[Daß du an mich im Himmel solltest denken]

[56] Daß du an mich im Himmel solltest denken,

Sang ich von dir, und nannte dich schon Geist:

Ach! wollte Gott dich damals mir noch schenken,

Daß er dich jetzt mir schmerzlicher entreißt?

So spät, so kurz, wollt' er den Wunsch gewähren,

Den frommen Wunsch: dein vor der Welt zu seyn;

Und unbenetzt von einer Freundinn Zähren

Nimmt fremder Sand hier deinen Leichnam ein!
[56]

Mißfielen denn dem Höchsten unsre Triebe?

Vor Ihm stellt sich der Herzen Abgrund dar:

Er strafe mich, wenn nicht für meine Liebe

Dein größter Reiz nur deine Tugend war.

In Einsamkeit, wo Gott und Engel hören,

Wo sich das Herz von Erd' und Tand erhöht,

Hab' ich, mit dir Ihn eifriger zu ehren,

Ihn oft um dich mit Thränen angefleht.


Wir, deren Blick nicht in die Ferne reichet,

Verstehn es nie, was unsere Bittet wagt:

Mit einer Huld, die seiner Weisheit gleichet,

Verzeiht sie Gott, auch wenn er sie versagt.

Wie, daß mit dir mein Glück hier zu genießen,

Noch jetzt mein Wunsch sich unbedachtsam sehnt!

Gott hat vielleicht dich meiner Noth entrissen:

Ruft mich zum Kampf, und du bist schon gekrönt.


Und wär mir hier nur Freude zugetheilet,

Wär er nunmehr doch gegen dich kühn,

So bäte den, der nun aus Grönland eilet,

Ein wilder Freund: bey Fischtrahn zu verziehn.

Welch eine Lust im Reich der Eitelkeiten,

Wär wohl für dich erlittner Schmerzen werth?

Was gönnt dir Der, der auf dein hartes Streiten

Den Sieg noch fern, und neuen Kampf begehrt?


Noch konnt' ich mich nicht von dem Wunsch entwöhnen,

Ihn that das Herz, wenn ihn Vernunft verbot:

Lang' ließ dich Gott nach deiner Rettung stöhnen;

Und dein Gebet war nur Geduld und Tod.

Und sahst du uns voll Jammer um dich treten,

So batest du, um deinen Tod zu flehn:

Nichts hast du noch umsonst von mir gebeten,

Die Bitte nur konnt' ich nicht zugestehn.


Herr, deine Huld hüllst du in Grausamkeiten!

Machst Frommer Kreuz der Bösen Strafe gleich;

Pflegst Seelen so zu Engeln zu bereiten,

Und bist zum Lohn für sie gerecht und reich.[57]

Die Christinn ächzt, nur noch den Durst zu stillen,

Wenn ängstend schon der Tod im Schlunde drückt:

Sie ächzt umsonst, ergiebt sich deinem Willen,

Und wird indem mit Engeltrank erquickt.


Ihm dankst du jetzt, Beglückte, für dein Leiden,

Dem Gott voll Huld, der nicht von Herzen plagt.

Er führte dich zu ewig großen Freuden

Durch eine Qual, wo die Natur verzagt.

Soll ich zu dir, durch gleiche Pein bald dringen,

Ist härtre noch, mich mehr zu läutern, noth,

Und hilft es mir, der bey dir stand, vollbringen:

Welch irdisch Glück ist mehr, als so ein Tod?


Fußnoten

1 [Siehe die zehnte Elegie.]


2 [Siehe die elfte Elegie.]


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 56-58.
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