Ein Wort an den Tod

[325] (Zu Magdeburg den 16ten Jenner 1762.)


O Tod, wie bitter bist du dem,

Der reich war, der sich hier ein ewigs Leben dachte,

Und alle Stunden angenehm

Durch neuerfundne Freuden machte!

Du kommst: sein Flittergold und seine Federbüsche,

Die ihm das Glück, die ihm der Ruhm verschwendrisch gab,

Das alles reissest du mit starkem Arm ihm ab.

Und läg am Sterbebett auf einem Marmortische

Der Zepter über eine Welt,

Und wäre bey die Arzeneyen,

Das Diadem von theurem Stein gestellt:

Doch würde nichts den Menschen mehr erfreuen,

Der itzt in deine Hände fällt.

Doch, Menschenfeind, der alles so vergällt,

Dich zu beschämen, will ich die Geschichte sagen,[326]

Die nicht vor hundert Jahren sich,

Nein, erst vor kurzer Zeit, wahrhaftig zugetragen.


Rosaria war schön, reich, vornehm, jugendlich

Und erst vermählt seit hundert Tagen

An einen Mann, der sie geliebt,

Mehr, als sein Herz, das ihrem Staube,

Nun traurige Besuche giebt!

Krank ward sie und ihr Reiz ward plötzlich der Gewalt

Des Fiebers und der Nichtigkeit zum Raube.

Sie lag. Nicht eine Spur der blühenden Gestalt

Blieb übrig auf den blassen Wangen:

So hängt an Bäumen, die im jungen Frühling prangen,

Ein von dem Frost getödtet Blat,

Das ausser seiner Form nichts mehr behalten hat!


Rosaria mit mattem Blicke

Sah in das ofne Grab, sah in die Welt zurücke:

O alle Freuden waren ihr entflohn!

Nichts mehr für sie! Ihr Auge wandte[327]

Sich heilig zur Religion,

Die himmlisch lächelnd sich zu ihrer Seele wandte

Mit Gütern, die vorher ihr Herz nie recht erkannte;

Und kämpfen mußte sie noch schwer.

Sie suchte lange Trost und lange blieb sie leer,

Fiel in Entzückung, lag tief schlummernd viele Stunden,

Schlug sanft die Augen auf, ward Tag im Angesicht

Und rief mit Freudigkeit: ich habe nun gefunden!

Was fand sie denn, o Tod? – Die Ruhe, welche nicht

Der ganzen Welt Versprechung kann gewähren

Dem Sterbenden, der alles eitel nennt,

Nicht mehr der Erde Götzen kennt

Und Ruhe sucht und Ruhe liegt begehren.

Dann frägt der stärkste Geist, der kühnste Atheist:

Ob Reichthum, Lust und Ehre folgen werden?

Und alle sagen: nein, und alles bleibt auf Erden,[328]

Und allen spottet fromm der Christ.

Dir aber, der du ihm nicht rauh, nicht schrecklich bist,

Reicht er die Hand, wie auf dem Meere

Ein Schwimmender sie reicht dem, der sein Retter wäre.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 325-329.
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