Eilfte Scene.


[196] Der Fürst. Der Baron. Frau von Berg. Die Vorigen.


BARON. Hier habe ich die Ehre, Ew. Durchlaucht meinen ältern Vetter vorzustellen, der so eben von der Universität zurückgekommen, wo er studirt hat bis an den Hals.

FÜRST lächelnd. Ich will hoffen, auch noch ein wenig höher hinauf. Zu Karl. Herr von Berg, ich freue mich, kennen zu lernen. Ihre Familie hat meinem Hause jederzeit wichtige Dienste geleistet. Ihr Vater war ein braver Mann.

KARL. Ich darf kühnlich antworten, wie Sthenelos dem Agamemnon: wir rühmen uns viel besser zu sein als unsere Väter64.

FÜRST lächelnd. Das klingt fast ein wenig arrogant.

KARL. Arrogant ist, wer Sinn und Charakter zugleich hat, und sich dann und wann merken[196] läßt, daß diese Verbindung gut und nützlich sei65.

FÜRST. Sie scheinen viel Vertrauen auf sich zu haben; fast ein wenig mehr als sich mit der Bescheidenheit verträgt.

KARL. Was darf sich der nicht zu trauen, zu dem der Witz selbst durch eine Stimme vom geöffneten Himmel sprach: du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!66

FÜRST bei Seite. Das ist zu arg.

BARON der sich nicht länger zu halten vermag. Vetter, ich weiß nicht, ob der Witz Wohlgefallen an dir hat; aber das weiß ich, daß Sr. Durchlaucht, ich, deine Mutter und wir alle ein großes Mißfallen an dir haben.

FÜRST. Gelassen, lieber Baron. Diese Zuversichtlichkeit gründet sich vielleicht auf ein sehr ausgezeichnetes Verdienst, und dann ist sie schon verzeihlich. Lassen Sie doch hören, junger Herr, worauf haben Sie sich am meisten applicirt?

KARL. Auf das Philosophiren, das heißt, die Allwissenheit gemeinschaftlich suchen67.

FÜRST. Die Allwissenheit? das ist wieder ein wenig stark. Haben Sie die Rechte studirt?

KARL. Nein.

FÜRST. Vielleicht waren sie Ihnen zu trocken? Es gibt doch aber auch philosophische Juristen.

KARL. So nennen sich solche, die neben ihren[197] andern Rechten, die oft so unrechtlich sind, auch ein Naturrecht haben, welches nicht selten noch unrechtlicher ist68.

FÜRST. Hart abgesprochen. Sind Sie mit der Geschichte vertraut?

KARL. Der Historiker ist ein rückwärts gekehrter Prophet69.

FÜRST. Ich liebe die Geschichte.

KARL. Der historische Styl muß vornehm sein durch nackte Gediegenheit, erhabene Eil und großartige Fröhlichkeit70.

FÜRST. Welch' ein Bombast von Worten! Haben Sie sich vielleicht der Staatsverwaltung gewidmet?

KARL. Wenn nur nicht in den Handlungen der gesetzgebenden, ausübenden oder richterlichen Gewalt oft etwas willkürliches vorkäme, wozu sie für sich nicht berechtigt scheinen71.

FÜRST. Was wäre dabei zu thun?

KARL. Ist die Befugniß dazu nicht etwa von der konstitutiven Gewalt entlehnt?72

FÜRST. Kann sein.

KARL. Die daher nothwendig auch ein Veto haben müßte?73[198]

FÜRST. Jetzt merke ich, wo Sie hinaus wollen, und rathe Ihnen wohlmeinend, sich mit der Staatsverwaltung nicht zu befassen; wenigstens nicht in meinem Lande, wo Ruhe und Sittlichkeit herrschen.

KARL. Sittlichkeit? das glaube ich kaum. Denn die erste Regung der Sittlichkeit ist Opposition gegen die positive Gesetzlichkeit und konvenzionelle Rechtlichkeit.74

FÜRST. Das schmeckt sehr nach den neuern alles zerstörenden Grundsätzen.

KARL. Es ist natürlich, daß die Franzosen dominiren, denn sie sind eine chemische Nation; das Zeitalter ist gleichfalls ein chemisches Zeitalter75.

FÜRST. Immer besser.

KARL. Die französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Meister sind die größten Tendenzen des Zeitalters.

FÜRST. Nun habe ich genug. Aber noch immer weiß ich nicht, was Sie eigentlich gelernt haben?

KARL. Ich verstehe mich auf die Kunst. Ich weiß, wie Diderot Gemälde musicirt76.

FÜRST lächelnd. Weiter.

KARL. Ich trage einen Theorieneierstock im Gehirn, und lege täglich wie eine Henne meine Theorie77.[199]

FÜRST ein wenig ungeduldig. Aber welches Amt wären Sie im Stande zu verwalten?

KARL. Ich wünsche blos liberal zu sein.

FÜRST. Liberal? ich kenne kein solches Amt.

KARL. Liberal ist, wer von allen Seiten und nach allen Richtungen wie von selbst frei ist, und in seiner ganzen Menschheit wirkt78.

FÜRST. Armer Schwärmer! das kann niemand, so lange er ein Mitglied der Gesellschaft ist, welche Fleiß und Nutzen von ihm fordert.

KARL. Fleiß und Nutzen sind die Todesengel mit dem feurigen Schwerte, welche dem Menschen die Rückkehr in's Paradies verwehren79.

FÜRST. Himmel, welche ungeheure Behauptung!

KARL. Kennen Sie, mein Fürst, die Gott ähnliche Faulheit?80

FÜRST. Dem Himmel sei Dank, nein!

KARL. O, Müssiggang! Müssiggang! du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung81.

FÜRST. Aber nicht die Lebensluft meiner Staaten.

KARL. Dich athmen die Seligen und selig ist, wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod!

FÜRST. Bei diesem Kleinod würden meine Unterthanen verhungern.

KARL. Einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb![200]

FÜRST sich zu den übrigen wendend. Sie sehen, mit diesem jungen Menschen läßt sich nichts anfangen.

BARON mit Bitterkeit und verbissenem Grimm. Allenfalls könnten Ew. Durchlaucht einen Professor der Aesthetik aus ihm machen.

FÜRST. Ich hatte den besten Willen ihm nützlich zu werden, aber er ist der größte moralische Vagabund, der mir jemals vorgekommen ist. Er weiß nichts von Pflichten gegen Gott, den Staat und seine Mitbürger.

KARL. Aus dem Unterschied, den man zwischen Pflichten macht, entstehen die Fantome von Hingebung, Aufopferung, Großmuth, und was alles für moralisches Unheil82.

FÜRST. Da hören Sie es. Aufopferung und Großmuth nennt er Fantome, moralisches Unheil.

KARL. Ich gebe mich selbst wie ein Kunstwerk, welches, im Freien ausgestellt, jedermann den Zutritt verstattet, und doch nur von denen genossen und verstanden wird, die Sinn und Studium mitbringen83

FÜRST. Sehr wohl, junger Herr, diesen Sinn und Studium habe ich freilich nicht, und alles, was mir zu Ihrer Entschuldigung übrig bleibt, ist der menschenfreundliche Glaube, daß Sie verrückt sind.

KARL. Es wird mir immer klarer und fester, daß vollendete Narrheit und Dummheit im[201] Großen, das eigentliche Vorrecht der Männer sei84.

FÜRST. Wirklich mißbrauchen Sie dieses Vorrecht ein wenig.

KARL. Mein Fürst, sagen und glauben Sie was Sie wollen. Es gibt unvermeidliche Lagen und Verhältnisse, die man nur dadurch liberal behandeln kann, daß man sie durch einen kühnen Act der Willkür verwandelt, und durchaus als Poesie betrachtet85.

FÜRST. Junger Herr, ich schicke Sie einstweilen in's Tollhaus, und bitte Sie, dieses Tollhaus, Kraft Ihrer kühnen Willkür, als Poesie zu betrachten.

KARL indem er stolz abgeht. Das Leben des universellen Geistes ist eine ununterbrochene Kette innerer Revolutionen, alle Individuen, die ursprünglichen ewigen nämlich, leben in ihm. Er ist echter Polytheist und trägt den ganzen Olymp in sich86. Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Theater. Leipzig und Wien 1840, S. 196-202.
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