129. Zykel

[740] Albano und sein Oheim zogen dem angekündigten Schoppe von Dorf zu Dorf weiter entgegen; der Oheim schob die Hoffnung wie einen Horizont immer vor ihnen voraus; einmal abends glaubte der Graf Schoppes Stimme nahe neben sich zu hören umsonst, der geliebte Mensch kam noch nicht an sein Herz, und schmachtend sah Albano die Wolken im Himmel auf dem Weg herziehen, den sein Teuerer unter ihnen auf der Erde nahm. Der Oheim erzählte ihm lange von einem geheimen Kummer, der den Bibliothekar oft niederdrücke, und von dessen Ansatz zur Tollheit, der ihn auch früher von ihm weggetrieben, weil er unter allen Menschen keine so fürchte als tolle. Von Romeiros Porträt schien er nichts zu wissen. Albano schwieg verdrüßlich, weil der Spanier unter die unleidlichen Menschen gehörte, die mit glattem festen Gesicht und mit zugeschraubter gehelmter Seele den fremden Widerspruch ohne eignen Widerspruch, ohne Echo, ohne Spiegel und Änderung um sich flattern lassen können und für welche die fremde Rede nur ein stiller Tau ist, dessen Fallen keinen Stein aushöhlt. Dazu kam Albanos Erbitterung gegen dessen neue Unwahrhaftigkeit über Schoppens Nähe und gegen sein eignes Unvermögen, eine Stunde lang alles ungläubig anzuhören, was ein Lügner sagt.

»Schoppe ist auf mein Wort durch einen andern Weg schon im Prinzengarten«, sagte endlich der Spanier ganz munter und[740] riet umzukehren an, im warmen Genusse seiner frechen kalten Kraft, jeden, der ihm nicht huldigte, zwischen scharfe langsame Eisfelder zu pressen.

Sie kamen vor dem Prinzengarten unter lauter Wagen an, aus welchen die Zuschauer des heutigen Spielfestes ausstiegen. Albano fand schon unter jenen seinen Vater, die Fürstin und Julienne; und unter den Mitspielern Bouverot, seinen alten Exerzitienmeister Falterle und die gelbgekleidete Kaufmannsfrau in rotem Schal, die einmal weniger in als an Roquairols Herzen gewesen, und diesen selber. Der Hauptmann trat vor aller Welt sofort den bekannten Albano an und sagte mit gesuchter Leichtigkeit, das Spiel beginne bald, nur Dian mit seiner Frau werde noch erwartet. Dian, überall leicht beweglich, am meisten durch eine Bitte, konnte einer für die Kunst am wenigsten widerstehen; durch ihn wurde bald auch Chariton für das Spiel gewonnen, aber nicht ohne den Umstand, daß sie im Stücke eine Geliebte gegen niemand als ihren Gemahl zu spielen hatte. Als Roquairol mit Albano sprach, so wurde seinem Gesicht so wie einem geschwollnen oder gefrornen das leichte Lächeln schwer und das Aufheben des Augenlids; und innen drückte ein strafender beugender Geist den seinigen vor dem frohen reinen Freunde zur Erde, aus dessen Frühling er die helle Sonne weggerissen und geworfen und dem er eine ewige Pestwolke über das Leben gehangen.

Unter dem Getümmel der Gartenreden und im fruchtlosen Wunsche, der Schwester Julienne drei sanfte Worte für die ihm so lange verdeckte Linda mitzugeben, sah Albano den Wagen der Gräfin auf die Höhe an Lianens Garten rollen, da halten und sie und Dian und Chariton aussteigen.

Da kannt' er weiter nichts als den Flug zur entbehrten Geliebten, der sich vor den vielen Augen leicht in die Sehnsucht nach Dian einkleidete; und jetzt fragt' er im Durst der Liebe nach gar keinem Auge. »Ach da bin ich doch!« sagte Linda und ging ihm entgegen, mit den weichen Rebenschlingen zarter Blicke sich in seine verwebend – so scheu und so liebevoll – und das Abendrot der Verschämtheit zog, wie Frühlingsröte in der Nacht, um[741] ihren Himmel, und der weiße Mond der Unschuld stand mitten darin! – Albano zerging vom Tauwind dieser Verzeihung, warf sich seine süße Freude an ihrer Umkehrung als selbstsüchtigen Stolz über sein Siegen vor und konnte in der schönen Verwirrung des Glücks kaum das süße Staunen regieren und das aufgelöste Herz, das vor ihr zerrinnen wollte wie ein Gewitter in Abendtau. Er legte in sein Auge die Seele und gab sie der Geliebten. Vor Chariton mußt' er sich verhüllen. Zu Dian und Linda sagt' er, als sie in die hinuntersteigende Sonne sahen, bloß das Wort: »Ischia!«

»Da liegt nun freilich, lieber Anastasius,« (sagte Chariton zu Dian) »meine gute Fräulein Liane begraben, und man weiß nicht eigentlich wo im Garten, denn man sieht ja nichts als Blumen und Blumen; sie hats aber so bestellt.« – »Das ist sehr betrübt und hübsch,« (sagte Dian) »aber laß es, – weg bleibt weg, Chariton!« und führte sie seitwärts von den Liebenden schonend. An Albano, der nichts überhörte und übersah, war die Erschütterung davon so sichtbar. Auch Linda nahm sie wahr. »Sprich nur aus dein Weh,« (sagte sie) »ich liebe sie ja auch.« – »Ich denke an die Lebendigen« (sagt' er, sich zusammenfassend, und blickte scheu nicht auf den Blumengarten, sondern auf die sonnentrunkne Abendgegend) – »kann man denn genug auf der Erde vergeben und erraten? – Linda, o wie vergibst du mir heut!«

»Freund,« (sagte sie)»wenn Ihr sündigt, sollt Ihr Vergebung empfangen; aber bis dahin seid noch still!« Er sah sie bedeutend an: »Hast du nicht schon vergeben und ich noch nicht? – Aber wüßtest du, wie ich in diesen Tagen auf dem Weg zu meinem Schoppe innigst bei dir lebte und die göttliche Vergangenheit in die Zukunft brachte – ach, kann ich dir denn alles sagen an diesem Orte?« – Zum Glück hörte sie – gleich andern Frauen weniger auf Worte als auf Mienen, Winke und Taten merkend – mehr mit dem geistigen als leiblichen Ohre und trat nicht in den so nahe aufgesperrten Abgrund seiner Worte. So spielten jetzt beide, wie Kinder, neben der kalten, mit Donner durchzognen Gewitterstange, aus welcher bei der kleinsten nähern Nähe die blitzende Sense des Todes fährt.[742]

Beide gaukelten neben dem Gewitter fort. Die Sonne zog neben dem kleinen Berge und ebenen Blumen-Grabe mit ihren Flammen in die fernen Ebenen hinein. Aus dem tiefen Prinzengarten flatterten Töne durch die langen Abendstrahlen herauf und vergötterten die goldne Gegend. – Die Töne waren einsame Schwingen, die sich ihr Herz suchten und dann an ihm weiterflogen – und die liebenden Herzen wurden voll Flügel – Die Strahlen sanken, die Töne stiegen Um Linda und Albano lag ein goldner Kreis aus Gärten und Bergen und grünen Tiefen, und jede Blume schwankte reich unter dem letzten Gold und wurde die Wiege des Auges, die Wiege des Herzens – Die Liebenden blickten sich und die Erde begeistert an, die glänzende Welt erschien ihnen nur im Zauberspiegel ihrer Herzen, und beide selber waren darin leuchtende schwebende Bilder.

»Linda, ich will sanfter werden,« (sagt' er) »bei der Heiligen schwör' ichs, in deren Garten wir stehen!« – »Werd es, Lieber, in Lilar warst du es eben nicht!« sagte sie. Er verstand es von dem Sturme gegen Liane: »Verhülle dies Andenken in deine Liebe!« sagt' er errötend. Sie sah ihn jungfräulich an, ihr Inneres war jungfräulich geblieben und unschuldig; wie die Pfirsich sich rot und glühend der Sonne zukehrt, aber in den Blättern das zarte Weiß erhält. Ihr Auge trank aus seinem, seines trank aus ihrem, der Himmel vermischte sich mit ihrem Himmel, die Purpursonne schimmerte aus dem warmen Liebestau der Liebesaugen zurück. »O dürft' ich dich jetzt küssen!« sagte Albano. »Ach dürftest du es!« sagte Linda. »So golden ging einst die Sonne auf dem Meere unter!« sagte er. – »Und nachher gaben wir uns den ersten Kuß!« sagte sie. »Wir wollen uns jetzt viel öfter sehen«, sagt' er. – »Jawohl, und länger am Tage, nachts hab' ich Arme ja kein Auge. Nun geht mir dort schon mein Auge unter«, sagte sie, als die Sonne versank.

Es war ein guter, sanfter Geist, oder Lianens ihrer – jener, der den Menschen nur an der Dämmerung in die Nacht führt, der uns mildernde Tränen in den Jammer und in die Entzückung gießet und der dem Abendstern der Liebe die kurze Bahn nicht überwölkt dieser Geist war es, welcher ihre Zungen und Ohren vor[743] dem schrecklichen Laute bewahrte, der auf einmal den goldnen Abendkreis in eine ringsumher aufbrennende Hölle aufgerissen hätte.

»Wer kommt dort so eilig?« sagte Linda. »Mein Feind«, sagte Albano. Roquairol hatte ihn vermisset und Lindas Ankunft vernommen; in der Höllenangst, daß sich an diesem Abende vor ihnen der gestrige aufdecke, eilte er unter dem Vorwande, Dian zum Spielen und Albano zum Hören zu holen, den Berg heran. Wie ein Zentaur, halb Mensch, halb Wild, trat er mit verworrenem dumpfen Kriege seines ganzen Wesens unter die melodischen Seelen und Freuden. Aber kaum daß er an ihnen die Weihe der Entzückung wahrnahm und die schwarze Decke noch auf seinem Morde festliegen sah, so richtete sich in ihm der grimmige Geist der Eifersucht auf: »Sie ist nun meine Verlobte«, sagt' er sich; und die Sonnenfinsternis verworrner Reue wurde vom Gewitter des Unmuts verdeckt. Linda, über seine Stimmenähnlichkeit zürnend aus innerm Schauder, stand vor ihm wie ein Diamant, hell, glänzend, hart und schneidend, Albano aber sanft, im Nachtönen der Harmonie, auf dem Gottesacker der Schwester dieses Bruders und in einiger Verwirrung. In Roquairol schlich wieder der gestrige unreine Argwohn herum, daß vielleicht Albano und Linda nicht mehr unschuldig sein.

Zornig bat er heute Linda, sein Trauerspiel mit anzusehen. »Sie sagten mir,« (sagte sie zu Albano), »es schließe so tragisch, ich bin davon keine Freundin.« – »Er kennt es gar nicht«, sagte Roquairol. »Nein«, sagte Albano. – Wie die Schlange sah er auf das Paradies der ersten Menschen herab, sich froh bewußt, daß er ihnen vom Baume seines Erkenntnisses den Apfel reichen konnte, der sie sogleich daraus verjagte. »Zudem« (fügte sie dazu) »seh' ich abends schlecht oder gar nicht.« Roquairol stellte sich fremde dabei, scherzte über den Gewinn, den er als erster Liebhaber dabei habe, wenn sie ihn nur höre, und bat Dian, mitzubitten. Nicht angeborne, sondern erworbene Kälte ist der höchsten Falschheit mächtig, jene nur der Verstellung, diese auch noch der Anstellung, weil sie zugleich alle Wege und Mittel des Feuers kennt und nützt und sich auf dem Glatteis durch die Asche voriger Glut[744] festmacht. Da endlich Albano ihr selber anriet, an der tragischen Freude teilzunehmen und ihren Freunden und Freundinnen drunten die schöne, reine ihrer Gegenwart zu gönnen: so willigte sie ein, verwundert über den Widerruf.

Sie nahm Chariton in ihren Wagen. Die Männer gingen voraus. Unterwegs sagte Roquairol zu Dian, der im Stücke Albanos Rolle zu spielen hatte: »Sobald ich im vierten Akte gesagt habe: ›Auch die geistige Liebe geht der sinnlichen entgegen und kommt wie ein Seefahrer auf dem Wege nach Osten endlich doch in den Ländern des Untergangs an‹, so fallen Sie ein.« – Dian lachte und sagte: »Ich fall' ein. In Italien aber fängt die Fahrt gleich südlicher und westlicher an.« Albano schwieg verdrüßlich und bereuete, daß er Linda zu diesem ungewissen Feste bereden helfen. Die Fürstin warf einige schnelle Blicke der Verachtung auf die betrogne Linda, und diese antwortete darauf mit gleichen; ausgezeichnete Weiber verraten ihr Geschlecht am meisten im feindlichen Zusammenstoßen mit ausgezeichneten.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 740-745.
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