§ 47
Die Antithese

[179] Zum Reflexion-Witze gehört die Antithese, aber die rein unbildliche; denn bei den Franzosen ist sie meistens halb unbildlich, halb aber – denn die Einbildungkraft reißet sie dahin – in einem oder dem andern Worte bildlich: z.B. que ces arbres réunis soient de nos feux purs et l'asyle et l'image. – Die Antithese setzt Sätze, meistens die Ursache der Wirkung und diese jener, entgegen. Ein Subjekt erhält widersprechende Prädikate, so wie oben ein Prädikat widersprechenden Subjekten zufiel. Auch dieser ästhetische Schein entspringt durch das Volteschlagen der Sprache. Wenn Youngs Witz von einem, der den Zerstreueten spielen will, sagt: »Er macht sich einen Denkzettel, um etwas zu vergessen,« so würde die Wahrheit sagen: er macht sich einen, um sich zu erinnern, daß er den Schein annehmen wolle, etwas zu vergessen.[179] Fein versteckt sich oft die Unwahrheit der Entgegensetzung in die Sprache: z.B. »Die Franzosen müssen entweder Robespierres Richter oder seine Untertanen werden.« Denn den Richtern wird nur die gerichtete Partei, den Untertanen nur der Herrscher entgegengesetzt; aber nicht Richter den Untertanen.

Um einem antithetischen Satz Dasein, Licht und Kraft zu geben, wird oft französischerseits ein ganz gemeiner thetischer vorangetrieben. »Ich weiß nicht124«, sagte ein Franzose mit uralter Wendung, »was die Griechen von Eleonoren gesagt hätten; aber von Helenen hätten sie geschwiegen.« – Am weitesten, nämlich bis zur Sinn- und Ruchlosigkeit, trieb Voltaire diese matte Wendung, wenn er von Fenelon bei Gelegenheit des Jansenisten-Streites sagte: »Ich weiß nicht, ob Fenelon ein Ketzer durch die Behauptung ist, daß die Gottheit um ihrer selber willen zu lieben sei; aber ich weiß, daß Fenelon verdiente, um seiner selber willen geliebt zu werden.« Dies führt wieder d'Alembert in seiner Lobrede auf Fenelon als eine schöne von Voltaire an. – »Ich will lieber,« sagte der zweite Kato, »daß man mich frage, warum ich keine Statue bekommen, als warum ich eine.« Kato würde hier, wie ich oben, ohne das Rochieren der Sätze weniger glänzen und siegen; ich meine, er würde mit seinem Einfalle weniger auf die Nachwelt und deren Nachwelt eingeschlagen haben, hätt' er den Blitz nach dem Donner gebracht und die Phrasis so gekehrt: »Es ist mir unangenehmer, wenn jemand fragt: warum ich eine Statue bekommen« – »Natürlich,« (würden die Nachwelten ihn unterbrochen haben) »allein wir sehen nur nicht ein, warum du dergleichen erst sagst.« – Worauf er denn fortführe und mit dem zweiten bessern Satze abgemattet nachkäme. So sehr siegt überall bloße Stellung, es sei der Krieger oder ihrer Sätze.

Am schönsten ist die Antithese und steigt am höchsten, wenn sie beinahe unsichtbar wird. »Es braucht viel Zeit,« sagt Gibbon, »bis eine Welt untergeht – weiter aber auch nichts.« Im ersten thetischen, nicht unfruchtbaren Satze wurde Zeit als bloße Begleiterin[180] einer unbekannten Welten-Parze aufgeführet; – auf einmal steht sie als die Parze selber da. Dieser Sprung der Ansichten beweiset eine Freiheit, welche als die schönste Gabe des Witzes künftig uns nähertreten soll.

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Wenn uns Franzosen diese antithetische Wendung bis zum Ekel vorgemacht haben: so kommen noch die deutschen Affen und machen uns dieses Vormachen wieder nach.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 179-181.
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