Jochen Himmelreich

[34] Mein Name ist Jochen Himmelreich,

Ich hörte den Zapfenstreich

In Tsingtau und Windhuk, in Warschau und Lille.

Kaum sah ich die Sonne über Flandern,[34]


Musst ich nach Mazedonien wandern,

Tausend Meilen Marsch sind ein Kinderspiel.

Wir sahen die deutsche Fahne strahlen

In tausend Himmel und Höllenqualen,

War immer ein Heiligenschein um sie.

Und blieb uns die Zunge am Gaumen kleben,

Und hiess es des Kaisers Kleider weben,

Und schimpfte der Offizier uns: Vieh –

Deutschland, Du bist unser Tod und Leben!

Ich bin dein Knecht,

Des Landes Knecht,

Und stehe auf der Wacht.

Schwarz ist die Nacht,

Weiss ist der Schnee,

Weh,

Es droht

Der Tod

Dem morschen Weltgefüge.

Rot fliesst das Blut aus unsrer Brust,

O Lebensleid, o Lebenslust!

Fliege, schwarzweissrote Fahne, fliege ...


Mein Name ist Jochen Himmelreich,

Anfang und Ende ist alles gleich,

In den Unterständen brennt kein Sonnenlicht.

Drei Jahre schlief ich nicht im Bette,

Ich schnitt das Brot mit dem Bajonette,

Oh: die Blutflecken weichen aus meinen Kleidern nicht.

Bruder, wir wären Kameraden geworden,[35]


Aber wir müssen uns stechen und morden!

Deinen Blick, sterbender Neger, vergess ich nie.

Längst ist mir die eigene Sprache fremd.

Ich trage eine Französinnenbluse als Soldatenhemd

Und bin räudiger als das räudigste Vieh.

Deutschland, die Schande wuchert und schlemmt!

Ich bin dein Knecht,

Des Landes Knecht,

Und stehe auf der Wacht:

Schwarz ist die Nacht,

Weiss ist der Schnee,

Weh,

Es droht

Die Not

Dem Kindlein in der Wiege!

Rot

Fliesst das Blut aus unsrer Brust,

O Lebensleid, o Lebenslust!

Fliege, schwarzweissrote Fahne, fliege ...


Mein Name ist Jochen Himmelreich,

Mein Weib ersoff sich im Teich,

Meine Kinder hungern und schreien durch die

Nacht nach mir.

Dieses Sommers Regenströme sind aus Kindertränen,

Meine Arme muss ich in die Nächte dehnen

Sterne, o ihr Sterne strauchelt nicht wie wir!

Die Lumpen werden den Krieg und den Frieden für

sich gewinnen,[36]

Während aus unsren Wunden unsere Seelen rinnen.

Sie verkaufen unser Fleisch – Lebendgewicht – für Gold.

Aber einmal werden wir erstehen,

Tot und lebend euch ins Auge sehen,

Wenn des Schicksals Feuerwagen rollt.

Deutschland, wir werden die Ernte mähen!

Ich bin dein Knecht,

Des Landes Knecht,

Und stehe auf der Wacht:

Schwarz ist die Nacht,

Weiss ist der Schnee,

Weh,

Droht

Auch der Tod –

Es breche oder biege!

Rot

Sucht das Blut sich seinen Pfad

Und düngt der Freiheit junge Saat.

Fliege, rote Fahne, fliege ...

Quelle:
Klabund: Das heiße Herz. Berlin 1922, S. 34-37.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das heiße Herz
Das heiße Herz

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon