Sehnsucht nach dem Frieden

[159] 1.

Schooßkind des Himmels, vielgewünschter Friede,

Bist du auf ewig unserm Stern' entflohn?

Verödet ist die Welt, die Menschheit müde;

Rechts brüllt und links des Schlachtrufs Donnerton.

Es wetterleuchten Süd und Norden,

Der Himmel färbt sich flammenroth.

Nur Eine Kunst gilt: Menschen morden!

Nur Eine Zuflucht bleibt: Der Tod!


[160] Chor.


Wohl stürmt es nah und fern; wohl ist die Menschheit müde;

Doch aus dem Weltensturm erblüht der Weltenfriede.

Das Edelste wird nur durchs Theuerste erkauft.

Mit Feuer und mit Blut wird, wen Gott liebt, getauft.


2.

Es schallt nicht mehr des Hirten weiche Flöte;

Der Feuerschlünde Krachen sprengt die Luft.

Die Trommel rollt. Es schmettert die Drommete,

Die unsre Kinder auf den Kampfplatz ruft.

Fliehn sieht die Mutter, bleich von Harme,

Den Liebling, den ihr Schooß umschloß,

Und aus der Braut erstarrtem Arme

Reißt sträubend sich der Jüngling los.


[161] Chor.


Wohl schweigt des Hirten Rohr, wohl schweigen Harf' und Flöte;

Allein zur Freiheit ruft, zur Rettung die Drommete.

Nicht weine, süße Braut! nicht brich, o Mutterherz!

Er kehrt! der Liebling kehrt! Und Wollust wird der Schmerz!


3.

Zu lang', zu streng peitscht uns des Richters Ruthe.

Die Menschheit wildert. Wüste wird die Welt.

Mit Menschenmark gedüngt und Menschen-Blute,

Trägt Dorn und Disteln das versäumte Feld.

Die Flamme rast. In Schutt und Trümmern

Sinkt Hütt' und Pallast, Dorf und Schloß;

Und auf der schwarzen Brandstatt wimmern

Verwaiste Kindlein, nackt und bloß.


[162] Chor.


Was frommen Hab' und Gut, der Kindlein theure Bürde,

Wenn uns die Freiheit fehlt, des Lebens Würz' und Würde!

Dem Sohn der Knechtschaft dient der Pallast zum Verließ;

Dem Freien nur gemahnt die Wildniß Paradies.


4.

Der Frühling schwingt schon die smaragd'nen Schwingen,

Der Sprosser lockt, die Turteltaube girrt.

Wirst du, o Lenz, die güld'ne Zeit uns bringen,

Wo keine Kett' und wo kein Schwert mehr klirrt?

Wird bald die frohe Botschaft schallen:

»Gestillt sind Hader, Zorn und Harm,

Und die ergrimmten Völker fallen

Versöhnt einander in den Arm!«


[163] Chor.


Getrost, getrost! Sie naht, die vielgewünschte Stunde,

Wo jeder Schmerz vernarbt, und heil wird jede Wunde!

Wo Zorn und Haß nicht mehr der Menschheit Milch vergällt;

Wo nur Ein Bruderherz die Brust der Menschheit schwellt!

Quelle:
Ludwig Gotthard Kosegarten: Dichtungen. Band 7, Greifswald 1824, S. 159-164.
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Anthologie aus den Gedichten von Ludwig Theobul Kosegarten

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