Vorwort zur 7. Auflage

[6] Der Herr Verleger wünscht ein Vorwort zu dieser neuen Auflage und gern rede ich zu denen, welche mich gelesen haben, und welche mich noch oft lesen werden. Dank sei ihnen vor allen für eine Sympathie, eine Uebereinstimmung, welche mich beglücken, und mich hoffen lassen, daß auch die »neuen Gedichte«, welche ich dieser Auflage eingereiht habe, den Weg zum Herzen der Menschen finden werden. Schrieb ich sie doch in unsrer neuesten, oft so stürmischen Zeit – gleichsam als einen Erguß lyrischen Schmerzes, der sich jedoch bald in heit're Zuversicht auflöste, mit dieser optimistischen heiteren Zuversicht hoffe ich auch, daß die aufbrausenden Partei-Leidenschaften sich bald, wie oftmals die Wellen des Meeres plötzlich beruhigen und zum Wohle unseres Vaterlandes und der ganzen Menschheit der Liebe zu ihm und ihr Platz machen werden! –

Ich hätte manches zu sagen, allein – ein Telegramm verlangt das Vorwort, und so will ich mich damit begnügen, hier nur einer kleinen Episode aus dem Beginn meiner schriftstellerischen Laufbahn zu gedenken, nämlich meiner ersten Gedichte. Ich hielt sie alle versteckt in der fast fieberhaften Unruhe der Ungewißheit, ob ich in Wahrheit eine Dichterin und es wert sei, zu den Herzen der Menschen zu reden, beschloß ich, einem unsrer »größten« Gelehrten, einem Prof. der Botanik und Präsidenten der Akademie der Naturforscher meine Verse zu zeigen, ich wandelte mit hochklopfendem Herzen die langen Oderbrücken der Stadt Breslau entlang nach dem botanischen Garten und wartete lange im Studierzimmer, bis der berühmte achtzigjährige Mann durch den Garten seinem Hause zuschritt.[7] Er fragte freundlich nach meinem Wunsche, ich sagte etwas stockend: ich möchte gern wissen, ob ich wirklich Talent habe – und wurde dabei über und über rot; er sah mich erstaunt an, da ich fast noch ein Kind war, und lächelte fein, bat es sich aber aus, daß ich ihm die wenigen Gedichte dalassen möge, er würde sie gründlich prüfen. Bald darauf erhielt ich ein Schreiben von ihm, dasselbe lautet:

»Sie haben mir mehrere Gedichte zur Beurteilung vorgelegt und mir dadurch das ehrenvolle Vertrauen auf den Takt meines Kunsturteils bewiesen, zugleich aber auch sich selbst ein ehrenvolles Zeugnis ausgestellt, nämlich das, daß es Ihnen ernstlich um ein rücksichtslos ehrliches Urteil zu tun war, weil Sie sich so ziemlich einen von denen aussuchten, denen es am wenigsten einfallen kann, auf Kosten der Wahrheit galant erscheinen zu wollen.

Ich habe mehrere Ihrer Gedichte mit steigender Teilnahme mehr als einmal gelesen und lege mir hier vor Ihren Augen, was ich gern auch mündlich tun würde, Rechenschaft über den Eindruck ab, den sie auf mich gemacht haben; diese Gedichte erscheinen mir als lyrische Dichtungen im wahren Sinne des Wortes, nämlich als Ergüsse eines bewegten, sittlich starken, der Natur offenen, seiner Zeit und ihren großen Ideen gewachsenen, für das Menschliche im Menschen männlich begeisterten Herzens, das seine Empfindungen unmittelbar und mit lebensfrischen Sinnen aus seiner lebendigen Welt schöpft, diese in sich, gleichsam als die eigene Seele, wiederfindet und nun ohne zu grübeln oder beifallssüchtig zu künsteln, rasch wie einen liebenden, bewundernden, richtenden, strafenden Erguß der Leidenschaft auf seine Gefahr rücksichts- und furchtlos hinaus ruft ins Volk, als rede er auf Geheiß der Wahrheit von der Tribüne.[8]

In dieser Leidenschaftlichkeit des lyrischen Ergusses finde ich den Grundzug Ihrer Gedichte, den Grund ihrer Schönheiten wie ihrer Mängel. Lassen Sie doch ja diese Mängel stehen! Sie würden mit jedem solchen weggewischten Fleckchen den Glanz einer Schönheit verschleiern, erwarten Sie nach dieser Erklärung kein detailliertes Urteil von mir. In den Seelen schlummern Taten, die nur erst Gedichte sind und diese werden sich vielleicht schämen vor den kecken Wagnissen solcher Dichtungen, die vielmehr Opfergaben und Taten hingebender Liebe sind. Ihre Naturschilderungen sind groß durch ihre Leidenschaftlichkeit, – und die zarteste Bewunderung des Schönen in der Natur wie im Menschenleben. Am liebsten sind Sie mir freilich, wenn ich so sagen darf, in Ihren Berichten aus den Gebieten der Hölle, des Verrats, der Flucht des Menschlichen unter den Geiselhieben der entfesselten dämonischen Gewalt, und da, wo Sie zu Gericht sitzen über den Abtrünnigen, die Sie noch einmal herbeibeschwören, um ihnen den Text zu lesen.

Ich habe übrigens mehrere Ihrer Gedichte meinem Freunde G. mitgeteilt, der zwar die Feile mehr liebt, als ich, der aber doch im besten mit mir einig und wahrhaft warm wurde. Er hat uns neulich seine »Göttin der Vernunft« gelesen – ein kerniges, tragisches Epos.«

Ich grüße Sie usw.

Ich war überaus glücklich über den Empfang dieses Schreibens, dessen Schönheit mich veranlaßte, seiner hier zu gedenken.

Breslau, den 16. Oktober 1894.


Die Verfasserin.

Quelle:
Friederike Kempner: Gedichte. Berlin 81903, S. VI6-IX9.
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