Irin

[109] Idylle


An einem schönen Abend fuhr

Irin mit seinem Sohn, im Kahn

Aufs Meer, um Reusen in den Schilf

Zu legen, der ringsum den Strand

Von nahen Eilanden umgab.

Die Sonne tauchte sich bereits

Ins Meer, und Fluth und Himmel schien[109]

Im Feur zu glühen. O wie schön

Ist jetzt die Gegend! sagt entzückt

Der Knabe, den Irin gelehrt,

Auf jede Schönheit der Natur

Zu merken. Sieh! sagt er, den Schwan,

Umringt von seiner frohen Brut,

Sich in den rothen Wiederschein

Des Himmels tauchen! Sieh! er schift,

Zieht rothe Furchen in die Fluth

Und spannt des Fittigs Seegel auf. –

Wie lieblich flistert dort im Hayn

Der schlanken Espen furchtsam Laub

Am Ufer, und wie reizend fließt

Die Saat in grünen Wellen fort,

Und rauscht, vom Winde sanft bewegt. –

O, was für Anmuth haucht anjetzt

Gestad und Meer und Himmel aus!

Wie schön ist alles! und wie froh

Und glücklich macht uns die Natur! –

Ja, sagt Irin, sie macht uns froh

Und glücklich, und du wirst durch sie

Glückseelig seyn dein Lebelang,

Wenn du dabey rechtschaffen bist,

Wenn wilde Leidenschaften nicht

Von sanfter Schönheit das Gefühl

Verhindern. O Geliebtester!

Ich werde nun in kurzem dich

Verlassen, und die schöne Welt,

Und noch in schönern Gegenden

Den Lohn der Redlichkeit empfahn.

O, bleib der Tugend immer treu,

Und weine mit den Weinenden,

Und gieb von deinem Vorrath gern

Den Armen! Hilf so viel du kanst,

Zum Wohl der Welt! Sey arbeitsam,

Erheb zum Herren der Natur,

Dem Wind und Meer gehorsam ist,[110]

Der alles lenkt zum Wohl der Welt,

Den Geist! Wähl lieber Schand und Tod,

Eh du in Bosheit willigest.

Ehr, Überfluß und Pracht ist Tand;

Ein ruhig Herz ist unser Theil. –

Durch diese Denkungsart, mein Sohn!

Ist unter lauter Freuden mir

Das Haar verbleichet. Und wiewohl

Ich achtzig mal bereits den Wald

Um unsre Hütte grünen sah;

So ist mein langes Leben doch

Gleich einem heitern Frühlingstag

Vergangen, unter Freud und Lust. –

Zwar hab ich auch manch Ungemach

Erlitten. Als dein Bruder starb,

Da flößen Thränen mir vom Aug,

Und Sonn und Himmel schien mir schwarz –

Oft auch ergriff mich auf dem Meer

Im leichten Kahn der Sturm, und warf

Mich mit den Wellen in die Luft.

Am Gipfel eines Wasserbergs

Hing oft mein Kahn hoch in der Luft,

Und donnernd fiel die Fluth herab,

Und ich mit ihr. Das Volk des Meers

Erschrack, wenn über seinem Haupt

Der Wellen Donner tobt, und fuhr

Tief in den Abgrund. Und mich dünkt,

Daß zwischen jeder Welle mir

Ein feuchtes Grab sich öfnete.

Der Sturmwind taucht dabey ins Meer

Die Flügel, schüttelte davon

Noch eine See auf mich herab –

Allein bald legte sich der Zorn

Des Windes, und die Luft ward hell,

Und ich erblickt in stiller Fluth

Des Himmels Bild. Der blaue Stör

Mit rothen Augen, sahe bald,[111]

Aus einer Höhl im Kraut der See,

Durch seines Hauses gläsern Dach,

Und vieles Volk des weiten Meers

Tanzt auf der Fluth im Sonnenschein,

Und Ruh und Freude kam zurück

In meine Brust. – Jetzt wartet schon

Das Grab auf mich. Ich fürcht es nicht.

Der Abend meines Lebens wird

So schön als Tag und Morgen seyn. –

O Sohn, sey fromm und tugendhaft

So wirst du glücklich seyn wie ich.

So bleibt dir die Natur stets schön.


Der Knabe schmiegt sich an den Arm

Irins, und sprach: Nein, Vater! nein,

Du stirbst noch nicht! Der Himmel wird

Dich noch erhalten mir zum Trost!

Und viele Thränen floßen ihm

Vom Aug. – Indeßen hatten sie

Die Reusen ausgelegt. Die Nacht

Stieg aus der See, sie ruderten

Gemach der Heymath wieder zu. –


Irin starb bald. Sein frommer Sohn

Beweint ihn lang', und niemals kam

Ihm dieser Abend aus dem Sinn.

Ein heilger Schauer überfiel

Ihn, wenn ihm seines Vaters Bild

Vors Antlitz trat. Er folgete

Stets deßen Lehren. Seegen kam

Auf ihn. Sein langes Leben dünkt

Ihm auch ein Frühlings-Tag zu seyn.

Quelle:
Ewald Christian von Kleist: Sämtliche Werke. Stuttgart 1971, S. 109-112.
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