Skizze einer Epistel

an den Herrn Ober-Consistorialrath Büsching[215] 1

1791.


Ehrwürdiger, und Liebenswerther,

Und immer thätiger, berühmter, großer Mann!

Die Krankheit wüthet oft, wie Dolche, Pfeil und Schwerdter,

Greift aber nicht den Geist, greift nur den Körper an,

In Menschen, die viel Geist besitzen, –

Drei Sommer fanden Dich schon auf der Krankenbahn,

Und doch kannst Du der Welt noch nützen,

Und hast schon viel für sie gethan;

Der junge Morgen kömmt und siehet

Dich heiter in Geschäftigkeit,

Ob gleich der Schlaf vom Auge fliehet,

Der sonst den Kranken Kraft verleiht;

Ob Du gleich unter tausend Büchern

Die Nacht hindurch zu wandeln pflegst,[215]

Und die Geduld im glaubenssichern,

Gott unterworfnem Herzen trägst;

So schonest Du Dich doch mit nichten,

Du giebst ein Beyspiel rund herum,

Und bleibst nun bald ein Viertel-Sekulum

Treu den Direktor-Pflichten

Im Kloster-Stift Gymnasium –

Selbst, da Dirs nicht erlaubt gewesen

Hinab zu gehn im Klassensaal,

Hast Du mit Worten auserlesen,

Was Vaterliebe Dir befahl,

In Deinem eignen Musensaal,

Den Jünglingen gesagt, so munter,

Als wärest Du nicht krank einmal;

Mein Tochtersohn war mit darunter! – u.s.w.[216]

Fußnoten

1 Dieser Skizze sieht man es allzuleicht an, daß sie nicht wegen poetischer Schönheit hier aufgenommen ist, sondern bloß deswegen, weil sie den Charakter des hierdurch angeredeten würdigen Gegenstandes so natürlich und wahr schildert.


Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 215-217.
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