An Ihro Königliche Hoheit

die Prinzessinn Louise,

Tochter des Prinzen Ferdinand von Preußen K.H.

[237] Als diese höchsten Herrschaften Bellevue beziehen wollten.


Den 24. Mai 1785.


Prinzeßin! die so lieblich blühet,

So freundlich ist wie schöner May –

Des nächsten Jahres Frühling siehet

Dich wandeln, wenn der Morgen neu

Des Tannenhaynes Sänger weckte,

Und wie mit Diamanten-Glanz

Der Tau das Ufergras bedeckte,

Da wandelst Du im Blumenkranz;

Und jede Dryas wird sich neigen,

Und jedes Wiesenblümchen Dir

Demüthig sich zu Füßen beugen –

Und: »Flora, Flora wandelt hier!«

Wird Nachtigall und Lerche singen.[237]

Der Wandersmann verwundert sich

Bei allen diesen Wunderdingen;

Horcht die Gesänge, siehet Dich,

Und sieht das Landhaus königlich

Emporgestiegen in dem Hayne

Auf Ferdinands Befehl so schön!

An Seinem Arme sieht Er Deine

Durchlauchte Theure Mutter gehn,

Und wünschet Heil dem Hohen Paare,

Dem Du gegeben worden bist

Von einer die durch Jahre

Nicht kalt geworden ist.


Aber wehe den Dryaden

Auf der Friedrichsfelder Flur,

Die umsonst Euch zu sich laden,

Ach! sie leben künftig nur

Ihre Traurigkeit zu flüstern.

Wer sie sieht, und sonst sie sah,

Siehts an ihren Reizverdüstern:

Ferdinand sey nicht mehr da!

Stolz wird Ihn das Spreegestade

In der Sommerwohnung sehn;

Und der Schwan wird Dich um Gnade

Deines holden Blickes flehn –
[238]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 237-239.
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