Sechster Auftritt

[52] Karl. Franz.


KARL im Alter von 21 Jahren, seine Kleidung ganz schwarz, sein Wesen und seine Haltung würdevoll und gemessen. Er betrachtet Franziskus mit einem langen und aufmerksamen Blick.

Seid mir willkommen, Franz!

FRANZ noch in gebeugter Stellung.

Mein kaiserlicher

Herr!

KARL.

Tretet näher.


Franz richtet sich auf und macht einen Schritt auf ihn zu.


Franz, ich bin mit Euch

Zufrieden – bin's auch nicht. Ja, beinah zürn ich!

Obwohl ich gern Euch zugestehen will,

Daß niemand noch mir Grund zu solchem Zorn

Gegeben.

FRANZ.

Kaiserliche Majestät –

KARL.

Sagt frei mir an, Franziskus! Warum schlugt Ihr

Den Reichsgraf aus?

FRANZ sich verneigend.

Erhabner Herr –

KARL.

Warum?

Sprecht ohne Hehl!

FRANZ.

Wohlan! Zwei Worte fassen es.

Ich habe frei und unabhängig Euch gedient,

Und frei und unabhängig will ich's weiter tun!

KARL für sich.

Bei Gott, sehr stolz!


Laut.


Ja, das war kurz und scharf!

Vielleicht – zu scharf, Franziskus.

FRANZ.

Herr! – Der Schranzen

Habt Ihr genug. Wenn Ihr Franziskus fragt,

So ist's, dünkt mich, um Wahrheit zu vernehmen.

Wenn Ihr Franziskus fragt, erwartet nicht –

KARL.

Der Schmeichelei Sirenenstimme? Wohl!

Hierin habt Ihr ganz recht und kommt entgegen

Dem eignen Wunsche. Nicht auf gleiche Weise darf

Bedient von allen sein, wer gut bedient

Sein will! – Doch Euer frei und unabhängiger Dienst,

Wie Ihr's genannt –

FRANZ mit Wärme einfallend.

Ist um so treuer nur,

Nur um so ungemeßner, Majestät.[53]

Bezahlte Dienste haben ihre Grenze –

Grenzenlos ist Uneigennützigkeit!

KARL ihn mit Teilnahme betrachtend und mit Betonung.

Ich glaube Euch –


Er hält etwas inne.


Und dennoch, Sickingen,

Würd' es dem Kaiser schlecht geziemen, müßt' er

Eu'r Schuldner bleiben – und der bin ich noch,

Noch von der Kaiserwahl, ich leugn' es nicht.

FRANZ.

Mein kaiserlicher Herr! ihr habt dem Pfalzgraf

Um meinethalb verziehn – mit reicher Gunst

Dadurch die kleine Rechnung wett gemacht!

KARL.

Nein, Franz! Verstellt Euch nicht. So denkt Ihr nicht!

Zu wohl kennt Ihr des eignen Handelns Wert.

So denk auch ich nicht! – Und wenn Ihr durch Rücksicht,

Die man auf Freund' und treue Dienste nimmt,

Mir Anlaß seid geworden, meinen Zorn

Zu sänftigen, so habt Ihr in der Tugend,

Welche vor allen Fürstentugend ist,

Mich mehr befestigt – einen neuen Freund

Im Pfalzgraf mir zurückgegeben, doppelt

Somit von neuem Euch um mich verdient.

Darum erbittet Euch etwas, Herr Ritter,

Daß ich die Kaiserhuld Euch leuchten lasse.

Meint Ihr, ich sei zu arm, um Euch zu geben?

FRANZ mit Feuer.

Ihr arm, in dessen Hand das Weltenschicksal,

Das Schicksal liegt der deutschen Nation?

– Verhüte Gott, daß ich mit Euch, mein Kaiser,

Den Stolzen spielte! Doch wenn Euch in seiner Huld

Der Schöpfer eine Bitte frei ließ – würdet Ihr

Auf dies und das den Augenblick vergeuden,

Was man von Menschen sonst mit Dank empfängt?

Vielmehr für eines Zeitmomentes Dauer

Teilhaftig seiner Allmacht, griffet Ihr

Nach dem, was Schöpferallmacht zur Erfüllung fordert!

– Dies ist mein Fall, erhabner Herr! – Ihr habt

Die Kaiserwahl erwähnt. Erfüllt die Gründe,

Aus denen auf Eu'r jugendliches Haupt

Das Diadem der Christenheit Deutschland

Gedrückt hat – und zum überreichsten Mann

Habt Eurer Diener ärmsten Ihr gemacht.[54]

KARL.

Die Wahlkapituiationen enden

Niemals in Eurem Lande, wie es scheint!

– Und doch – wohl möcht' ich frei von Euch vernehmen,

Aus welchen Gründen Ihr mich habt gewählt.

FRANZ.

Drei Gründe sind es, Herr, und doch nur einer.

– Zuerst, weil Ihr der Enkel Maxens seid!

Dies bürgte uns für deutschen Sinn. Zum zweiten,

Weil Ihr Hispaniens König seid; – dies schien uns Bürgschaft,

Daß es Euch nicht an Kraft gebrechen würde,

Gegen die wilde Fürstenanarchie

Des Reiches Einheit mächtig zu bewahren.

Zum dritten, seht, weil Ihr ein Jüngling seid.

Bürgschaft war das, daß Ihr nicht eingetrocknet

Im saftlosen Erfahrungsschlendrian,

Nicht in den Banden dumpfen Vorurteils

Gefangen seid, daß Euer junges Herz,

Bewegt vom Drang der Zeit und ihm geöffnet,

Nicht tragen werde das Vasallentum,

Das röm'scher Priesterlug dem Herrn der Welt

Aufbürden will. – – Wenn ich Euch anseh, Herr,

Der Zeichen denke, welche Euch umflammen,

So jung und schon zum Thron der Welt berufen,

In einem Alter, in dem selbst das Größte

Zu Größrem noch den Tatendurst antreibt,

Drei Reiche einend in der einen Hand,

Und gleichsam durch die Stunde der Geburt

Mit einem zugeteilten Werkzeug ausgerüstet,

Wie es des Himmels seltene Gnade

Nur alle tausend Jahr herniederschickt –

Ist mir's kein Zweifel, daß Ihr ausersehn,

Wie ein Messias mächtig zu verjüngen

Der Erde Los und dieses Reiches Schicksal

In neuer Größe Bahnen umzuleiten!


Er tritt, sich verbeugend, zurück.


Auf diesem Reichstag wird sich's, Herr, entscheiden,

Ob Ihr des Himmels Werkzeug zu benutzen,

Des Himmels Sendung – zu vollbringen wißt!

KARL.

Vom Luther sprecht Ihr, Franz. – Da ist es, wo

Ich Euch erwartet hab. Ihr bergt den Anteil nicht,

Den Ihr an dieses Mönches Sache nehmt.

Ihr habt mit Briefen vielfach mich bestürmt,[55]

Und der Verleumdung selbst hat Euch bereits

Des Herzens reger Eifer ausgesetzt.

Man sagte mir – man wollte mich bereden –,

Ihr habt in Eurer Lieb' zu Luther, fürchtend,

Daß ich das frei Geleit ihm brechen könnte,

Das ich zu diesem Reichstag ihm versprach,

Hier in der Näh' von Worms fünfhundert Ritter

Und Reisige auf Eurer Freunde Burgen

Gelegt, um mit Gewalt ihn zu befrein,

Wenn's nötig wär'! – Ihr seht, wie wenig Glauben

Ich dem Berichte schenke, wenn Euch selbst

Ich frage, nur damit Ihr's Lügen strafen könnt,

Und Eure Antwort – gelte wie Beweis.

FRANZ.

Das kann sie, Herr! Niemals wird Lüg' entweihn

Franziskus' Zunge! – Der Verleumder Mund

– Denn das, fürwahr, sind sie trotz alledem –

Hat diesmal lautre Wahrheit Euch berichtet.

KARL für sich.

Bei Gott, sehr kühn!


Laut, strenge.


Wie, Sickingen! Ihr wagt,

So offen ins Gesicht rebell'sches Tun

Mir zu gestehn, und scheut nicht meinen Zorn?

FRANZ.

Nein, Herr! Den unverdienten scheu ich nicht.

Für Euern Ruhm, wie für des Landes Sache,

Hätt' ich gehandelt – wurde Handeln not.

An einem Konstanz hat Deutschland genug!

Nur Dank, nicht Zorn, hätt' ich von Euch verdient,

Wenn ich Euch hinderte an schwerer Schuld.

Und traf mich Euer rascher Jünglingszorn,

– besser, mich traf der Zorn, als Euch – die Reue!

Ihr gabt dem Luther Euer Kaiserwort.

So groß ist dieses Wortes Majestät,

Geltung und Kraft, daß es sofort zum Recht,

Zum allgemeinen wird, das vor Euch selbst

Ein jeder schützen und verteid'gen darf.

Es gilt Eu'r Wort – doch Euer Wortbruch nicht!

KARL für sich.

Ich seh, von jenem ausgestorbenen Geschlecht

Der deutschen Helden, das uns Sagen schildern,

Steht heut ein letzter Abkömmling vor mir.


Zu Franz.


Da Ihr mit solcher Offenheit Euch selbst

Zu jenes Planes Wagnis frei bekennt,

So habt Ihr mir vielleicht noch weitres zu gestehn.[56]

Man fand zu Worms an allen Straßenecken

Zu nächt'ger Zeit geheftet einen Anschlag

Mit Trostzuspruch an Luther und voll Drohung,

Falls man Gewalt ihm täte; – das Plakat

Schlossen in fürchterlicher Hinweisung

Zu dreimal wiederholt die Worte: Bundschuh! Bundschuh!

Des Bauernaufstands furchtbares Symbol! –

Wie? Könnten meine Edlen sich so weit vergessen,

Gemeine Sache mit dem Bauer selbst

Wider die Ordnung dieses Reichs zu machen?

Sagt an, kam es von Euch? Ich will es wissen, redet!

FRANZ.

Kaiserlich Majestät –

KARL ihn schnell unterbrechend.

Nein, schweigt! Schweigt, Ritter, lieber!

Gefährlich ist es, seh ich, Euch zu fragen,

Und leicht erführ' ich mehr, als mir zu wissen dient.

Besser für mich wie Euch, ich weiß es nicht!

– Ich will's nicht wissen, Ritter! Schweigt davon!


Er hält inne.


Wohl seh ich, Franz – nicht mit demselben Maßstab

Wie andere darf man Euch messen. Leicht

Verzeiht man Euch, was keinem sonst. Ich zürne

Euch nicht, ob dem was Ihr mir habt gesagt.

Doch seltsam bleibt's, daß Ihr – ein solcher Kriegsheld,

Den Pfaffenzank sonst wenig pflegt zu kümmern,

Euch also ganz an diesen Mönch hingebt.

Nach Große, glaubt' ich, dürste Euer Sinn,

FRANZ.

Nach meines Landes Größe durstet er!

KARL.

Und ist die also eins mit diesem Mönch?

FRANZ.

So eins, daß, wer durch innern Trieb und Mannespflicht

Und wer durch Amtsberuf der einen dient,

Gezwungen ist, dem anderen zu huld'gen.

KARL.

Und wär' es selbst so – glaubt Ihr wirklich, Franz,

Wider der Kirche heil'ge Satzungen,

Die gottgegebnen, meinen Sinn zu wenden?

FRANZ.

Mein Kaiser!

Die Antwort laß ich Euch so wenig gelten

Wie Ihr vorhin die meine. – Wahr sprach ich

Mit Euch – sprecht wahr mit mir!


Karl macht eine Bewegung der Betroffenheit.


Mein hoher Herr![57]

Hell ist Eu'r Blick! Der Blindheit Binde wird

Um dieses scharfe Aug' kein Pfaffenblendwerk ziehn.

Und wenn ein Feind nur in Europa lebte

Dem Papste – dieser Todfeind wär' der – Kaiser!

Ihr müßt sein Feind sein, seid es durch Bestimmung

Wie durch Geburt. Erblich ist zwischen Euch

Durch Eurer Vorfahrn lange Reihn der Haß.

Auch Amtsvorfahren, wenn sie unsern Stab

Mit Ruhm und Große führten, wiegen schwer

Wie Blutsvorfahren, wiegen schwerer noch.

Es schreit herab auf Euer junges Haupt

Ein Racheerbteil von fünfhundert Jahren;

Des großen Heinrichs denket, dem das Herz

Brach in Canossa, als das Knie er beugte,

Des Barbarossa denkt, des Heldenleben

Im langen Kampfe aufgerieben ward,

Gegen des Fußkuß' Schmach umsonst ankämpfend;

Denkt jener wunderbaren Glanzgestalt,

Des zweiten Friedrich denkt, dem Rom die Söhne

Zu Gegenkaisern stellte – Vatermord

Segnend, wenn es dem deutschen Kaiser galt!

– Solang es Päpste gab und Kaiser, hat

In seines Lebens rotes Stammbuch sich

Mit seinen schärfsten Waffen eingeschrieben

Jeder dem andern. Es umschweben Euch

Die Geisterstimmen Eurer Vorgänger,

Zu Euch empor die Hände flehend hebend,

Beglückter! rufen sie auf Euch herab –

KARL ihn unterbrechend, sehr bewegt.

Ich bitt Euch, haltet! Hin reißt Euch das Feuer.

FRANZ leidenschaftlich fortfahrend.

Du auserwählter Träger unsres Schwerts,

Dir hat's der Himmel in die Hand gegeben,

Zu ziehn aus dieser Erde Fleisch den Dorn,

Den Marterpfahl, an dem wir alle sind

Verblutet und mit uns verblutet unser Volk!

Woran wir uns in langer Qual vergeblich

Gewunden – du, du kannst es jetzt vollbringen!

Du schwingst das Rüstzeug, das zerschmetternde!

Verrate nicht unser gebrochnes Auge –

Zertritt den Priester, gegen den wir alle,

Wir, unser Volk, Geschichte aller Zeiten,[58]

Als Blutzeugen an deiner Seite stehn. – –

Fürwahr – wenn Ihr dem Papst Euch einen könnt,

So schlagt Ihr aus der Art der deutschen Kaiser

Und weiht dem Fluche Deutschlands Euren Stamm!

KARL wie oben.

Noch einmal bitt ich: mäßigt Euch! Fast reißt Ihr

Mich hin – und doch darf nimmer Hinreißung

Entscheiden in so ernst-bedächt'ger Sache.

Ihr glüht und Eure Stimme –

FRANZ.

Dröhnt wie die Posaune,

Welche das Zeitenurteil künden soll.

In ihren Wogenschall branden zusammen

Vergangenheit und Zukunft, lauten Schreis

Ans taube Ohr der Gegenwart anschlagend.

– Und wenn es möglich wär', wenn Euch die Reihe

So vieler Helden nicht bewegen könnte;

Denkt Eures Blutes, Maxens, Eures Ahns

Des Leben sechs der Päpste überdauert

Und dann mit jenem Schmerzensrufe schloß:

Nun hat mich auch der letzte noch betrogen!

Denkt Eurer selbst, des erster Schritt bereits

Auf jene angestammte Feindschaft stieß

Vom Papst, der Höll' und Himmel aufbot, Eure Wahl

Zu hintertreiben, weil er selbst nicht glaubte,

Ihr könntet zu Roms Knecht geboren sein!

KARL.

Wenn seine Hand der Papst anmaßend ausstreckt

Nach meiner Krone weltlich Recht – glaubt mir,

An Abwehr soll es und an Ernst nicht fehlen.

Ein andres ist es, in dem Reich des Glaubens

Der Kirche Herrschaft freventlich bestreiten.

FRANZ.

Gleich unwahr ist ein Anspruch wie der andre,

Und gleich gefährlich sind sie beide Euch!

Die Herrschaft in dem Reiche der Gewissen –-

Das ist die giftgetränkte Waffe, welche

Siegreich im Kampfe widers Kaisertum

Die Gregore, die Innocenze schwangen.

Wie? kann die Teilung Euch Genüge tun?

Im Bau des Menschen folgt der Leib der Seele,

Zum Leichnam wird der Körper ohne Geist.

Den lassen sie getrost zum Anteil Euch,

Gewiß, am Seelenbande ihn zu halten,

Um grade dann, wenn Ihr am meisten zählt[59]

Im Drang des Streits auf Eures Zepters Macht,

Durch einen Zauberschlag, von tausend Leitern

Im Nu durch alle Glieder hinverbreitet,

Den wachgerufnen Leichnam Euch entgegen,

Entgegen Eure Völker Euch zu werfen!

Ein Schattenkaiser sitzt Ihr auf dem Thron,

Solang Roms Kurie in ihrer Hand

Den Stempel trägt zu Eures Volks Gewissen!

KARL.

Und dieses alles soll der Luther ändern?

Der Augustinermönch, der unbekannte,

Von dem Ihr selber fürchtet, daß ich ihn

Mit einem Federstrich ins Nichts rückwerfe?

FRANZ.

Ihr irrt Euch, Herr! Lernt diesen Mönch erst kennen.

Auf seiner Zunge wohnt die Seele der Nation.

Des Himmels Blitze sprühn aus seinem Auge,

Auf seiner Stirne, breit wie Ewigkeiten,

Zuckt des Gedankens Allmacht wetterleuchtend,

Und wenn er spricht, regt sich's im Völkerherzen,

Wie wenn der Erde Schoß der Frühling schwellt,

Wie die Geburt im schwangern Leib des Weibes

Mit neuen Daseins Ahnung sie entzückend!

Der Geisterherrscher steht er mächtig da,

Der Sendung Ächtheit so beglaubigend.

Ihn unterdrücken, Herr? Viel eher schriebe

Der Mönch Euch selbst um Krone und um Reich!

Reif ist mein Volk und hängt an seinem Mund,

Kein Fürst so mächtig, ihn ins Nichts zu stoßen!

KARL.

Meint Ihr? – –

FRANZ.

O gebt Euch nicht der Fürstentäuschung hin,

Der alten, ewig wiederkehrenden!

Beschleun'gen könnt Ihr – könnt verhindern nicht,

Gestalten könnt Ihr – könnt nicht unterdrücken,

Nicht wenden, nicht verzögern das Notwend'ge,

Das mit des Lebens Kraft zur Selbstentfaltung drängt!

Die schwierige Geburt kann vor der Zeit

Der weise Arzt mit kühnem Schnitt befrein,

Ein Kaiserschnitt – nennt es des Zufalls Spiel.

Doch wenn des neunten Monats Stunde schlägt,

Kann alle Macht in eine Hand geballt

Verschließen nicht den Mutterleib, verhindern

Nicht zu gebären die Gebärende![60]

Es sprengt der Fruchtandrang die arme Hülle,

Und – Tod austeilend tritt ans Licht des Seins

Das Leben selbst, das wir zurückgestoßen!

KARL.

Und ist es so – was fleht Ihr dann bei mir?

Was seid Ihr meiner Hülfe noch benötigt?

FRANZ.

Gestalten sagt' ich, könnt Ihr! Alles liegt

In dieses Wortes Zauberring verschlossen!

Die Zeit vollzieht sich – doch vollzieht sie sich

Anders mit Euch – und anders gegen Euch.

Weh Euch, wenn sie sich gegen Euch vollbringt!

Ich sprach bisher Euch nur von Rom – doch fast

Gibt es noch Größeres hier zu bedenken

– Wollt Ihr den Luther fallen lassen in

Der Fürsten Hände? Ihnen selbst den Hebel

Hinwerfen, der aus ihren letzten Angeln hebt

Des Landes Einheit und die Kaisermacht?

In Eurer Hand ist er ein göttlich Werkzeug,

Des Reiches Größe herrlich zu erneuen,

Die er in ihrer – nur in Trümmer schlägt!

O gebt nicht fort des Papsttums reiches Erbe!

Erloschen sind, eint Ihr Euch mit dem Luther,

Die Bistümer, Abteien, Pfründen – Euch,

Dem Reiche fallen wieder sie anheim.

Durch diesen Machtzuwachs verschwindet neben Euch

Ins alte Nichts die Fürstenanmaßung,

Die übermächtig Euren Thron umringt;

Der schnöde Mißbrauch selbst, durch welchen sie

Den kaiserlichen Auftrag und das Amt

In Eigentum verwandelt, Diebstahl übend

An Kaisers und an Reiches Majestät –

Gekommen endlich ist die Stunde, wo

Verjährtes Unrecht in sein Recht sich löst

Und wieder heimfällt dem rechtmäß'gen Herrn

Der Raub der ungetreuen Amtleute.

– Getragen von dem Volk, das Euch umjubelt

Wie einen Gott, der's Schöpfungswort gesprochen,

Seid Ihr allmächtig und stellt wieder her,

Ein größrer Karl der Große, dieses Reich

In alter Einheit, altem Glanz. Dann schaltet

Frei wieder über dieses Reiches Lehen

Die Kaiserhand – dann habt Ihr in Vasallen

Die Übermächtigen zurückgewandelt,[61]

Dann erst seid Ihr, was Ihr jetzt heißt – ein Kaiser!

Und seid es durch des Luthers Hand.

KARL schnell, mit unwillkürlicher Lebhaftigkeit.

Und warum

Ist er nicht auf die Ebernburg gekommen,

Wohin Ihr ihn in meinem Auftrag ludet,

Zur Unterredung und Zusammenkunft

Mit meinem Beichtvater, dem Glapio?

Auf Eure Briefe, Euch zuliebe ging ich's ein;

Ich schickte Euch, treu meinem Wort, den Glapio,

Doch hat den Luther er umsonst erwartet.

Was kam er nicht zur Unterhandlung? Redet!

FRANZ mit Feuer.

Herr, mit der Wahrheit ist kein Unterhandeln!

So unterhandelt mit der Feuersäule,

Welche einherzog vor dem Volke Israel,

So unterhandelt mit dem Bergstrom, welcher

Des Laufs gewiß, sich durch die Niedrung stürzt!

Ich schrieb ihm, ja, und lud ihn ein zu kommen,

Doch jener Gottgesandte kennt nur eine Furcht:

Die Feinde nicht, die Freunde fürchtet er,

Die in der Liebe banger Sorgnis ihn,

Des eignen Herzens Schwäche mächtig weckend,

Die in uns allen auf der Lauer liegt,

Zu einem Nachlasse bestimmen könnten

Von dem, was ihm der Geist in seine Seele schrieb.

Verhängten Zügels, schreibt er, dräng' es ihn

Entgegen seinen Feinden sich zu werfen.

Vor Reich und Kaiser will er feierlich

Die ganze Wahrheit kühn und frei bekennen.

Es sei von Gott – und gelte da kein Dingen!

KARL einige Schritte durchs Zimmer machend, dann nach einer kleinen Pause gemessen.

Seht Ihr? Nicht unterhandeln kann man mit dem Mann –

Und ich soll blindlings mich ihm hinergeben?

Wie dem Komet der Schweif folgt, dieser neuen Lehre

Folgen in die noch unermeßne Bahn?

Sind wir ein Spieler, der aufs Unbekannte

Alles für alles setzt? – Nichts mehr davon!

Auch andre Gründe, für Minutendauer

Von Eures Atems Sturm zurückgehaucht,

Erlangen gleich dem Baum, der nach dem Wetter,[62]

Das ihn gebeugt, in neuer Kraft sich hebt,

Wieder die ihnen zugehör'ge Macht.

– Von Größe spracht Ihr. Doch gibt es nicht andre noch,

Als Ihr verfolgt? Drei Kronen, sagtet Ihr,

Eint diese Hand, und eine neue Welt

Erhebt sich meinem Zepter zukunftsvoll

Jenseits des Ozeans. Zur Wahrheit will

Der alte Anspruch dieser Kaiserkrone,

Der Thron der Christenheit, so scheint es, sich gestalten.

Doch wie durchs Weltall ein Gedanke zuckt,

Ist's einer Kirche unsichtbare Macht,

Welche, des Weltalls Kitt, das All zusammenhält!

Ein Glaube ist der Titel jenes Anspruchs,

Ein Glaube eint die Völker meines Reichs,

Die Zunge, Recht und Sitte mächtig trennt,

Des Universums Herrschaft kann nur Abbild sein

Der einen Kirche, die in Christi Statthalter

In ihren Demantknauf sich faßt. – Ein Papst,

Ein Kaiser! – Beide, selbst wenn kämpfend, dennoch

Sich gegenseitig so bedingend

Wie Seel' und Leib! Die röm'sche Kaiserkrone,

– Was ist sie ohne ihn? Zum Landesfürstentum

Wär' sie mit seinem Sturz herabgesunken.

– Zujauchze, sagt Ihr, Deutschland dieser Lehre,

Doch bin ich Deutschlands Kaiser nicht allein.

Und glaubt Ihr, daß ihr nüchterner Gedanke,

Der uns des Übersinnlichen lebend'ge

Verkörp'rung raubt, auch Spaniens, auch Neapels

Völker jemals ergreifen wird? Soll ich

Mit eigner Hand den Einheitsreif zertrümmern,

Der sich um diese meine Reiche zieht,

Und meines Südens priestergläub'ge Seelen,

Die Erblande, vielleicht in Haß mir wenden?

Gefährden, was schon mein, und selbst aufgeben

Die stolze Tradition der Weltherrschaft,

Die sich an diese Kaiserkrone knüpft?

FRANZ warm.

O sucht nicht auf der Freiheit, auf des Geistes

Kosten die Größe nicht, die sicher Euch entflieht.

Der Baumeister, der in dem Menschengeist

Dome errichten will, muß aus dem Geist

Heraus sie baun, wenn er nicht Knaben gleicht,[63]

Die in den Sand für Augenblickes Dauer

Figuren ziehn! – All diese Willkürslinien

Verwischt, löscht aus die erste Völkerwelle,

Die über Eure Träume sich ergießt.

Die Weltherrschaft reizt Euch? Nur wenn Germanien,

Durch Einheit stark, begeistert Euch umjauchzt,

Könnt Ihr den Traum zur Wirklichkeit erheben.

Nicht Spaniens ist dies Recht, – nicht sein die Kraft!

Schon einmal hat Germanien mit dem Schwert

Erobert diese Welt und mit dem Geist erobert!

Kein Papst hat sie zum Anteil ihm verliehn,

Die eigne Größe dankt er jenem Karl,

Nicht dieser ihm! Wo ist die Scholle dieses Weltteils,

Die nicht gedüngt ward durch Germanenblut?

Wir haben neuem Leben ihn erobert. Unser –

Wenn jemandes, ist durch Befruchtung diese Welt!

Durch uns nur könnt Ihr, was Ihr nie sonst könnt.

So weit die Ufer sich Europas breiten,

Sind sie verjüngt durch des Germanen Stamm,

Europas Herz behielt er rein sich vor,

Vom Herz der Mutter geht noch einmal aus

Der Ruf, der weckende! Verstopft ihm nicht

Europas Ohren – und den Widerhall

Wird in der Völker Pantheon er finden.

Die Freiheit ist ein Same, der, weislich gepflegt,

In jedes Erdreich leicht sich hin verpflanzt –

Der Sklaverei künstlich gezogne Pflanze trägt

Der Boden, der sie ausstößt, nimmermehr!

O opfert nicht leeren Befürchtungen

Den Quell, dem Eure stärkste Kraft entfließt,

Opfert die Krone Eurer Kronen nicht,

O opfert Deutschland nicht Neapel auf!

KARL.

Genug – erwogen ist es und beschlossen.

Ich kann nicht, wie Ihr wollt! – Wär' ich ein Deutscher,

Wär' ich nur Deutschlands Kaiser – möglich ist's,

Ich dächte, Franz, wie Ihr – und täte so.

Doch wer ist frei in dieser Welt des Drangs?

Wer bildet selbst sich die Entschließungen

Und findet sie sich nicht schon vorgezeichnet

Durch seiner Lage ehernes Gesetz? –

Die Huld, die ich Euch bot, habt Ihr verschmäht,

Doch eine Huld erwies ich Euch, der keiner[64]

Sich rühmen kann, der lebt! Ich sprach mit Euch,

Als wär's ein Zwiegespräch mit meinem Selbst,

Und bis ans Ende will ich redlich gehn.

Drei Gründe, sagt Ihr, haben mich gewählt.

Drei Gründe hindern auch, daß ich Euch folge.

Zuerst, weil ich kein Deutscher – dann, weil ich

Hispaniens König. – Drittens endlich, weil

Die Krone, die Ihr meiner Kronen Krone nennt,

Von Stamm zu Stamme unstet wandernd geht.

Ja, trüg' ich erblich dieses Kaiserzepter

Wie das Hispaniens und hinterließ ich

Dem eignen Stamm dies große deutsche Reich,

Ganz anders ständ' es dann! – Doch jeden Eingriff

In dieses Wahlrechtes Nomadentum –

Ihr selber, Franz, Ihr würdet ihn vielleicht ...


Er wirft innehaltend einen aufmerksam forschenden Blick auf Franz.


FRANZ mit Betonung.

Angriff – auf Deutschlands Freiheit nennen.

KARL einen Schritt zurücktretend, kälter.

Seht Ihr? –

Und mit der Fürsten altverjährtem Recht,

Mit jener zähen Kraft, die Mißbrauch hat,

Soll ich den Ringerkampf auf Tod und Leben eingehn?

An diesen Zweck des Daseins Dauer setzen,

Um einst nach so viel qualdurchwachten Nächten,

Wenn ich gesiegt, so machtumstrahlter Krone

Unschätzbar Kleinod, das an Glanz dann reich

Die Kronen all Europas überragt,

In dunkeln Schatten meine Lande drückt,

Dem fremden Mann zum Erb' zu hinterlassen?

Für einen Nachfolger vom Sachsenstamm etwa

Soll ich dies alles tun? – Nein, Franz, Ihr seht,

Ich hab es reiflich überdacht –- nicht heut zuerst,

Wenn heut vielleicht auch sorglicher denn je,

Und unerschüttert bleibt der alte Schluß.

Unmöglich ist's – dabei muß es bewenden.

Es steht mein Wort auf wohl erwognem Grund.

FRANZ.

Wohl sprecht Ihr wie jemand, der reiflich überlegt

Und mit Bewußtsein dann – das schlechtre Teil erwählt!

KARL finster und streng.

Dies Wort – verzeih ich Euch, Herr Ritter, doch

Mit dem Beding, daß ich's nie wieder höre.[65]

FRANZ macht eine stumme Verbeugung.

KARL nach einer Pause mit gütiger Stimme.

Getäuschte Hoffnung macht Euch bitter, macht

Euch ungerecht; doch hoff ich, daß die Zeit

Zu beßrer Überlegung Euch zurückführt.

Gebt auf, was doch unmöglich zu erreichen.

Es gibt noch andre Zwecke als die Euren,

Nicht minder strebenswert. Wenn Ihr die meinen

Zu Eures Wollens Inhalt machen könnt – dann, Franz,

Dann sollt Ihr steigen durch die Kaiserhuld

So hoch, wie noch kein Fürst gestiegen ist.


Er hält inne, einen langen, forschenden Blick auf Franz werfend. Dieser schweigt regungslos.


Bis dahin – seid Ihr entlassen, Ritter!


Franz verbeugt sich tief und geht schweigend ab.


KARL ihm nachsehend.

Der Mann ist groß – doch ist es nicht die Größe,

Welche ich suche und gebrauchen kann.


Ab ins Kabinett. Verwandlung.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 52-66.
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Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
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