22. Summula

[193] Nießiana


Herr von Nieß lud auf abends gegen ein unbedeutendes Einlaßgeld die Badegesellschaft zu seinem musikalischen Deklamatorium des besten Theudobachischen Stückes, betitelt »Der Ritter einer größern Zeit«, auf Zetteln ein, die er schon fertig gedruckt mitgebracht hatte, bis auf einige leere Vakanz-Rahmen oder Logen, welche er mit Inhalt von eigner Hand besetzen wollte. Funfzig solcher Zettel ließ er austeilen und sagte mit inniger Liebe gegen jeden und sich: »Warum wollt' ich so vielen Menschen aus entgegengesetzten Winkeln Deutschlands, denen ein Buchstabenblättchen von mir vielleicht eine ewige Reliquie ist und zwei geschriebene Worte vielleicht mehr als tausend gedruckte von mir, warum sollt' ich ihnen diese Freude nicht mit nach Hause geben?«

Aber aus Liebe gegen Theoda, die dem Dichter als einem Sonnengott wie eine Memnonstatue zutönte mit heitern Nachtmusiken und Ständchen, setzte er sich nieder und schrieb, um ihr[193] den Aufschub seiner Götter-Erscheinung oder seines Aufgangs zu versüßen, eigenhändig in Theudobachs Namen ein Briefchen an Herrn von Nieß, worin er sich selber als einem Freund berichtete: »er komme erst abends in Maulbronn an, doch aber, hoff' er, nicht zu spät für den Besuch des Deklamatorium; und nicht zu früh, wünsch' er, für unsre Dame.« Er steckte dies Blättchen in einen mit der Bad-Post angelangten Briefumschlag und ging zu Theoda mit entzücktem Gesicht. Daß er nicht log, war er sich bewußt, da er eben vorhatte, unter dem Deklamieren (um das Loben ins Gesicht zu hemmen) aufzustehen und zu sagen: ach nur ich bin selber dieser Theudobach. Ehe der Edelmann kam, hatte sie eben folgendes ins Tagebuch geschrieben: »Endlich bin ich da, Bona, aber niemand anders (außer einige Schocke Badegäste), sogar auf der Badeliste fehlt er. Bloß in der Großpoleischen Zeitung wird er gewiß angekündigt. Ich wollte, ich hätte nichts, worhinter ich mich kratzen könnte; aber die Ohren müssen mir lang auf der Fahrt gewachsen sein, weil ich so fest voraussetzte, der erste, auf den man vor der Wagentüre stieße, sei bloß der Poet. Wohin ich nur vom Fenster herabblicke auf die schönen Badegänge: so seh' ich doch nichts als den leeren Stickrahmen, worauf ihn meine Phantasie zeichnet, nichts als den Paradeplatz seiner Gestalt und sein Throngerüste. Wahrlich so wird einem Mädchen doch so ein Mensch, den man liebt, es mag nun ein Bräutigam oder ein Dichter sein, zu jedem Gestirn und Gebirg, gleichsam zum Augengehenk, und hinter allen steckt der Mensch, daß es ordentlich langweilig wird. Man sollte weniger nach einem Schreiber fragen, da man ja an unserm Herrgott genug hätte, der doch das ganze Schreiber-Volk selber geschaffen.

Ich merke wohl, ich werde allmählich eher toller als klüger; am besten schreib' ich dir nichts mehr über mein Aufpassen, als bis der Messias erschienen ist; denn ausstreichen, was ich einmal an dich geschrieben, kann ich aus Ehrlichkeit unmöglich; ich sage dir ja alles und nehme mir kein Blatt vors Maul, warum ein Blatt vors Blatt...«

Da erschien Nieß und wollte seine eben erhaltene Nachricht[194] übergeben. Sie empfing ihn, in der vaterlosen Einsamkeit, mit keinem größern Feuer, wie er doch gedacht, sondern mit einigem Maireif, der aus dem Tagebuche auf das Gesicht gefallen war. Sofort behielt er seine Selbbriefwechsel in der Tasche und beschenkte sie und ihren abwesenden Vater bloß mit der Einladung, mittags seine Gäste und abends seine Zuhörer zu sein. Auch wunderte er sich innerlich sehr, warum er nicht früher darauf gefallen, ihr das Blättchen erst an der Tafel zu geben und dadurch der Tafel zugleich; »ein Briefwechsel mit dem Dichter selber« (dacht' er) »müßte, sollt' ich denken, dem Deklamator desselben vorläufige Ehre und nachlaufende Zuhörer eintragen.«

Eben versprach Theoda seinem Tische sich und ihren Vater, als dieser eintrat und das Nein vorschüttelte und sagte: er habe sich dem Handwerkgesellen Strykius versprochen, um das Band der Freundschaft immer enger zusammen zu ziehen bis zum Ersticken; das Mädchen könne aber tun, was es wolle. Dies tat sie denn auch und blieb ihrem Wort und Nießen getreu. Sie saß nämlich, damit ich alles erkläre, an öffentlichen Orten gern so weit als tunlich von ihrem Vater ab, als Tochter und als Mädchen; sie kannte seine Luthers-Tischreden. Der Edelmann wendete diese Wendung ganz anders: »O! sie hat schon recht, die Zarte,« dacht' er; »jetzt in Gegenwart eines Fremden, nämlich des Vaters, verbirgt sie ihre Wärme weniger; neben dem einsamen Geliebten scheuet die einsame Liebende jedes Wort zu sehr und wartet auf fremde kühlende Nachbarschaft; o Gott, wie er rat' ich dies so sehr und doch leider mich kein Hund!«

Endlich, hoff' ich, ist Hoffnung da, daß mittags gegessen wird in Maulbronn, in der 23sten Summel.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 193-195.
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