§ 29
Unterschied der Satire und des Komischen

[115] Das Reich der Satire stößet an das Reich des Komus – das kleine Epigramm ist der Markstein –; aber jedes trägt andere Einwohner und Früchte. Juvenal, Persius und ihresgleichen stellen lyrisch den ernsten moralischen Unwillen über das Laster dar, mithin machen sie ernst und erheben uns; selber die zufälligen Kontraste ihrer Malereien verschließen dem Lachen durch Bitterkeit den Mund. Hingegen das Komische treibt mit dem Kleinen des Unverstandes sein poetisches Spiel und macht heiter und frei. Die verspottete Unmoralität ist kein Schein, aber die verlachte Ungereimtheit ist ein halber. Torheit ist zu schuldlos und unverständig für den Schlag der Satire, so wie das Laster zu häßlich für den Kitzel des Lachens? obgleich an jener die unmoralische Seite verhöhnet und an diesem die unverständige belacht werden mag. Schon die Sprache setzt Hohn, Spott, Stachelschrift, Hohnlachen[115] scharf dem Scherzen, Lachen, Lustigmachen entgegen. Das satirische Reich ist, als die Hälfte des moralischen, kleiner, weil man nicht willkürlich verhöhnen kann; das lachende ist unendlich groß, nämlich so groß als das des Verstandes oder der Endlichkeit, weil zu jedem Grade sich ein subjektiver Kontrast erfinden lässet, der kleiner macht. Dort findet man sich sittlich angefesselt, hier poetisch freigelassen. Der Scherz kennt kein anderes Ziel als sein eignes Dasein. Die poetische Blüte seiner Nesseln sticht nicht, und von seiner blühenden Rute voll Blätter fühlt man kaum den Schlag. Es ist Zufall, wenn in einem echt komischen Werke etwas satirisch scharf ausschlägt; ja man wird davon in der Stimmung gestört. Wenn in Lustspielen die Spieler zuweilen aufeinander ernste Satiren sagen: so unterbrechen sie das Spiel durch die moralische Wichtigkeit, die sie dadurch einander verleihen.

Werke, worin der satirische Unwille und der lachende Scherz, wie oft in der Philosophie Vernunft und Verstand, ineinander gemengt und verwirret sind, z.B. Youngs Satiren und Popos Dunciade, quälen mit dem gleichzeitigen Genusse entgegengesetzter Tonarten. Lyrische Geister werden daher leicht satirisch, z.B. Tacitus, J. J. Rousseau, Schiller in Don Carlos, Klopstock69, Herder; aber epische sind leichter komisch, besonders für die Ironie und die Komödie. Die Vermengung beider Gattungen hat eine moralische Seite und Gefahr. Belacht man das Unheilige, so macht man es mehr zu einer Sache des Verstandes; und das Heilige wird dann auch vor diesen unechten Richterstuhl gezogen. Züchtigt die Satire den Unverstand, so muß sie in Ungerechtigkeit übergehen und dem Willen das schuld geben, was der Zufall und Schein verbricht. Hier sündigen englische Satiriker; dort deutsche und gallische Komödienschreiber, welche den Ernst des Lasters in ein Lustspiel verkehren.

Leicht ist indes der Übergang und die Vermischung. Denn da der moralische Zorn der Satire sich gegen die beiden Sakramente des Teufels, gegen den moralischen Dualismus, nämlich gegen die Lieblosigkeit und gegen die Ehrlosigkeit zu kehren hat: so[116] wird sie im Kriege gegen die letzte dem Scherze begegnen, der die Eitelkeit am Unverstande beleidigt im Gefechte mit diesem. Die Persiflage des Welttons, eine rechte Mittlerin zwischen Satire und Scherz, ist das Kind unserer Zeit.

Je unpoetischer eine Nation oder Zeit ist, desto leichter sieht sie Scherz für Satire an, so wie sie nach dem vorigen umgekehrt die Satire mehr in Scherz verwandelt, je unsittlicher sie wird. Die alten Eselsfeste in den Kirchen, der Geckenorden und andere Spiele der poetischern Zeit würden sich jetzo zu lauter Satiren ausspinnen70; statt des unschuldigen Gewebes der Seidenraupe, welche daraus als Schmetterling fliegt, ist ein Kankergespinste geworden, das eine Mücke fangen soll. Der Scherz fehlt uns bloß aus Mangel an – Ernste, an dessen Stelle der Gleichmacher aller Dinge, der Witz, trat, welcher Tugend und Laster auslacht und aufhebt. Daher kann sich gerade die persiflierende Nation am wenigsten im Humor und poetischen Komischen mit der ernsten britischen messen. Der freie Scherz wird in Paris, wie an Höfen, gefesselte Anspielung; so wie die Pariser sich durch ihre witzige Anspielung-Sucht sowohl die Freiheit als den Genuß der ernsten Dichtungen rauben. Daher haben die gravitätischen Spanier mehr Lustspiele als irgendein Volk und oft zwei Harlekine in einem Stück.

Ja der Ernst beweiset als Bedingung des Scherzes sich sogar an Individuen. Der ernste geistliche Stand hatte die größten Komiker71, Rabelais, Swift, Sterne, Young in gehöriger Ferne, Abraham a Santa Clara in noch größerer und Regnier, ja es läßt in der größten sich noch ein Pfarrsohn anführen. Man bestätigt[117] sich diese fruchttragende Einimpfung des Scherzes in den Ernst noch mehr durch Nebenblicke. Z.B. ernste Nationen hatten den höhern und innigern Sinn für das Komische; der ernsten Briten nicht zu gedenken, so haben die ebenso ernsten Spanier mehre Komödien (nach Riccobini) geliefert als Italiener und Franzosen zusammengerechnet. So stand (nach Bouterwek) das spanische Lustspiel gerade unter den drei Philippen von 1556 bis 1665 in Blüte und Glanz; und unter Albas Umhermorden an den Niederlanden wurde von Cervantes im Kerker Don Quixote geboren und von Lope de Vega, einem Familiare der Inquisition, die Luststücke gemacht. – Führt man diese historischen Zufälligkeiten ohne Anmaßung eines scharfen Entscheidens an: so kann man vielleicht fortfahren und sogar dazusetzen, daß das trübe Irland meisterhafte Komiker – die mithin eine große Zahl anderer, wenn auch nur geselliger voraussetzt – gezeugt, von welchen nach Swift und Sterne noch der Graf Hamilton zu nennen, welcher, wie der berühmte Pariser Carlin, so still und ernst im Leben gewesen. Endlich steigert sich an den Jahren Humor, Ironie und jede komische Kraft, und mitten in der kalt nebelnden Trübe des Alters spielt wie ein Nachsommer die komische Heiterkeit sich heiter ein.

Mit dem alten Kernernste ging den Deutschen – zuerst im lustigen Leipzig – der Hanswurst verloren. Gleichwohl wären wir vielleicht alle noch ernsthaft genug für einen oder den andern Spaß, wenn wir mehr Staat-Bürger (citoyens) als Spieß-Bürger wären. Da nichts öffentlich bei uns ist, sondern alles häuslich: so wird jeder rot, der nur seinen Namen gedruckt sieht, und ich erinnere mich, daß der Verfasser dieses, als er den Verlust seiner Patentschnalle auf der Redoute ins Wochenblatt setzen ließ, statt seines Namens bloß beifügte: »bei wem? erfährt man im Intelligenzkomptoir.«[118]

Da bei uns nur der Stand die öffentliche Ehre genießet, nicht, wie in England, das Individuum: so will dieses auch nicht den öffentlichen Scherz erdulden. Keine deutsche Frau ließe, wie jene Britin, ihre abgeschnittene Locke zu einem Heldengedichte verspinnen – außer zu einem ernsten –, und noch weniger ließe sie sich Popens scherzende Zuneigung, d.h. dessen bedingtes Lob gefallen. Der Deutsche denkt unsäglich diskret. Wird z.B. etwas Biographisches und Nekrologisches an Schlichtegroll eingesandt: so liefert ihm die Familie vielleicht mehre Familien-Geheimnisse des Menschengeschlechts, nämlich des Toten Tod, Geburt, Hochzeittag und Amtsjahre mit einer gewissen Freimütigkeit aus, desgleichen die Nachrichten, daß der Mann ein guter Vater, treuer Freund und sonst das Beste gewesen. Es soll aber ins Paket eine einzige Anekdote hineingeraten sein, welche den Seligen oder einen aus dem Städtchen in einem saubern Schlafrock aufgestellt und nicht in Silber und Seide: so lässet die Familie das Paket wieder holen von der Post und zieht die Anekdote heraus, um nichts zu kompromittieren. Nicht nur wird keine deutsche Familie den Kopf ihres Vaters abschneiden und an den Doktor Gall abschicken zu Kupferstichen (und niemand wird hier gern einen an dem Kopf abliefern als seinen eignen), sondern sie würd' es auch nicht gerne sehen, wenn sie Voltaires Familie wäre, daß der Redakteur des Citoyen Français, le Maire, einen Zahn des alten bissigen Satirikers in goldner Fassung am Finger trägt; »warum soll« – würde die Familie sagen – »unser guter Großvater sich auf allen Straßen und Gassen umtreiben und seinen Hundszahn, der seiner Familie angehört, vor aller Welt aufdecken, zumal da der Zahn den Fraß hat und andere Makel?« –

69

In seiner Gelehrten-Republik.

70

Man erlaube mir, aus dem Neujahrs-Taschenbuch 1801 folgende Stelle aus meinem eignen Aufsatze abzuschreiben: »Gerade in die andächtigsten Zeiten fielen die Narren- und Eselsfeste, die Mysterienspiele und die Spaßpredigten am ersten Ostertage, bloß weil da das Ehrwürdige noch seinen weitesten Abstand von diesen Travestierungen behauptete, wie der xenophontische Sokrates vom aristophanischen. Späterhin verträgt die Zweideutigkeit des Ernstes nicht mehr die Annäherung des Scherzes, so wie nur Verwandte und Freunde, aber nicht Feinde einander vor den komischen Hohlspiegel führen dürfen.« –

71

Die meisten und besten Bonmots fallen auf Geistliche und auf Schauspieler; – auf diese noch besonders darum, weil ihre Bühne die dunkle Kammer und kleine Welt der ganzen ist und folglich alle komischen Kombinationen dieser, zumal durch den Schein- und Vexier-Apparat der großen, so sehr zusammendrängt, daß in Hogarths Komödianten nicht sowohl der Reichtum als die Enthaltsamkeit in witzigen Vermählungen herauszuheben ist; – beide aber bieten gemeinschaftlich durch die Höhe ihrer wahren und ihrer scheinbaren Verhältnisse dem Zufall die größeren Kontraste dar. So war im christlichen Mittelalter in allen Ländern gerade die dunkelfarbige Geistlichkeit das ausersehene Schwarz der satirischen Zielscheiben.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 115-119.
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