Der 2. Absatz.

Von der menschlichen Seel.

[156] Die menschliche Seel ist ein pur lauterer und reiner Geist / ein ohnleibliche verständliche Substanz oder Weesenheit / unsterblich und unzerstörlich / gantz einfach mit keiner Materi oder einigem anderen Ding vermischt.20 Sie ist zu diesem End von GOtt aus nichts erschaffen / daß sie den Leib beweg und lebendig mache / samt ihme hier zeitlich GOtt diene / und dort ewiglich geniesse. Sie ist erhoben über alle natürliche Formas oder Gestalten / und begreifft oder erkennet die unleibliche Ding mit einer wundersamen Krafft des Gemüths. Philo Hebræus sagt / die menschliche Seel seye ein Füncklein des unendlich glantzenden Göttlichen Liechts. Zeno nennt sie ein Feur / welches die Glieder wärmet und lebendig macht.

Noch ausführlicher beschreibt sie Damascenus, da er sagt: die Seel seye ein lebendige / ohnleibliche / unsterblich verständige infigurirliche Substanz, die den Leib bewohnt / regiert / sich in allen Gliedern unzertheilich ausbreitet / dem Leib die Vermehrung / und denen Sinnen die Würckung bescheret / allzeit frey und ungezwungen handlet / und das Ebenbild GOttes in ihr selber præsentirt. Welches Ebenbild fürnemlich in dem bestehet / daß gleichwie es in der GOttheit nur ein Weesenheit gibt / von welcher 3. Personen ausgehen / der Vatter / das Wort / und der Heil. Geist / also gibt es in der Seel ein Weesenheit / aus welcher herfürfliessen 3. unterschliedliche Kräfften / nemlich der Verstand / die Gedächtnuß und der Willen: die Gedächtnuß oder Krafft zu gedencken stimmet übereins oder gleichet einiger massen dem Vatter / der Verstand dem Sohn / und der Willen / die Lieb dem H. Geist.

Gewiß ist es / daß / wann man die menschliche Seel mit leiblichen Augen kunte anschauen / oder auch mit dem Gemüth genugsam begreiffen / so wurde man unfehlbar in die höchste Verwunderung und gröste Lieb gegen ihr gezogen werden / und wohl nicht so muthwillig und leichter Dingen durch Sünd und Laster ihr Schönheit verstöhren / ja gar sie dem bösen Feind in die Händ spielen.

Sie ist unzertheilich / gantz in dem gantzen Leib /und auch gantz in einem jeden mindesten und kleinsten Theil desselben / und befindet sich im mittlern Grad oder Staffel aller Dingen; ober ihr hat sie GOtt und die Engel / welche vollkommner; unter ihr aber cörperliche Geschöpff / welche alle unvollkommner seynd als sie. Die menschliche Seel ist ein absonderliches Kunststück der Göttlichen Allmacht / ein Freud des Himmels / ein Zierd der Erden und ein Gegensatz der Göttlichen Liebe und Freygebigkeit. Ihr gröste Vollkommen- und Fürtrefflichkeit aber bestehet in denen 3. sonderbaren Qualität- oder Eigenschafften /die sie vor allen irrdischen Geschöpffen hat / nemlich die Oberherrlichkeit oder Gewalt / den sie hat über den Leib und alle andere irrdische Geschöpff: die Geistlichkeit / Krafft dero sie alle Materi von ihrer Weesenheit ausschliesset / und von derselben independent oder unabhängig ist: und die Unsterblichkeit / Krafft derer sie von keinem erschaffenen Gewalt zerstöhrt werden kan.

Weiters erhellet ihr Fürtrefflichkeit aus ihrem Ursprung / oder ersten Herkommen / und aus ihrem letzten Zihl und End. Ihren Ursprung belangend / so hat sie selben ohnmittelbar von GOtt[156] allein und dem Himmel her ohne Zuthuung oder Mitwürckung einiger Creatur.


Igneus est illi vigor & cœlestis origo.


Die feurig Krafft der Seel / und Ehr /

Kommt allein vom Himmel her.


Was aber ihr Endzweck / auf den sie alleinig abzielen soll / ist selbiger wiederum kein anderer als GOtt allein. Pulvis revertatur ad terram suam, unde erat: & Spiritus redeat ad Deum, qui dedit illum:21 Der Staub / das ist / der Leib / kehre gleichwohl wider zuruck in sein Erden / wovon er her war: und der Geist zu GOtt / der ihn gegeben hat. Aus disem allem haben wir 3. Folgereyen oder Schlüß zu machen. Der erste Schluß ist kürtzlich diser: Die menschliche Seel ist die edliste und fürtrefflichste Creatur / sie übertrifft weit all das irrdische / so muß man sie dann mit allem Fleiß und grosser Sorg vor Sünd und Laster bewahren. Der andere Schluß ist: Unser Seel ist ein purer Geist / eines übernatürlichen Weesens / und ein Ebenbild GOttes / so soll man sie nicht in einen verächtlichen Stand herab setzen / und dem Leib oder der Begierlichkeit zu dienen zwingen. Der 3te Schluß oder Folg: Unser Seel ist unsterblich /dauret ewig / so muß man dann nichts mehrers förchten / als dieselbe durch ein schwere Sünd / und darauf folgende Verdammnuß unglückseelig zu machen. Dann was hilffts den Menschen / wann er die gantze Welt gewinnen thäte / und an seiner Seel Schaden litte.22 Der Mensch kan zwar mit denen Geschöpffen beschäfftiget werden / aber durchaus nicht ersättiget / wie der Heil. Bernardus anmercket. Ja auch den Leib können wir nicht erhalten / wann wir die Seel nicht erhalten; dann die Seel ist nicht für den Leib / sonder der Leib für die Seel erschaffen /deßwegen auch Christus im Evangelio gesprochen hat: Nolite timere eos, qui occidunt corpus etc.23 Man soll sich nicht förchten vor denen / die nur den Leib tödten / der Seel aber nicht schaden können /sonder vielmehr den / der Leib und Seel verdammen kan.

Ubrigens kan die menschliche Seel wohl mit einer Turtel-Tauben verglichen werden / welches ein einfältiger / keusch- und reiner Vogel ist / und wie Berchorius anmercket: ihre Gesellschafft oder den Ehe-Consorten also hefftig liebet / daß wann sie ihne verlohren hat / oder von ihme ist abgesonderet worden / da trauret sie unabläßlich / sie denckt ihm allzeit nach /seufftzet kläglich / und vermischt sich niemahl mit einem anderen.24

Eben also die Seel / welche von Natur einfältig /rein und keusch ist / hat in ihrer Erschaffung von GOTT das Fleisch / den Leib zum Mit-Consorten empfangen / und diesen liebet sie über die massen /und will nicht von ihme geschieden oder abgesönderet werden: und wann es durch den Tod geschicht / so bringt es ihr Leyd und Schmertzen. Nachdem sie auch von ihrem Leib abgesonderet ist / begehret sie mit keinem andern verknüpfft zu werden / sonder bleibt als eine Wittib an dem Orth / wohin sie GOtt verordnet hat / biß zur allgemeinen Aufferstehung / und behaltet unterdessen allzeit ein Neigung oder Begierd und Verlangen wiederum mit ihme vereiniget zu wer den / und vor / biß dieses geschicht / ist sie nicht vollkommen glückseelig.

Aber weil die menschliche Seel eine so grosse Neigung / Lieb und Treu hat gegen ihren Leib / der ein schlechter Erd-Klotz ist / der ihr so viel Ungelegenheit / Mühe / Kummer und Schaden verursacht / so offt zum Bösen anreitzet / und um den Himmel bringt / wie viel mehr Lieb / Neigung und Treu solte sie haben zu ihrem himmlischen Gespons / von deme sie alle zeitlich- und ewige Güter zu hoffen und zu empfangen hat? wann sie ihne durch ein schwere Sünd verlohren / oder von ihme ist abgesöndert worden / O da soll sie trauren / weinen und Seufftzen unabläßlich / biß daß sie ihn / vermög der Buß und Gnad / widerum findet: entzwischen aber durchaus mit keinem fremden Liebhaber / weder mit dem Fleisch / noch der Welt / noch dem Teuffel durch verbottenen Wollust sich vermischen / oder in ein Verbündnuß sich einlassen.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 156-157.
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