Trostgesang für Neu-Ruppin

bey den Ruinen am 31sten August 1787

[117] Blick auf! blick auf von deinem Aschenhügel,

Hinauf zum Herrn, den keiner fragen darf,

Warum er schnell durch seines Sturmwinds Flügel

In deinen Kranz den Feuerwirbel warf?


Im vollen Schmuck sah dich der Mittag schimmern,

Und traurig sah die Abendsonne sich

Noch einmal um, du lagst bei deinen Trümmern

Verhüllt in Dampf, und weintest bitterlich.
[117]

Gott hört die Brut verlaßner Waldesnester,

Er hört nach Brod auch deine Kinder schreyn;

Er haucht in deine königliche Schwester,

In sein Berlin, den Geist des Mitleids ein.


Blick auf! und schau dahin nach jener Seite,

Da kam der Sturm, gewaltig wie das Meer,

Und stürzte dich zum Staub herab, und heute

Kömmt wie vom Himmel Trost für dich daher.


Da kommen Wagen dir so vollgehäufet1,

Wie Wagen, die das Erndtevolk regiert,

Wenns Weizen, den die Sonnenglut gereifet,

Mit Lobgesang ins frohe Dörfchen führt.


Die Männer und die Frauen frommer Sitte

Die theilten ihren Kleiderschrank mit dir,

Vom Pallast an bis zu der kleinsten Hütte

Herrscht Thätigkeit für deine Hülfbegier.
[118]

Kaum kann der Mai mehr auszuschütteln haben,

Wenn ihn die Zeit sein Füllhorn schwingen läßt;

Kaum giebt der Herbst uns mehr Erquickungsgaben,

Als dir Berlin zum süßen Labefest.


Im Umfang ihrer Mauern wohnet keiner,

Der nicht für dich zum Wohlthun ward gerühet;

Die Nation gedenkt auch thätig deiner,

Die mächtig aus Egypten ward geführt2. –


Nimm was da kömmt, und eile Dank zu sagen

(Im Tempel, den die Flamme nicht berührt)

Der Vaterhand, die dich so hart geschlagen,

Und dir zum Heil die Herzen jezt regiert.


Sie hats der Flamme, hats dem Sturm geboten;

Bis hieher und nicht weiter sollt ihr gehn,

Sie heißt im Glanz, wie auferweckte Todten,

Die Häuser und die Tempel neu entstehn.
[119]

Du wirst es sehn, wirst nicht die Hand verkennen,

Wenn höher dich dein König hebt empor;

Dann werden dich die Schwestern schöner nennen,

Und seliger dich preisen wie zuvor.


Sie seufzen alle mit in deine Klagen,

Und stellen einen edlen Wettlauf an,

Dir wie auf Windesflügeln zuzutragen

Trost, der dich wieder freudig machen kann.
[120]

Fußnoten

1 Es ist bekannt, wie wetteifernd das Mitleid der Berliner sich gegen die verunglückten Ruppiner verhielt; nicht allein die Großen und Edlen, sondern auch die armen Dienstboten trugen zur Unterstützung bei, und wol niemals sahe man die angeborne Güte des menschlichen Herzens so allgemein, als bei dieser traurigen Gelegenheit.


2 Die löbliche Judenschaft.


Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 117-121.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1792)
Die Sapphischen Lieder: Liebesgedichte
Gedichte: Ausgabe 1792

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Elixiere des Teufels

Die Elixiere des Teufels

Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.

248 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon