§ 82

[294] Über Katachresen


Ich wünschte, man könnte die laue Metapher von der Waagschale hergenommen, z.B. »meine Schale stieg,« zur Katachrese verurteilen und den Satz behaupten: daß man dabei aus der Metapher der Schwere in die fremde des Steigens gerate. Indes gibt es Waren, z.B. die indischen Musseline, welche man eben nach der Leichtigkeit und dem Steigen schätzt. Durch dieses Doppel-Gewicht von einer Schnellwaage wird aber die Metapher so verdorben, daß man bei dem Worte »meine Schale stieg« gerade unter entgegengesetzten Sinnen die Wahl hat und nichts erfährt, wenn nicht alle Autoren sich zusammenschlagen und sich bereden, wie noch angesehenere Leute nichts auf der Waage steigen zu lassen als das – Schlechte. – Auch bei der seiltänzerischen Metapher »auf des andern Schultern stehen und mehr wissen« hebt die Phantasie die langen Menschenreihen mühsam eine nach der andern auf eine höhere Schulter und muß geplagt die aufgerichtete Wesenleiter halten, um sie anzuschauen.

Mit jedem Jahrhundert verliert eine Flur von Dichter-Blumen[294] ihre lebendige blühende Gestalt und vermodert zu toter Materie, z.B. die Bilder Geschmack, Verdauen, Aussicht, Ton, Berg, Gipfel. Besonders verflüchtigen sich gerade die Metaphern der gröbern Sinne, z.B. hart, rauh, scharf, kalt, zuerst und werden abstrakte Geister, eben weil der gröbere Sinn der dunklere ist, indes das helle Auge seine hellen Gestalten in größerer Ferne verfolgt und bewacht. Aber auch hier verfliegt, was oft erscheint; so selber das Licht, tiefe Finsternis. Der Gipfel schlägt bloß durch ein W (Wipfel) wieder körperlich und grünend aus.

Diese öftere Wiederkehr macht ein Körper-Wort oft so durchsichtig, daß ein Schriftsteller, der immer ein und dasselbe uneigentliche Wort in einer Abhandlung gebrauchen muß, leicht dessen eigentliche Bedeutung vergißt. Ich war oft nahe daran, in dem vorhergehenden Paragraphen die Bilder sprechen, fliegen, atmen, duften zu lassen. Ja der sonst kalte Fontenelle, der mehr über sich wachte in solchen Fällen als ich, gebraucht in seinen Réflexions sur la Poëtique die Katachrese: les semences de dénouement sont renfermées dans le premier acte; – desgleichen faire éclorre le dénouement nicht zu gedenken.

Auch Adelung herrschte über das Feuer, womit er schreibt, nicht immer so strenge, daß ihm nicht in den beiden Bänden über den Stil Stellen wie folgende im 2. S. 153 entfahren wären: »daher erscheint in einem heftigen Affekte so vieles abgebrochen; daher fehlen hier die gewöhnlichen Verbindungwörter, und dort werden sie wieder gehäuft, wo nämlich ein Schimmer des Verstandes den raschen Gang der Ideen aufhalten und ein besonderes Gewicht auf diesen oder jenen legen will« – oder S. 181: »das Kriechende findet nur dann statt, wenn der Ton unter den Horizont der jedesmaligen Absicht hinabsinkt.« Da nun grünes Holz schon brennt, so entschuldige er das Flammen des dürren.

Wenn Herder sagt: der Geschmack blüht, so hat er mehr recht als ein anderer, der das stehende Wasser einer verlebten Metapher noch mit der grünen Materie einer neuen Allegorie überziehen wollte. Ebenso, wenn Engel kühn genug sagt: der süße Wohllaut, so ist die Kühnheit hier sogar zu empfehlen, ja zu wünschen, daß[295] man das Beiwort süß statt des langen unangenehmen angenehm bei unserer Armut an Genuß-Beiwörtern überall ohne Katachresen-Strafe gebrauchen dürfte, z.B. eine süße Stadt, ein süßer Knecht eines süßen Herrn.

Der Verfasser brachte in seinem Wörterbuch, wenn er die Partizipien wie jauchzend, lebend etc. ausließ, nicht so viele Freuden-Beiwörter (wie etwan froh, wonnig) zusammen, als wir gewöhnlich Ahnen, Winde und Zähne zählen.

Aber eben dieses tägliche Aussterben der Sprech-Blumen muß uns größern Spielraum zur Nachsaat an weisen. Die Zeit mildert alles und vertreibt grelle Farben. »Organisation eines Landes« wäre uns sonst so widrig vorgekommen als jetzo eine generatio aequivoca desselben; aber durch die korrekten Franzosen sind wir so sehr daran gewöhnt, daß sogar kalte Staatsmänner die Metapher auf ihren Titelblättern gebrauchen, z.B. Herr Minister von Kretschmann. Jetzo durch die Übung der geistigen Springfüße, durch das leichtere Verbinden aller Ideen, durch den Tauschhandel in allen Teilen des Gehirns und durch ein größeres fortgesetztes Gleich- und Ebenmachen in uns wie außer uns muß die Welt zuletzt mit kühnen Bildern aufhören, so wie sie damit anfing. Rede-Blumen müssen gleich den Tulipanen – wovon man vor Jahren nur die gelbe kannte, jetzo aber 3000 Abarten sich durch ihr gegenseitiges Bestäuben immer vielfarbiger austeilen. Herr von Schönaich verdammte vor 50 Jahren fast lauter Klopstockische Kühnheiten, die wir jetzo – und Lessing früher zu schätzen wissen; und wie man sonst in der Musik Fortschreitungen kaum durch Terzen erlaubte, aber jetzo oft durch Quinten und Oktaven: so werden in der Dichtkunst größere Fortschreitungen durch entferntere Verhältnisse verstattet. Denn es kommt bloß auf zwei Bedingungen an. Erstlich daß das sinnliche Bild sinnliche Anschaulichkeit, nicht aber eben Wirklichkeit habe; z.B. ich kann einen Regen von Funken sinnlich denken; folglich kann Schiller sagen: ein Regen von Wollust-Funken. – Diese Kühnheit gebraucht oft (mißbraucht selten) Schiller; z.B. bei der Ebbe des Herzens betteln; ja noch mehr: 1) Wunden in ein 2) Rosen- 3) Bild 4) bohren; in welcher Redart sich das[296] Gemälde fast aus vier Bildern ohne Tadel bildet. Görres, ein Millionär an Bildern, obwohl als Prosaist, drückt freilich, wenn er jedes Bild zum Hecktaler eines neuen hinwirft, zuweilen auf die Kehrseite seiner Bildmünze ein mit der Vorseite unverträgliches Bild; und ich brauche in dieser Allegorie nur länger fortfahren, so ahm' ich ihn nach. – Adelung (dieser soll uns von Görres heilen) tadelt »das Licht verwelkt« (von Bodmer); warum soll das Entfarben des Verwelkens nicht dem Erblassen des Strahlens gleichen? Tieck sagt: das Licht blüht. Da um so viele Blüten noch weiße sind: so ist diese Kühnheit nur stärkere Richtigkeit. Man müßte folglich auch sagen können – so gut als: der Geschmack blüht –: das Licht einer reinern Kritik blüht, obwohl ein Jahrzehend später. Schwerer fällt aber der Phantasie das Zusammenstellen der zwei unähnlichsten Sinne, des Auges und Ohrs, des sichtbarsten und unsichtbarsten. Tieck lässet nicht nur die Farben klingen – was noch kühn angeht, da vom Sichtbaren ja überall der unsichtbare Geist der Wirkung ausgeht –, sondern auch die Töne glänzen, was noch einen kühnern Sprung ansinnt. Nun aber in die Vermischung zweier Sinnlichkeiten noch gar einen metaphorischen Geist zu legen, folglich zu sagen: »Die Melodien der Sphärenmusik der Dichtkunst glänzen und brennen durch die Welt,« das werd' ich nie wagen, außer hier, wo ich ein geschmackloses Beispiel zu erfinden gehabt.

Das zweite Mittel, ohne Katachresen die Bilder zu wechseln, ist dies, wenn ihre Kürze, die sie mehr zu Farben als Bildern macht, sie in einen Ausdruck vereinigt, wie ein Brennglas die sieben bunten Strahlen des Prisma zu einem Weiß. So sagt z.B. Sturz ganz richtig: »gesellschaftliche Kampfspiele des Witzes, wo man sich flache, klingende, honigsüße Dinge sagt.« Diese von drei Sinnen entlehnten Metaphern legen ihre Widerwärtigkeit in einer Wirkung ab; die Kürze, nicht aber etwan ihre heimliche Verwandlung in eigentliche Bedeutungen söhnt sie untereinander aus. Denn könnt' ich sonst sagen: »Das Leben ist ein Regenbogen des Scheins, eine Komödienprobe, ein fliegender Sommer voll mouches volantes, anfangs ein feuriges Meteor, dann ein wässeriges«? – Ich kann es, denn ich tu' es; der Grund aber liegt im[297] vorigen. Überhaupt ist viel Willkür in den anbefohlnen Fernen, in welchen man verschiedene Metaphern auseinanderhalten soll. Darf man schon im Nachsatze eine neue bringen oder erst in der nächsten Periode? Oder muß in dieser ein uneigentlicher Satz als Schranke da stehen, um die Schlagweite für die neue Metapher leer zu halten? – Oder mehr als einer? – Ja soll man die Metapher in eine immer dünnere leisere Allegorie verklingen oder zu einer stärkern schwellen lassen? Wird aber nicht im ersten Falle die Aufmerksamkeit gegen ein mattes Geräusche von Bildern und Ideen gekehrt; und springt nicht im zweiten der Ton zu straff bei der nächsten Stille ab? – Hier gibt es keine Bestimmung, sondern alles kommt auf den Geist des Werkes an. Kann dieser eine Seele fassen und wie eine Welt durch einen weiten Himmel treiben: dann werdet ihr bei der gewaltsamen Bewegung so wenig einen Schwindel spüren, als das ewige Umrollen der Erde uns einen macht. Schiffet euch aber der Autor in ein enges Marktschiff ein, so daß ihr auf alles um euch her merken und achten müsset, bis zuletzt auf die gedruckten, »Hasenöhrchen«: so schwindelt ihr ekel vor allem, was schnell vorübergeht.

Dasselbe gilt für den Autor. Ist und schwebt er in jener wahren Begeisterung, welche anschauet: so werden seine Blumen von selber zu einem Kranze wachsen, weil das Unmögliche nicht anzuschauen ist. – Ist er aber kalt und tot: so verträgt das Tote alles Ungleichartige, was das Leben ausstieße. Wie Adelung172 schön »die abweichende Schrift einen wohltätigen Zügel für die ihrer Übrigen Stützen beraubte Aussprache« nennt: so nenne ich die Begeisterung jenen Zügel des Geistes ohne Stützen.

Bloß einen Mangel oder Überfluß wendet die anschauende Begeisterung allein nicht ab; nämlich die Polyglotta eines einzigen Gedankens, oder die Vielwortung. So brachten z.B. die verschiedenen Porträts einer und derselben Gestalt aus Wieland folgenden Satz im Agathon heraus: »Wer kennt, eh' ihn seine eigne Erfahrung belehrt hat, alle die geheimen Winkel des Herzens, in deren sicherm Hinterhalte die versteckte Leidenschaft, indessen daß wir von Triumphen träumen, auf Gelegenheiten lauert, uns [298] ungewarnt und unbewaffnet mit verdoppelter Wut zu überfallen?« Denn hätt' er gesagt: »wer kennt eine Leidenschaft, bevor er sie kennt und erfähret,« so wär' es, wenn nicht ebenso kurz, doch ebenso klar gewesen.

172

Dessen Orthographie 2te Auflage S. 32.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 294-299.
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