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[104] Horch! Stimmen und Geschrei, doch kaum zu hören,

Dumpf und verworren tönt es, wie von ferne,

Und ich erkenn sie, die allnächtlich stören

Der Toten Schlaf, den stillen Gang der Sterne.
[104]

Der trunkne Küster, aus dem Schank gekommen,

Setzt sich noch in den Mondschein vor dem Hause,

Kräht einen Psalm; doch kaum hat sie's vernommen,

So stürzt sein Weib hervor mit Zorngebrause,


Heißt ihn hereingehn und beschilt ihn grimmig,

Hell kräht zum Mond indessen der Geselle:

So mischet sich, erbost und eulenstimmig,

Ihr Zanken in sein trunkenes Gebelle.


Sie muß ganz nah sein, da ich es kann hören,

Die überkommne, alte Pfründerhöhle;

Laß sehn, ob das Gesindel ist zu stören:

Schrei, was du kannst, angstvoll gepreßte Kehle!


Die Tür schlägt zu – der Lärm hat sich verloren,

Es hülfe nichts, wenn ich zu Tod mich riefe;

Sie stopfen furchtsam ihre langen Ohren

Vor meinem Hilferufen aus der Tiefe.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 104-105.
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