Alters an und las weinend die widerlegte Unterschrift: Wir sehen uns wieder. Jetzt da sich ihm das Leben lachend und weit aufschließet, ging es ihm viel näher, daß das Schicksal die Schwester so eng bedeckt; ja der harte Gedanke kam dazu, ob er nicht Schuld an ihrem Verschwinden habe, da seinetwegen der fürchterliche Zahuri der Insel vielleicht eine opfernde Gaukelei getrieben; sogar der Umstand, daß sie seine schwächliche Zwillingsschwester war, wurde ein Schmerz. – Allein kämpfend standen jetzt die Gefühle in seinem Geiste wie auf einem Schlachtfelde gegeneinander. Welches Schicksal zieht mir entgegen! dacht' er. »Nimm die Krone!« hatte jene Stimme gesagt; – »welche?« fragte aufstehend sein ruhmdurstiger Geist und untersuchte kühn, ob sie aus Lorbeeren oder Dornen oder Metallen bestehe. – »Liebe die Schöne!« hatte sie gesagt; aber er fragte nicht: »welche?« – nur hatt' er, seitdem der Vater des Todes seinen Namen und seine Glaubwürdigkeit fürchterlich zu bewähren schien, die Furcht, daß die angekündigte Stimme in der Himmelfahrts- und Geburtsnacht einen andern Namen nenne als den geliebtesten.

Abends, nachdem die drei Ankömmlinge ihre häuslichen Einrichtungen, die aus dem wellenschlagenden Albano noch immer nicht den vervielfältigten Zauberglanz der Lindenstadt wegbrachten, hinter sich hatten, führte der Lektor den Grafen zum Erbprinzen Luigi. Dieser kopierte täglich eine halbe Stunde lang im Bilderkabinett; und beschied beide dahin zum Warten auf ihn. Sie gingen hinein. Ein andrer als ich würde hier der Welt einen räsonnierenden Küchenzettel aller Schaugerichte des Kabinetts zustellen; aber ich mag sie nicht einmal mit den 17 Gemälden beschenken, über deren Reizen jene seidnen Tändelschürzen oder Schleier hingen, die in Paris eine Dame gern von ihren eignen abheben würde, um nur damit verschämt das Kunstwerk[147] zu bedecken. Man kann leicht denken, daß unserm Alban im Bilderkabinett das mütterliche41 einfiel und daß er gern an jedem Nagel gerücket hätte, wäre niemand dagewesen.

Aber die Prinzessin Julienne war da, die er (und wir alle) noch recht gut von Blumenbühl her kannte, wie sie ihn. Sie war zwar voll junger Reize, aber man fand diese doch nicht eher, als bis man ein paar Tage vorher sehr in sie verliebt gewesen war – das machte sie darauf jede Minute hübscher, wie denn überhaupt Amor mehr der Vater als der Sohn der Huldgöttin ist, und sein Köcher das beste Schmuckkästchen und die reichste Toilettenschachtel, und seine Binde das beste mouchoir de Venus und Schminkläppchen, das ich kenne.

Sie zeichnete gerade den Gipsabguß eines schönen alten Kopfs, der dem Grafen gleichsam aus dem Antikenkabinett seiner Erinnerung geholt zu sein schien und dem sein wallendes Herz recht liebend entgegenfloß; aber er entsann sich des Urbilds nicht. Endlich sagte Julienne, die Etikette verschmähend, recht gutmütig und aufblickend: »Ach lieber Augusti, mein Vater ist verschieden in Lilar.« Das Wort Lilar kolorierte plötzlich in Albano das bleiche Gedächtnisbild – völlig wie diese blasse Büste sah im Mondscheine der alte Mann aus, der in jener dichterischen Sommernacht Zesarens Hände auf dem Berge zum Gebet zusammenlegte und sagte: »Gehe schlafen, lieber Sohn, eh' das Gewitter kommt.« Ein andrer hätte sich nun nach dem Namen der Büste erkundigt und erst dann die nächtliche Historie entdeckt; aber der Graf tat im Feuer bloß das letztere, nach einem kurzen Warten auf das Auslaufen des Gesprächs. Augusti wollte ihn, als er die ihm fremde Geschichte der Bekanntschaft mit dem Urbilde anhob, sorgend unterbrechen; aber Julienne gab ihm einen Wink, ihn zu lassen; und der Jüngling teilte treuherzig der teilnehmenden Seele das schöne Zusammenkommen gerührt und brennend mit und wurde beides noch mehr, als ihre Augen überflossen in ihr Lächeln. – »Es war mein Vater, das ist sein Abguß!« sagte Julienne weinend und freudig; Albano schlug nach seiner Art mit seufzender Brust die Hände vor der Büste zusammen und[148] sagte: »Du edle, herzlich geliebte Gestalt!« und sein großes Auge schimmerte von Liebe und Trauer.

Die gute weibliche Seele wurde von einer so unhöfischen Teilnahme fortgerissen, und sie überließ sich ganz ihrem angebornen Feuer. Das weibliche und das höfische Leben ist zwar nur die längere Strafe des Gewehrtragens – Oberhofmeisterinnen sind, wie es nach dem Modelle der Jaherren Neinherren gibt, wahre Neinfrauen – die siebenfarbige Kokarde der heitern tanzenden Freiheit wird da abgerissen oder läuft schwarz an von der Hoftrauer – jeder weibliche Lusthain ist ein unheiliger – Fataleres kenn' ich nichts – – – aber die kraushaarige Julienne brach, mir nichts dir nichts, durch das ewige Gefängnis bei süßem Brote und gebranntem Wasser des Tages wohl zwölfmal hinaus und lachte den freien Himmel an und beleidigte (– sich und andre nie –) die Oberhofmeisterin stets. Sie erzählte nun dem Grafen (indem sie aus Nervenschwäche und Lebhaftigkeit immer stärker lächelte und schneller sprach), wie ihr lieber schwacher, mehr kindlicher als kindischer Vater, dessen alten Lippen und entkräfteten Gedanken nur noch nachgelallte Gebete möglich waren, sich mit einem eisgrauen mystischen Hofprediger in Lilar ins Betzimmer eingeschlossen (ein graues Haupt verbirgt sich gern, eh' es verschwindet, und sucht wie Vögel einen dunkeln Ort zum Entschlafen) – und wie sie und das Fräulein von Froulay (Liane) dem halbblinden Manne abwechselnd Gebete vorgelesen und gleichsam die Abendglocke der Andacht vor dem müden schlaftrunknen Leben angezogen. Sie malte, wie er in diesem Vorhofe der Gruft alles Geliebte überlebt oder vergessen habe, wie er immer nach ihrer Mutter gefragt, deren Sterben ihm stets von neuem entfallen, und wie das verdunkelte Auge jede Tageszeit für einen Abend und daher jeden Fortgehenden für einen, der schlafen gehen wolle, genommen habe.

Wir wollen nicht zu lange auf diese späte Zeit des Lebens blicken, wo sich die Menschen wieder als Kinder für die längere Wiege des Grabes verkürzen; und wo sie gleich den abends schlafenden Blumen unkenntlich sind und einander früher als im Tode gleich werden.[149]

Besonders dem Lektor war wie allen Hofleuten schlecht mit diesen Funeralien gedient; auch wollt' er gern die Hiobskrankheit ihres Klagens durch Versetzung heilen und führte sie näher zu Lianen. Aber eben, indem sie den Anteil und die Opfer dieser Freundin beschrieb und indem ihr wieder die lange weinende Umarmung erschien, worin Liane sie und den Schmerz gleichsam fest an sich geschlossen hatte, so kehrte jeder dunkle schwere Blutstropfe, den die kräftigen Pulsadern fortgetrieben hatten, wieder in das Herz zurück, und sie hörte auf, zu malen, sowohl diese Geschichte als den Kopf.

Die beiden Freundinnen waren keine solche, die sich den Kuß durch zwei Flöre hinauslangen, oder die einander abzuherzen wissen ohne die kleinste Quetschwunde der Frisur, oder deren Liebesmahl sich jedes Jahr, wie das Abendmahlbrot jedes Jahrhundert, leichter und dünner bricht: sondern sie liebten sich innig mit den Augen, mit den Lippen, mit dem Herzen, wie zwei gute Engel. Und wenn vorher die Freude ihren Erntekranz nahm und ihn für sie zum Trauring der Freundschaft machte: so versuchte jetzt der Gram mit seinem Stachelgürtel dasselbe. – Ihr guten Seelen! mir ist es ganz leicht denklich, wie ein so reiner glänzender Seelenbund das Herz eures Freundes Albano zugleich peinlich ausdehnt und selig erhebt, wie die ärostatische Kugel zugleich zerstörend schwillt und steigt. Für Lianens Einzug standen ohnehin schon geschmückte Ehrenpforten in seinem Innern in die Höhe!

Inzwischen hätte ein Fremder ohne diese meine Feder, oder auch ich ohne den Lehnpropst Hafenreffer, nichts am sprechenden Grafen merken können als ein irres Glühen im Gesicht und schnelle Worte.

41

In dessen Wand die Frau mit dem Souvenir ist.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 146-150.
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