42. Zykel

[201] Am Mai-Sonnabend schwand um 7 Uhr jeder Dunst aus dem Himmel, und die hell-entweichende Sonne zog einem herrlichen Sonntage entgegen. Albano, der dann endlich das ungesehene Lilar besuchen wollte, war abends vorher so heilig-froh, als feiere er den Beichtabend vor dem ersten Abendmahle; – sein Schlaf war ein stetes Entzücken und Erwachen, und in jedem Traume ging ein betörender Sonntagsmorgen auf, und die Zukunft wurde das dunkle Vorspiel der Gegenwart.

Sonntags früh wollt' er fort, als er vor der halben Glastüre des Physikus vorübermußte: »Herr Graf, auf einen Augenblick!« rief dieser. Da er eintrat, sagte der Doktor: »Gleich, lieber Herr Graf!« und fuhr fort. – – Den Zeichnern, die in künftigen Jahrhunderten so aus mir schöpfen wollen wie bisher aus dem Homer, geb' ich folgende Gruppe des Doktors als einen Schatz: er lag auf der linken Seite; Galenus bügelte mit einer kleinen Kratzbürste den Rücken des Vaters, indes neben ihm Boerhaave mit einem weiten Kamme stand und solchen unaufhörlich steilrecht (nicht schief) durch die Haare führte. Er sagte stets, er wüßte nichts, was ihn so aufheiterte und öffnete als Bürste und Kamm. Vor dem Bette stand van Swieten in einem dicken Pelze, den der Züchtling bei warmem Wetter und schlimmer Aufführung tragen mußte, um darin sowohl ausgelacht als halb gekocht zu werden.

Zwei Mädchen warteten in voller Sonntagsgala da und gedachten aufs Land zu einer Pfarrtochter und in die Dorfkirche; diese klopfte er erst von Glied zu Glied mit dem Hammer des Gesetzes ab. Er stellte seine Kinder, als Gegenfüßler römischer Beklagter in Lumpen, gern in Manschetten und Quasten und galoniert auf die Pillory, besonders vor Fremden. Der Graf hatte sich schon längst der roten Kinder wegen gegen das offne Fenster gekehrt; konnte sich aber doch nicht enthalten, lateinisch zu sagen: »wär' er sein Kind, er hätte sich längst umgebracht; er kenne nichts mehr Beschämendes, als im Putze gescholten zu werden.« – »Desto tiefer« (sagte Sphex deutsch) »greift es eben ein« und holte[201] bei den Mädchen nur noch dieses nach: »Ihr seid ein Paar Gänse und werdet in der Kirche nur von eurem Lumpenkrame schnattern – warum gebt ihr nicht auf den Pfarrer acht? Er ist ein Esel, aber für euch Eselinnen predigt er gut genug; abends sagt ihr mir die Predigt ganz her.«

»Hier ist ein Laxiertrank, Herr Graf, den ich Sie, da Sie nach Lilar gehen, der Landbaumeisterin zu geben bitte für ihre kleinen Kröten; aber nehmen Sie es nicht übel!« – Beim Henker! das sagen gerade die Leute am häufigsten, die sich nichts übelnehmen. Der Graf- der ihm zu andrer Zeit verachtend den Rücken zugekehrt hätte – steckt' es errötend und schweigend vor dem Retter seiner Liane zu sich, auch weil es für die Kinder seines geliebten Dians war, an dessen Gattin er Grüße und Nachrichten bringen wollte.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 201-202.
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