38. Zykel

[187] Lianens Augen heilten, aber nur langsam; die Natur wollte sie nicht auf einmal aus ihrem düstern Kerker in die Sonne führen; jetzt konnte sie erst, wie die Philosophen, mehr Licht als Gestalten erkennen. Gleichwohl gab der Minister den Kabinettsbefehl, sie müsse übermorgen die Harmonika spielen, bei dem Souper erscheinen und sogar den Salat machen und dabei ihre Blindheit maskieren. Er befahl zuweilen unmögliche Dinge, um so viel Ungehorsam zu finden, als sein Zorn zum Bestrafen brauchte; gewisse Leute sind den ganzen Tag schon im voraus voll Ärger für irgendeine Zukunft, gleich dem Urinphosphor, der immer unter dem Mikroskope kocht, oder den Eisenhütten, worin jeden Tag Feuer auskommt.

– Die Ministerin sagte dazu ein sanftes festes Nein. Über die Harmonika, sagte sie, habe sie in seinem Namen den Doktor gefragt, der es streng' verboten, und das übrige sei eine Unmöglichkeit. Hier konnt' er schon, so gut wurd' es ihm, über mehrere Dinge ungehalten werden, besonders über das Fragen des Doktors, das aber gar noch – nicht geschehen war; er wurde toll genug und schwur, er handle nach seinen Prinzipien und frage den Teufel nach fremden.

Dieses Prinzip war dasmal der deutsche Herr. Die obige Anekdote nämlich – Bouverots Fürsorge für den reisenden Erbprinzen – oder die Absicht dabei war an beiden Höfen assemblee- und tafelfähig, und nur dem Fürsten Luigi verdeckt; denn an Thronen gibt es fast für niemand Geheimnisse (kaum für seine Frau) als für den, der darauf sitzt, wie in Schallgewölben die Leute in fernen Winkeln alles laut vernehmen, nur der nicht, der in der[187] Mitte steht. Der deutsche Herr war also im Hohenfließer Systeme die wichtige Pfortader und Lungenpulsader, womit auch Froulay sich wässern wollte. Dieser mußte durchaus der Gegenwart und der Zukunft oder zweien Herren dienen, von denen der Haarhaarer sehr bald seiner werden konnte.

Bouverot war nicht bloß an Froulay den Minister, sondern auch den Vater geknüpft; ein Mann wie er, der sich aus Italien ein ganzes Kunstkabinett nachfahren lässet und dessen Kunst-Kenntnisse eben ihn und den Fürsten so lange verknüpfen, mußte eine Madonna von solcher Karnation wie Liane und aus der römischen Schule und die noch dazu, von der Leinwand abgelöset, sich als eine volle atmende Rose bewegte, ein solcher mußte dergleichen zu schätzen wissen. Heiraten konnt' er die Rose nicht wollen, da er deutscher Herr war.

Er hatte sie seit seiner welschen Reise nicht gesehen – der Graf auch nicht – beiden wollte sie der Minister zeigen als eine Zahlperle von besonderer Weiße und Figur. Froulay hatte – was überhaupt öfter ist, als man denkt – gleich viel Eitelkeit und Stolz; diesen gegen den Tadel, jene für das Lob. Aber ich müßte nun ein Turnierbuch schreiben, um sein Toben, Rennen, Lanzenstoßen in einem Gefechte, wo er unter den Fahnen der Feindschaft, der Eitelkeit und Habsucht diente, nur zum Teil auf die Nachwelt zu bringen. Er war so wenig totzujagen als ein Wolf. Alle Waffen waren ihm gleich, und er nahm immer schärfere und giftigere. In den alten gerichtlichen Zweikämpfen zwischen Mann und Frau stand gewöhnlich der Mann bis an den Magen in einem Loche, um seine Stärke zur weiblichen herabzubringen, und sie schlug gegen ihn mit einem in einen Schleier gewickelten Stein; in den ehelichen aber scheint der Mann im Freien zu stehen und die Frau in der Erde und hat oft nur den Schleier ohne den Stein.

– In diesem Gefechte stellte sich ein glänzender Friedensengel zwischen beide und fing die Wunden auf, nämlich Liane. Die Tochter, die eine schwärmerische Liebe für die Mutter und die weibliche Achtung des stärkern Geschlechts für den Vater hatte, und die so unendlich unter dem Zwiespalte litt, fiel der Mutter[188] um den Hals und bat sie, ihr das zu erlauben, was der Vater fordere – sie wolle alles gewiß so machen, daß man nichts merke, sie wolle sich recht anstrengen und vorher besonders üben – ach er werde sonst ihrem armen Bruder nur noch ungewogner – diese Uneinigkeit bloß ihrentwegen sei ihr so schmerzlich und vielleicht schädlicher als das Harmonika-Spiel.

»Mein Kind, du weißt,« (sagte die Mutter, denn jetzt hatte sie gefragt) »was gestern der Arzt gegen die Harmonika gesagt hat; das andre kannst du wagen!« Liane küßte sie freudig. Man mußte sie zum Vater führen, damit sie vor ihm die Freude ihres Gehorsams lautmachte. »Ich dank' euchs mit dem Henker,« (sagt' er sanft) »es ist eure verfluchte Schuldigkeit.« – Sie ging mit zerstobener Freude, aber ohne große Schmerzen; sie war es schon gewohnt.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 187-189.
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