§ 19
Ruhe und Heiterkeit der Poesie

[77] Heitere Ruhe ist die dritte Farbe der Griechen. Ihr höchster Gott wurde, ob er gleich den Donner in der Hand hatte, (nach Winckelmann) stets heiter abgebildet. Hier ziehen wieder Ursachen und Wirkungen organisch durcheinander. In der wirklichen Welt sind Ebenmaß, Heiterkeit, Schönheit, Ruhe wechselnd füreinander Mittel und Folgen; in der poetischen ist jene frohe Ruhe sogar ein Teil oder eine Bedingung der Schönheit. Unter den äußern Ursachen jener griechischen Freude gehören außer den hellern Lebensverhältnissen und der steten öffentlichen Ausstellung der Poesie – denn wer wird zu öffentlichen Festspielen und vor einer Menge düstere Schattenwelten vorführen? – noch die Bestimmung für Tempel. Der griechische zärtere Sinn fand vor Gott nicht die enge Klage, welche in keinen Himmel, sondern ins dunkle Land der Täuschung gehört, aber wohl die Freude anständig, welche ja der Unendliche mit den Endlichen teilen kann.

Poesie soll, wie sie auch in Spanien sonst hieß, die fröhliche Wissenschaft sein und wie ein Tod zu Göttern und Seligen machen. Aus poetischen Wunden soll nur Ichor fließen, und wie die Perlenmuschel muß sie jedes ins Leben geworfene scharfe oder rohe Sandkorn mit Perlenmaterie überziehen. Ihre Welt muß eben die beste sein, worin jeder Schmerz sich in eine größere Freude auflöset und wo wir Menschen auf Bergen gleichen, um welche das, was unten im wirklichen Leben mit schweren Tropfen auffällt, oben nur als Staubregen spielet. Daher ist ein jedes Gedicht unpoetisch, wie eine Musik unrichtig, die mit Dissonanzen schließet.

Wie drückt nun der Grieche die Freude in seiner Dichtkunst aus? – Wie an seinen Götter-Bildern: durch Ruhe. Wie diese hohen Gestalten vor der Welt ruhen und schauen: so muß der Dichter und sein Zuhörer vor ihr stehen, selig-unverändert von der Veränderlichkeit. Tretet einmal in einen Abgußsaal ihrer Götter-Bildsäulen. Die hohen Gestalten haben Grabes-Erde und[77] Himmels-Wolke abgeworfen und decken uns eine selig-stille Welt auf in ihrer und in unserer Brust. Schönheit bewegt sonst im Menschen den Wunsch und die Scheu, wenn auch nur leise; aber die ihrige ruht einfach und unverrückt wie ein blauer Äther auf der Welt und Zeit; und nur die Ruhe der Vollendung, nicht der Ermüdung stillt ihr Auge und schließt den Mund. Es muß eine höhere Wonne geben als die Pein der Lust, als das warme weinende Gewitter der Entzückung. Wenn der Unendliche sich ewig freuet und ewig ruhet, so wie es am Ende, es mögen noch so viele ziehende Sonnen um gezogne Sonnen gehen, eine größte geben muß, welche allein still schwebt: so ist die höchste Seligkeit, d.h. das, wornach wir streben, nicht wieder ein Streben nur im Tartarus wird ewig das Rad und der Stein gewälzt –, sondern das Gegenteil, ein genießendes Ruhen, das far niente der Ewigkeit, wie die Griechen die Inseln der Seligen in den westlichen Ozean setzten, wo die Sonne und das Leben zur Ruhe niedergehen. Die alten Theologen kannten das Herz besser, wenn sie die Freude der Seligen, gleich der göttlichen, in ewiger Unveränderlichkeit und im Anschauen Gottes bestehen ließen und uns nach den eilf irdischen beweglichen Himmeln einen letzten festen gaben.42 Wie viel reiner ahneten sie das Ewige, obwohl Unbegreifliche als die Neuern, welche die Zukunft für eine ewige Jagd durch das Weltall ausgeben und mit Vergnügen von den Sternsehern immer mehre Welten als Kauffahrteischiffe in Empfang nehmen, um sie mit Seelen zu bemannen, welche wieder auf Schiffen anlanden, und mit neuen immer tiefer in die Schöpfung hineinsegeln; so daß, wie in einem Konzert, ihr Adagio des Alters oder Todes zwischen dem jetzigen Allegro und dem künftigen Presto steht. Heißet das nicht, da alles Streben Kampf mit der Gegenwart ist, ewigen Krieg ausschreiben statt ewigen Frieden und, wie die Sparter, auch Götter bewaffnen?

In Satyrs und in Porträts legten die Alten die Unruhe, d.h. die Qual des Strebens. Es gibt keine trübe Ruhe, keine stille Woche des Leidens, sondern nur die des Freuens, weil auch der[78] kleinste Schmerz regsam und kriegerisch bleibt. Eben die glücklichen Indier setzen das höchste Glück in Ruhen, eben die feurigen Italiener reden von dolce far niente. Pascal hält den Menschen-Trieb nach Ruhe für eine Reliquie des verlornen göttlichen Ebenbildes.43 Mit Wiegenliedern der Seele nun zieht uns der Grieche singend auf sein großes glänzendes Meer, aber es ist ein stilles.

42

Nach den alten Astronomen kreiseten II Himmel übereinander, der 12te oder kristallene stand.

43

Es ist dasselbe, wenn Fr. Schlegel »göttliche Faulheit und Glück des Pflanzen- und Blumenlebens« preiset; nur daß er sich dabei an seinem wörtlichen Übermute und an dessen entgegengesetzten Wirkungen zu sehr erfreuet.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 77-79.
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