[194] Gesprochen am Schweizerischen Musikfeste 1867
Haltet, Freunde, eine kurze Weile
Auf des Festes hellen Silberwogen,
Daß noch einmal zu erscheinen eile
Euch der Freund, der unlang fortgezogen,
Als der junge Lenz im Lande war,
Fort zu der Gewesnen stiller Schar.
Still und freundlich kommt er aus der süßen
Ruh der ew'gen Nacht herangegangen,[194]
Still und freundlich will er schnell euch grüßen,
Noch sein Lächeln auf den bleichen Wangen,
Will noch rasch in eure Freude sehn
Und zufrieden wieder heimwärts gehn.
Grüßt das traute Bild nur traulich wieder,
Grüßt den Schatten, der euch nicht erschreckt!
Grüßt ihn mit dem Klange seiner Lieder,
Der so oft euch das Gemüt erweckt!
Und von euern Kränzen reich belaubt
Leget einen auf sein gutes Haupt!
Mancherlei sind unsers Volkes Gaben,
Denn auch mancherlei hat es zu tun,
Und beim harten Ringen wie zum Ruhn
Muß es einen guten Spielmann haben,
Der, wenn Sichel, Schwert und Hammer klingt,
Stets dazu die rechte Weise singt.
Unser Spielmann war er, treu und klug,
Meister Wilhelm mit der rechten Weise,
Und sein Sinn wie froher Fahnenflug,
Und sein Herz ertönte laut und leise!
Lenz- und sommerlang, sein Spiel zur Hand,
Ging er treulich mit dem Vaterland.
Mit dem Vaterland und allen Freien
Ging er stets dem goldnen Licht entgegen;
Freiheit, Licht und Wohlklang, diesen dreien
Galt der Takt von seines Herzens Schlägen.
Was er tat, das tat er recht mit Fleiß,
Und beim Schmieden war sein Eisen heiß.
Neulich sahen wir in Sommerstunden,
Wie der Schnee auf grünen Linden lag,[195]
Von der Last das Ährenfeld gebunden
Niedersank vor seinem Erntetag;
Schlimmes Jahr! So sank der Sänger nieder –
Hier sein Schatten noch und seine Lieder!
Ein Gedenken noch und seine Lieder –
Alles, was uns bleibt, und doch genug!
Fröhlich heben wir die Fahne wieder,
Und es ruft aus ihrer Falten Flug
Seine Stimme wie in Abendglut:
Lebt und singt, doch singet fein und gut!
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