Erinnerung und Fragen an die Königin

[265] (Im August 1762.)


Vergieb, o Königin! Mein Herz entschliesset sich,

Kommt vor Dein Angesicht getreten,

Verschlinget Deinen Blick, wird kühn und fraget Dich:

Hat schon Dein grosses Herz für mich,

Den Bruder und den Held gebethen?1

Hast Du mein Lied an Ferdinand

In Deinen Brief gehüllt, und also fortgesandt?[266]

Darf ich der armen Bergstadt sagen,

Daß Deine Seele, Königin!

Gerühret sey von ihren Klagen?

Verzeyhst Du mir, daß ich verwegen bin,

Halb ungeduldig Dich zu fragen?


Ach siehe doch, der Herbst entflieht mit kürzern Tagen

Allzugeschwind, und bald verhüllt

Die Sonne sich, mit kalter Wolke!

Wenn denn der rauhe Nord vom Harzgebürge brüllt;

Dann machet er dem armen Volke

Das in dem Bretterhause sitzt,

Die Glieder kalt und starr, daß frommer Andacht Feuer

Kaum noch des Hörers Herz erhitzt.


Frau, ich beschwöre Dich bey allem, was Dir theuer

In Deines Herzens Augen jemals war![267]

Bey Friedrichs Leben! bey dem Leben

Des Prinzen, der nach Ruhm zu streben,

Nicht achtet Kugeln und Gefahr!

Und bey dem Frieden, den das Jahr

Das wir erwarten mit sich bringet!

Bey jeder Heldenthat, die Deinem Ferdinand

Wenn er sie unternimmt, gelinget!

Verschaffe, daß von seiner Hand

Das Haus gebauet wird zu unsers Gottes Preise!

Es bringt dem Helden grössern Ruhm,

Als wenn ein Sieg ihn schmückt mit frischem Lorbeerreise.

Dein Bildniß soll das Heiligthum

An einem hohen Pfeiler schmücken;

Und wenn die Kinder einst neugierig es beblicken,

Denn lobt der Mutter Mund noch Ferdinandens That,

Und rühmt die Königin, die ihren Bruder bath.

Fußnoten

1 Die Dichterin hatte sich unterstanden, vorstehende Klagen und Bitte der Königin Majestät zu überreichen, mit Bitte, solche in einem Brief an des Herzog Ferdinands Durchl. mit einzuschliessen, und mit gnädigster Empfehlung zu begleiten; die großmüthige Königin hatte ihr deßfalls ihr Wort gegeben; hier untersteht sich die Dichterin, sie daran zu erinnern, und man weiß, daß sie mit Gewährung ihrer Bitten von der grossen Königin sowol, als von dem grossen Feldherrn belohnet wurde.


Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 265-268.
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