§ 44
Der unbildliche Witz

[173] Der ästhetische Witz, oder der Witz im engsten Sinne, der verkleidete Priester, der jedes Paar kopuliert, tut es mit verschiedenen Trauformeln. Die älteste, reinste ist die des unbildlichen Witzes durch den Verstand. Wenn Butler die Morgenröte nach der Nacht mit einem rotgekochten Krebse vergleicht – oder wenn ich sage: Häuser und Baßnoten beziffern – oder dies: Weiber und Elefanten fürchten Mäuse: so ist die Vergleichwurzel keine bildliche Ähnlichkeit, sondern eine eigentliche, nur daß solche Verhältnisse nicht, wie die des ökonomischen Witzes, sich als Vorder- oder Hintersätze in Reih und Glieder stellen, sondern wie Statuen allein und müßig stehen. Zu dieser Klasse gehört der spartische und attische Witz; z.B. folgender des Kato: »Es ist besser, wenn ein Jüngling rot als blaß wird; Soldaten, die auf dem Marsche die Hände, und in den Schlachten die Füße bewegen und die lauter schnarchen als schreien«119 – oder der Witz jener spartischen Mutter: »Komme entweder mit oder auf dem Schilde.« Woraus entsteht nun das Vergnügen über diesen Lichtzuwachs? Nicht aus dem Beisammenstande, z.B. im obigen Beispiele der »Weiber und Elefanten« – denn in der Naturgeschichte werden aus anderem Grunde beide oft Nachbarn –; aber auch nicht aus dem bloßen Gesamt-Prädikat der Maus-Scheu für zwei getrennte Wesen; denn im naturhistorischen Artikel von Mäusen könnten beide Fürchtende im breiten Raume aufgestellt werden; und man dächte an nichts. Welche fremdartige Ideen stehen nicht oft unter der Fahne eines Wortes verbunden in einem Lexikon, wie[173] z.B. Weber-Schiffe, Krieg- und andere Schiffe! Wird man darum sagen, der lexikographische Adelung stecke voll Witz? Sondern der ästhetische Schein aus einem gleichwohl unbildlichen Vergleichpunkt entsteht bloß durch die taschen- und wortspielerische Geschwindigkeit der Sprache, welche halbe, Drittel-, Viertel-Ähnlichkeiten zu Gleichheiten macht, weil für beide ein Zeichen des Prädikats gefunden wird. Bald wird durch diese Sprach- Gleichsetzung im Prädikat Gattung für Unterart, Ganzes für Teil, Ursache für Wirkung oder alles dieses umgekehrt verkauft und dadurch der ästhetische Lichtschein eines neuen Verhältnisses geworfen, indes unser Wahrheitgefühl das alte fortbehauptet und durch diesen Zwiespalt zwischen doppeltem Schein jenen süßen Kitzel des erregten Verstandes unterhält, der im Komischen bis zur Empfindung steigt; daher auch die Nachbarschaft des Witzes und des Komus kommt. Z.B. »Ich spitzte Ohr und Feder,« sagt ein Autor; hier wird für ganz verschiedene Arten zu spitzen ein Wort gefunden, denn Ohr und Feder selber sind oft genug ohne Witz beisammen. Wenn ein Franzose sagt: »viele Mädchen, aber wenige Frauen haben Männer«: so bringt er diese Entgegensetzung nur durch das Wort haben zustande, das als Prädikat der Gattung und der Art zugleich in umgekehrtem Verhältnis beiden zugeschrieben wird.

Voltaire kann in seinen Briefen an den König gar nicht davon loskommen, daß dieser der Welt zugleich Verse lieferte und Schlachten.... In dieser Sekunde geb' ich ein Beispiel, indem ich über eines rede: ich bemerk' es aber nur der Stellung wegen; »Verse liefern« steht nämlich voran als das ungewöhnlichere, worauf, wenn einmal der Zuhörer dieses angenommen, das gewöhnliche »Schlachten liefern« leichter eingeht; hätt' ichs umgekehrt, so hätt' er geglaubt (und mit Recht), ich hätte mühsam die eine Lieferung zur zweiten genötigt.... Sagte nun Voltaire bloß, Friedrich II. sei ein Krieger und Dichter: so wollt' es eben nicht viel sagen; nur würde folgendes noch weniger bedeuten: »Du setztest während des siebenjährigen Krieges verschiedene Gedichte in französischer Sprache auf.« Schon mehr ist: »Er kriegt und schreibt,« aber auch unrichtiger; denn schreibt als das[174] Bestimmtere enthält weniger als kriegt. – Noch mehr ist: »er belehrt, was er bekriegt«; denn im bekriegt stecken Städte, Pferde, Kornfelder etc., im belehrt nur Geister; dort ist das Ganze, hier der Teil, und beide werden gleichgesetzt. – Dieses geht ins Unendliche, wenn man gar bis zum Messen der Silben und Soldaten, zum englischen Bereiter-Wechsel zwischen Buzephalus und Pegasus gehen will. Hier wächst die Kürze und der Trug und der Zwist; von zweien weniger verschiedenen Ganzen (Krieg- und Dichtkunst, die im allgemeinen Begriff Kraft, ja Phantasie zusammenlaufen) werden Teilchen der Teile (Silben und Soldaten), also die unähnlichsten Unähnlichkeiten als Exponenten und Stellvertreter jener Ganzen ausgehoben, um diese Unähnlichkeiten und folglich ihre Ganzen einem einzigen, nur den Teilen bestimmten Prädikate (messen) gleichzumachen, das zugleich geometrisch und arithmetisch oder akustisch genommen wird. – Wenn nun der Verstand eine solche Reihe von Verhältnissen auf die leichteste, kürzeste Weise während der dunkeln Perspektive einer andern wahren zugleich zu überschauen bekommt: könnte man dann nicht den Witz, als eine so vielfach und so leicht spielende Tätigkeit, den angeschaueten oder ästhetischen Verstand nennen, wie das Erhabene die angeschauete Vernunft-Idee und das Komische den angeschaueten Unverstand? Auch würd' ich nicht fragen, ob man könnte, wenn man nicht müßte. Oder man könnte auch Witz den sinnlichen Scharfsinn nennen und folglich Scharfsinn den abstrakten Witz.

119

Er meint das Schlachtgeschrei.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 173-175.
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